Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Junge Liebe

Die einzige, der er sich anvertraute, war Marthas Mutter, Krug-Ellen,
wie sie noch genannt wurde. Aber mit der ging es offenbar stark bergab.
Sie hörte seinen Auseinandersetzungen mit unruhigem, verstörtem Blicke zu,
der Jesper zu der Überzeugung brachte, daß sie betrunken sei. Und als er
fort war, erhob sie sich mit ungewöhnlicher Hast, sah mehrmals aus dem
Fenster und spähte ängstlich nach allen Seiten.

Der Grund dazu war folgender. Eines Tages, als sie im Torfschauer
stand, sah sie plötzlich Martha eiligen Schrittes mit glühenden Wangen ans
dem Walde kommen und sich oft und verstohlen umsehen, als. erwartete sie,
daß ihr jemand folge. Dies hatte Elters Verdacht erregt. Am folgenden
Tagen beobachtete sie die Tochter aufmerksam, und sie glaubte wirklich, etwas
Zerstreutes, Unruhiges an ihr zu spüren. Jeder Schritt auf ihrem Wege
schien sie zu beunruhigen, wenn sie aber in Gedanken versunken war, umspielte
ihren Mund ein eigentümliches Lächeln, ihre Wangen bekamen Farbe, und in
ihren Augen lag ein Glanz, den Ellen voller Schrecken zu kennen glaubte.
Auch hatte sie mit auffallendem Eifer angefangen, Reisig und Tannenäpfel im
Walde zu suchen, ging aber stets mit glattgekämmtem Haar und in Strümpfen
hinaus.

Eines Tages endlich fand die Mutter ein buntseidenes Taschentuch in
ihrem Schubfach, und als sie sie vorsichtig fragte, woher sie das habe, ant¬
wortete sie nicht, sondern verließ trällernd das Zimmer.

Eine entsetzliche Angst überkam Ellen. Die Sorge um das Schicksal dieses
Kindes, das einzige, menschliche Gefühl, das ihr noch geblieben war, erwachte
verstärkt in ihrer Brust. Eine schwache Erinnerung an den furchtbaren Jammer
ihrer eignen Jugend zog gespensterhaft durch ihre halb erloschene Seele, und
sie erbebte vor Schreck. Was ist mir geschehen? war die Frage, die sie siel,
wieder und wieder stellte. Sie suchte sich durch Blicke und Mienen Aufklärung
zu verschaffen, sie bewachte, soweit sie es vermochte, jeden Schritt Mnrthas;
IN mitten in der Nacht konnte sie sich vom Bett erheben und hinausschleichen,
um an ihrer Kammerthür zu lauschen.

Aber drinnen war alles still. Und wenn sie vorsichtig die Thür öffnete,
so fand sie das Kind in ungestörtem, tiefem Schlafe, mit einem ruhigen lächeln
um den Mund, als umschwebte" sie selige Träume.


"

Einige Tage nach Jespers Besuch bei der Krug-Elle" stand Martha vor
einem kleinen Spiegel, der am Fensterpsvsten in der Gaststube hing, und flocht
ihr langes Haar. Sie war im Hemd und nur mit einem roten Unterrock be¬
kleidet. Ihr Hals und ihre Arme waren bloß. Wenn ihr seliger Vater sie
in diesem Augenblicke hätte sehen können, würde er sich gefreut habe", wie sie
heranreifte.


Grenzboten IV 16"9 37
Junge Liebe

Die einzige, der er sich anvertraute, war Marthas Mutter, Krug-Ellen,
wie sie noch genannt wurde. Aber mit der ging es offenbar stark bergab.
Sie hörte seinen Auseinandersetzungen mit unruhigem, verstörtem Blicke zu,
der Jesper zu der Überzeugung brachte, daß sie betrunken sei. Und als er
fort war, erhob sie sich mit ungewöhnlicher Hast, sah mehrmals aus dem
Fenster und spähte ängstlich nach allen Seiten.

Der Grund dazu war folgender. Eines Tages, als sie im Torfschauer
stand, sah sie plötzlich Martha eiligen Schrittes mit glühenden Wangen ans
dem Walde kommen und sich oft und verstohlen umsehen, als. erwartete sie,
daß ihr jemand folge. Dies hatte Elters Verdacht erregt. Am folgenden
Tagen beobachtete sie die Tochter aufmerksam, und sie glaubte wirklich, etwas
Zerstreutes, Unruhiges an ihr zu spüren. Jeder Schritt auf ihrem Wege
schien sie zu beunruhigen, wenn sie aber in Gedanken versunken war, umspielte
ihren Mund ein eigentümliches Lächeln, ihre Wangen bekamen Farbe, und in
ihren Augen lag ein Glanz, den Ellen voller Schrecken zu kennen glaubte.
Auch hatte sie mit auffallendem Eifer angefangen, Reisig und Tannenäpfel im
Walde zu suchen, ging aber stets mit glattgekämmtem Haar und in Strümpfen
hinaus.

Eines Tages endlich fand die Mutter ein buntseidenes Taschentuch in
ihrem Schubfach, und als sie sie vorsichtig fragte, woher sie das habe, ant¬
wortete sie nicht, sondern verließ trällernd das Zimmer.

Eine entsetzliche Angst überkam Ellen. Die Sorge um das Schicksal dieses
Kindes, das einzige, menschliche Gefühl, das ihr noch geblieben war, erwachte
verstärkt in ihrer Brust. Eine schwache Erinnerung an den furchtbaren Jammer
ihrer eignen Jugend zog gespensterhaft durch ihre halb erloschene Seele, und
sie erbebte vor Schreck. Was ist mir geschehen? war die Frage, die sie siel,
wieder und wieder stellte. Sie suchte sich durch Blicke und Mienen Aufklärung
zu verschaffen, sie bewachte, soweit sie es vermochte, jeden Schritt Mnrthas;
IN mitten in der Nacht konnte sie sich vom Bett erheben und hinausschleichen,
um an ihrer Kammerthür zu lauschen.

Aber drinnen war alles still. Und wenn sie vorsichtig die Thür öffnete,
so fand sie das Kind in ungestörtem, tiefem Schlafe, mit einem ruhigen lächeln
um den Mund, als umschwebte» sie selige Träume.


«

Einige Tage nach Jespers Besuch bei der Krug-Elle» stand Martha vor
einem kleinen Spiegel, der am Fensterpsvsten in der Gaststube hing, und flocht
ihr langes Haar. Sie war im Hemd und nur mit einem roten Unterrock be¬
kleidet. Ihr Hals und ihre Arme waren bloß. Wenn ihr seliger Vater sie
in diesem Augenblicke hätte sehen können, würde er sich gefreut habe», wie sie
heranreifte.


Grenzboten IV 16»9 37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0297" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206296"/>
            <fw type="header" place="top"> Junge Liebe</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_983"> Die einzige, der er sich anvertraute, war Marthas Mutter, Krug-Ellen,<lb/>
wie sie noch genannt wurde. Aber mit der ging es offenbar stark bergab.<lb/>
Sie hörte seinen Auseinandersetzungen mit unruhigem, verstörtem Blicke zu,<lb/>
der Jesper zu der Überzeugung brachte, daß sie betrunken sei. Und als er<lb/>
fort war, erhob sie sich mit ungewöhnlicher Hast, sah mehrmals aus dem<lb/>
Fenster und spähte ängstlich nach allen Seiten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_984"> Der Grund dazu war folgender. Eines Tages, als sie im Torfschauer<lb/>
stand, sah sie plötzlich Martha eiligen Schrittes mit glühenden Wangen ans<lb/>
dem Walde kommen und sich oft und verstohlen umsehen, als. erwartete sie,<lb/>
daß ihr jemand folge. Dies hatte Elters Verdacht erregt. Am folgenden<lb/>
Tagen beobachtete sie die Tochter aufmerksam, und sie glaubte wirklich, etwas<lb/>
Zerstreutes, Unruhiges an ihr zu spüren. Jeder Schritt auf ihrem Wege<lb/>
schien sie zu beunruhigen, wenn sie aber in Gedanken versunken war, umspielte<lb/>
ihren Mund ein eigentümliches Lächeln, ihre Wangen bekamen Farbe, und in<lb/>
ihren Augen lag ein Glanz, den Ellen voller Schrecken zu kennen glaubte.<lb/>
Auch hatte sie mit auffallendem Eifer angefangen, Reisig und Tannenäpfel im<lb/>
Walde zu suchen, ging aber stets mit glattgekämmtem Haar und in Strümpfen<lb/>
hinaus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_985"> Eines Tages endlich fand die Mutter ein buntseidenes Taschentuch in<lb/>
ihrem Schubfach, und als sie sie vorsichtig fragte, woher sie das habe, ant¬<lb/>
wortete sie nicht, sondern verließ trällernd das Zimmer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_986"> Eine entsetzliche Angst überkam Ellen. Die Sorge um das Schicksal dieses<lb/>
Kindes, das einzige, menschliche Gefühl, das ihr noch geblieben war, erwachte<lb/>
verstärkt in ihrer Brust. Eine schwache Erinnerung an den furchtbaren Jammer<lb/>
ihrer eignen Jugend zog gespensterhaft durch ihre halb erloschene Seele, und<lb/>
sie erbebte vor Schreck. Was ist mir geschehen? war die Frage, die sie siel,<lb/>
wieder und wieder stellte. Sie suchte sich durch Blicke und Mienen Aufklärung<lb/>
zu verschaffen, sie bewachte, soweit sie es vermochte, jeden Schritt Mnrthas;<lb/>
IN mitten in der Nacht konnte sie sich vom Bett erheben und hinausschleichen,<lb/>
um an ihrer Kammerthür zu lauschen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_987"> Aber drinnen war alles still. Und wenn sie vorsichtig die Thür öffnete,<lb/>
so fand sie das Kind in ungestörtem, tiefem Schlafe, mit einem ruhigen lächeln<lb/>
um den Mund, als umschwebte» sie selige Träume.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> «</head><lb/>
            <p xml:id="ID_988"> Einige Tage nach Jespers Besuch bei der Krug-Elle» stand Martha vor<lb/>
einem kleinen Spiegel, der am Fensterpsvsten in der Gaststube hing, und flocht<lb/>
ihr langes Haar. Sie war im Hemd und nur mit einem roten Unterrock be¬<lb/>
kleidet. Ihr Hals und ihre Arme waren bloß. Wenn ihr seliger Vater sie<lb/>
in diesem Augenblicke hätte sehen können, würde er sich gefreut habe», wie sie<lb/>
heranreifte.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 16»9 37</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0297] Junge Liebe Die einzige, der er sich anvertraute, war Marthas Mutter, Krug-Ellen, wie sie noch genannt wurde. Aber mit der ging es offenbar stark bergab. Sie hörte seinen Auseinandersetzungen mit unruhigem, verstörtem Blicke zu, der Jesper zu der Überzeugung brachte, daß sie betrunken sei. Und als er fort war, erhob sie sich mit ungewöhnlicher Hast, sah mehrmals aus dem Fenster und spähte ängstlich nach allen Seiten. Der Grund dazu war folgender. Eines Tages, als sie im Torfschauer stand, sah sie plötzlich Martha eiligen Schrittes mit glühenden Wangen ans dem Walde kommen und sich oft und verstohlen umsehen, als. erwartete sie, daß ihr jemand folge. Dies hatte Elters Verdacht erregt. Am folgenden Tagen beobachtete sie die Tochter aufmerksam, und sie glaubte wirklich, etwas Zerstreutes, Unruhiges an ihr zu spüren. Jeder Schritt auf ihrem Wege schien sie zu beunruhigen, wenn sie aber in Gedanken versunken war, umspielte ihren Mund ein eigentümliches Lächeln, ihre Wangen bekamen Farbe, und in ihren Augen lag ein Glanz, den Ellen voller Schrecken zu kennen glaubte. Auch hatte sie mit auffallendem Eifer angefangen, Reisig und Tannenäpfel im Walde zu suchen, ging aber stets mit glattgekämmtem Haar und in Strümpfen hinaus. Eines Tages endlich fand die Mutter ein buntseidenes Taschentuch in ihrem Schubfach, und als sie sie vorsichtig fragte, woher sie das habe, ant¬ wortete sie nicht, sondern verließ trällernd das Zimmer. Eine entsetzliche Angst überkam Ellen. Die Sorge um das Schicksal dieses Kindes, das einzige, menschliche Gefühl, das ihr noch geblieben war, erwachte verstärkt in ihrer Brust. Eine schwache Erinnerung an den furchtbaren Jammer ihrer eignen Jugend zog gespensterhaft durch ihre halb erloschene Seele, und sie erbebte vor Schreck. Was ist mir geschehen? war die Frage, die sie siel, wieder und wieder stellte. Sie suchte sich durch Blicke und Mienen Aufklärung zu verschaffen, sie bewachte, soweit sie es vermochte, jeden Schritt Mnrthas; IN mitten in der Nacht konnte sie sich vom Bett erheben und hinausschleichen, um an ihrer Kammerthür zu lauschen. Aber drinnen war alles still. Und wenn sie vorsichtig die Thür öffnete, so fand sie das Kind in ungestörtem, tiefem Schlafe, mit einem ruhigen lächeln um den Mund, als umschwebte» sie selige Träume. « Einige Tage nach Jespers Besuch bei der Krug-Elle» stand Martha vor einem kleinen Spiegel, der am Fensterpsvsten in der Gaststube hing, und flocht ihr langes Haar. Sie war im Hemd und nur mit einem roten Unterrock be¬ kleidet. Ihr Hals und ihre Arme waren bloß. Wenn ihr seliger Vater sie in diesem Augenblicke hätte sehen können, würde er sich gefreut habe», wie sie heranreifte. Grenzboten IV 16»9 37

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/297
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/297>, abgerufen am 23.06.2024.