Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die französische Emigration
und die öffentliche Meinung in Deutschland
von Woldemar Wenck

cum sorgliche Gemüter schon in den ersten neunziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts allenthalben auf deutschem Boden eine
rastlos thätige geheime Propaganda französischer Revolutionärs
zu verspüren glaubten, so mochten humoristisch gestimmte Freunde
der Revolution sich mitunter von einer "Propaganda wider
Willen" unterhalten, die gleichfalls zum Besten der Revolutionssache, gleichfalls
von Franzosen, aber am hellen Tage und durch den bloßen Eindruck ihrer
Erscheinung und ihres Gebnhrens ans deutschem Boden ausgeübt wurde.
Das Mißfallen und der Anstoß, den diese Franzosen erregten, wirkte in der
öffentlichen Meinung zu Gunsten der Sache, vor deren Siege sie ans ihrer
Heimat entwichen waren. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß hier die
französische Emigration, namentlich der vornehmere Teil derselben, Prinzen,
Edelleute, Prälaten gemeint sind; es sind die, die der neulich von mir in
diesen Blättern erwähnte "Aufruf der freigewordenen Franken an die Deutschen"
nnter den "stolzen Vösewichtern" versteht,' vor deren Unterstützung er die
Deutschen warnt.

Ich habe früher bemerkt, daß in vielen Gebildeten die Parteinahme für
die französische Revolution, trotz aller Übel und Verbrechen, die sie mit sich
führte, durch die Überzeugung befestigt worden sei, daß als der Übel aller¬
größtes doch die Rückkehr der alten Zustände, die von der Niederwerfung der
Revolution zu erwarten sei, augesehen werden müsse. Nichts konnte nun zur
Stärkung dieser Überzeugung kräftiger wirken, als die Art, wie man hier
Franzosen von denjenigen Klassen und Rangordnungen, in denen die Welt die
vorzüglichsten Träger und Nutznießer jener Zustände zu erblicken gewohnt war,
in größerer Menge auf deutschem Boden kennen zu lernen Gelegenheit hatte.

Ans die Entstehung der französischen Emigration näher einzugehen, liegt
nicht in meiner Absicht. Nur insofern diese Emigration und was sich an sie
anknüpfte, zur Bestimmung des deutschen Urteils über die französische Revo¬
lution nud die ihr widerstrebenden Elemente sowie auch über Deutschlands
eigne Zustände mitwirkte, kommt hier der Gegenstand in Frage.




Die französische Emigration
und die öffentliche Meinung in Deutschland
von Woldemar Wenck

cum sorgliche Gemüter schon in den ersten neunziger Jahren des
vorigen Jahrhunderts allenthalben auf deutschem Boden eine
rastlos thätige geheime Propaganda französischer Revolutionärs
zu verspüren glaubten, so mochten humoristisch gestimmte Freunde
der Revolution sich mitunter von einer „Propaganda wider
Willen" unterhalten, die gleichfalls zum Besten der Revolutionssache, gleichfalls
von Franzosen, aber am hellen Tage und durch den bloßen Eindruck ihrer
Erscheinung und ihres Gebnhrens ans deutschem Boden ausgeübt wurde.
Das Mißfallen und der Anstoß, den diese Franzosen erregten, wirkte in der
öffentlichen Meinung zu Gunsten der Sache, vor deren Siege sie ans ihrer
Heimat entwichen waren. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß hier die
französische Emigration, namentlich der vornehmere Teil derselben, Prinzen,
Edelleute, Prälaten gemeint sind; es sind die, die der neulich von mir in
diesen Blättern erwähnte „Aufruf der freigewordenen Franken an die Deutschen"
nnter den „stolzen Vösewichtern" versteht,' vor deren Unterstützung er die
Deutschen warnt.

Ich habe früher bemerkt, daß in vielen Gebildeten die Parteinahme für
die französische Revolution, trotz aller Übel und Verbrechen, die sie mit sich
führte, durch die Überzeugung befestigt worden sei, daß als der Übel aller¬
größtes doch die Rückkehr der alten Zustände, die von der Niederwerfung der
Revolution zu erwarten sei, augesehen werden müsse. Nichts konnte nun zur
Stärkung dieser Überzeugung kräftiger wirken, als die Art, wie man hier
Franzosen von denjenigen Klassen und Rangordnungen, in denen die Welt die
vorzüglichsten Träger und Nutznießer jener Zustände zu erblicken gewohnt war,
in größerer Menge auf deutschem Boden kennen zu lernen Gelegenheit hatte.

Ans die Entstehung der französischen Emigration näher einzugehen, liegt
nicht in meiner Absicht. Nur insofern diese Emigration und was sich an sie
anknüpfte, zur Bestimmung des deutschen Urteils über die französische Revo¬
lution nud die ihr widerstrebenden Elemente sowie auch über Deutschlands
eigne Zustände mitwirkte, kommt hier der Gegenstand in Frage.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206174"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_205998/figures/grenzboten_341849_205998_206174_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die französische Emigration<lb/>
und die öffentliche Meinung in Deutschland<lb/><note type="byline"> von Woldemar Wenck</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_637"> cum sorgliche Gemüter schon in den ersten neunziger Jahren des<lb/>
vorigen Jahrhunderts allenthalben auf deutschem Boden eine<lb/>
rastlos thätige geheime Propaganda französischer Revolutionärs<lb/>
zu verspüren glaubten, so mochten humoristisch gestimmte Freunde<lb/>
der Revolution sich mitunter von einer &#x201E;Propaganda wider<lb/>
Willen" unterhalten, die gleichfalls zum Besten der Revolutionssache, gleichfalls<lb/>
von Franzosen, aber am hellen Tage und durch den bloßen Eindruck ihrer<lb/>
Erscheinung und ihres Gebnhrens ans deutschem Boden ausgeübt wurde.<lb/>
Das Mißfallen und der Anstoß, den diese Franzosen erregten, wirkte in der<lb/>
öffentlichen Meinung zu Gunsten der Sache, vor deren Siege sie ans ihrer<lb/>
Heimat entwichen waren. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß hier die<lb/>
französische Emigration, namentlich der vornehmere Teil derselben, Prinzen,<lb/>
Edelleute, Prälaten gemeint sind; es sind die, die der neulich von mir in<lb/>
diesen Blättern erwähnte &#x201E;Aufruf der freigewordenen Franken an die Deutschen"<lb/>
nnter den &#x201E;stolzen Vösewichtern" versteht,' vor deren Unterstützung er die<lb/>
Deutschen warnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Ich habe früher bemerkt, daß in vielen Gebildeten die Parteinahme für<lb/>
die französische Revolution, trotz aller Übel und Verbrechen, die sie mit sich<lb/>
führte, durch die Überzeugung befestigt worden sei, daß als der Übel aller¬<lb/>
größtes doch die Rückkehr der alten Zustände, die von der Niederwerfung der<lb/>
Revolution zu erwarten sei, augesehen werden müsse. Nichts konnte nun zur<lb/>
Stärkung dieser Überzeugung kräftiger wirken, als die Art, wie man hier<lb/>
Franzosen von denjenigen Klassen und Rangordnungen, in denen die Welt die<lb/>
vorzüglichsten Träger und Nutznießer jener Zustände zu erblicken gewohnt war,<lb/>
in größerer Menge auf deutschem Boden kennen zu lernen Gelegenheit hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639"> Ans die Entstehung der französischen Emigration näher einzugehen, liegt<lb/>
nicht in meiner Absicht. Nur insofern diese Emigration und was sich an sie<lb/>
anknüpfte, zur Bestimmung des deutschen Urteils über die französische Revo¬<lb/>
lution nud die ihr widerstrebenden Elemente sowie auch über Deutschlands<lb/>
eigne Zustände mitwirkte, kommt hier der Gegenstand in Frage.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0175] [Abbildung] Die französische Emigration und die öffentliche Meinung in Deutschland von Woldemar Wenck cum sorgliche Gemüter schon in den ersten neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts allenthalben auf deutschem Boden eine rastlos thätige geheime Propaganda französischer Revolutionärs zu verspüren glaubten, so mochten humoristisch gestimmte Freunde der Revolution sich mitunter von einer „Propaganda wider Willen" unterhalten, die gleichfalls zum Besten der Revolutionssache, gleichfalls von Franzosen, aber am hellen Tage und durch den bloßen Eindruck ihrer Erscheinung und ihres Gebnhrens ans deutschem Boden ausgeübt wurde. Das Mißfallen und der Anstoß, den diese Franzosen erregten, wirkte in der öffentlichen Meinung zu Gunsten der Sache, vor deren Siege sie ans ihrer Heimat entwichen waren. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß hier die französische Emigration, namentlich der vornehmere Teil derselben, Prinzen, Edelleute, Prälaten gemeint sind; es sind die, die der neulich von mir in diesen Blättern erwähnte „Aufruf der freigewordenen Franken an die Deutschen" nnter den „stolzen Vösewichtern" versteht,' vor deren Unterstützung er die Deutschen warnt. Ich habe früher bemerkt, daß in vielen Gebildeten die Parteinahme für die französische Revolution, trotz aller Übel und Verbrechen, die sie mit sich führte, durch die Überzeugung befestigt worden sei, daß als der Übel aller¬ größtes doch die Rückkehr der alten Zustände, die von der Niederwerfung der Revolution zu erwarten sei, augesehen werden müsse. Nichts konnte nun zur Stärkung dieser Überzeugung kräftiger wirken, als die Art, wie man hier Franzosen von denjenigen Klassen und Rangordnungen, in denen die Welt die vorzüglichsten Träger und Nutznießer jener Zustände zu erblicken gewohnt war, in größerer Menge auf deutschem Boden kennen zu lernen Gelegenheit hatte. Ans die Entstehung der französischen Emigration näher einzugehen, liegt nicht in meiner Absicht. Nur insofern diese Emigration und was sich an sie anknüpfte, zur Bestimmung des deutschen Urteils über die französische Revo¬ lution nud die ihr widerstrebenden Elemente sowie auch über Deutschlands eigne Zustände mitwirkte, kommt hier der Gegenstand in Frage.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/175
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/175>, abgerufen am 23.06.2024.