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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Instizorganisation von ^87y in ministerieller Beleuchtung

Charakters ist. Jedenfalls ist durch den neuen Prozeß eine Unzahl von Formali¬
täten ins Leben gerufen worden, an denen jederzeit das gute Recht scheitern
kann, und wie die Erfahrung lehrt, auch nicht selten wirklich scheitert. Diese
Gefahren allein schon lassen keinen Zweifel, daß die heutige Rechtsprechung im
Vergleich mit der frühern nicht besser, sondern schlechter geworden ist.

Wenn aber wirklich, wie der Bericht annimmt, durch die neuen Formen
die Rechtsprechung so sehr erleichtert wäre, woher kommt es denn, daß, wie
wir oben gesehen haben, heute die Rechtssachen so viel mehr um Kräften in
Auspruch nehmen? Darin liegt doch ein seltsamer Widerspruch. Der über¬
mäßige Kräfteverbrauch hat zunächst seinen Grund in der mangelnden Ordnung
des Ganzem Es ist wahrhaft bedauerlich, wie Richter und Anwälte ihre Zeit
und Kraft vergeuden müssen. Ein weiterer Grund liegt in der Weitschweifig-,
keit der Verhandlungen, die wiederum, wenigstens zum Teil, auf der unge-
nügenden Vorbereitung der Sachen beruht. Die Zeit der Richter aber wird
"och besonders belastet dnrch die Anfertigung des Thatbestandes, die, wenn
anders der Richter sich der damit verbundnen Verantwortlichkeit bewußt ist,
eine äußerst schwierige Arbeit ist. Das alles könnte bei verständigem Ein¬
richtungen, unbeschadet aller Mündlichkeit, anders sein.


7

Einen seltsamen Beweis für den Wert des neuen Verfahrens tritt der
Bericht noch in folgender Weise an. Er sagt: "Als ein sicherer Beweis dafür,
daß wir in der Zivilprozeßordnung ein wertvolles nationales Gut besitzen,
darf wohl die Thatsache gelten, daß dieses Gesetz der deutschen Prozeßwissen¬
schaft eine überaus fruchtbare Anregung gegeben hat. Unter der Herrschaft
der allgemeinen Gerichtsordnung wurde für deu wissenschaftlichen Ausbau des
Prozeßrechts wenig geleistet, und auch im Gebiete des gemeinen Rechts hatten
sich die wissenschaftlichen Forschungen mit größerer Vorliebe und mit reicherem
Erfolge der Entwicklung des materiellen Rechts als dem des Prozeßrechts zu¬
gewendet. Hierin ist, seitdem die Zivilprozeßordnung in Übung ist, eine be¬
merkenswerte Änderung eingetreten. In allen Teilen Dentschlands ist die
Neigung zu prvzessnaleu Studien in überraschendem Maße erwacht, und die
der Zivilprozeßordnung gewidmete umfangreiche Litteratur weist Arbeiten von
hoher Bedeutung auf, ja es gehört eine Anzahl von Kommentaren vielleicht
zu deu beste,: Erzeugnissen dieses Zweiges der juristischen Litteratur. Zahl¬
reiche Monographien enthalten verdienstvolle Untersuchungen" u. s. w.

Dieser ganzen Anschauung möchte ich die andre gegenüberstellen, daß es
sich mit einer Prozeßordnung ungefähr ebenso verhält wie mit einer Frau.
Die beste ist die, von der mau am wenigsten spricht. Dabei soll das, was in
dem Berichte Wahres enthalten ist, keineswegs verkannt werden. War einmal
die Zivilprozeßordnung gegeben, so war es gewiß dankenswert, daß sich Männer


Die Instizorganisation von ^87y in ministerieller Beleuchtung

Charakters ist. Jedenfalls ist durch den neuen Prozeß eine Unzahl von Formali¬
täten ins Leben gerufen worden, an denen jederzeit das gute Recht scheitern
kann, und wie die Erfahrung lehrt, auch nicht selten wirklich scheitert. Diese
Gefahren allein schon lassen keinen Zweifel, daß die heutige Rechtsprechung im
Vergleich mit der frühern nicht besser, sondern schlechter geworden ist.

Wenn aber wirklich, wie der Bericht annimmt, durch die neuen Formen
die Rechtsprechung so sehr erleichtert wäre, woher kommt es denn, daß, wie
wir oben gesehen haben, heute die Rechtssachen so viel mehr um Kräften in
Auspruch nehmen? Darin liegt doch ein seltsamer Widerspruch. Der über¬
mäßige Kräfteverbrauch hat zunächst seinen Grund in der mangelnden Ordnung
des Ganzem Es ist wahrhaft bedauerlich, wie Richter und Anwälte ihre Zeit
und Kraft vergeuden müssen. Ein weiterer Grund liegt in der Weitschweifig-,
keit der Verhandlungen, die wiederum, wenigstens zum Teil, auf der unge-
nügenden Vorbereitung der Sachen beruht. Die Zeit der Richter aber wird
«och besonders belastet dnrch die Anfertigung des Thatbestandes, die, wenn
anders der Richter sich der damit verbundnen Verantwortlichkeit bewußt ist,
eine äußerst schwierige Arbeit ist. Das alles könnte bei verständigem Ein¬
richtungen, unbeschadet aller Mündlichkeit, anders sein.


7

Einen seltsamen Beweis für den Wert des neuen Verfahrens tritt der
Bericht noch in folgender Weise an. Er sagt: „Als ein sicherer Beweis dafür,
daß wir in der Zivilprozeßordnung ein wertvolles nationales Gut besitzen,
darf wohl die Thatsache gelten, daß dieses Gesetz der deutschen Prozeßwissen¬
schaft eine überaus fruchtbare Anregung gegeben hat. Unter der Herrschaft
der allgemeinen Gerichtsordnung wurde für deu wissenschaftlichen Ausbau des
Prozeßrechts wenig geleistet, und auch im Gebiete des gemeinen Rechts hatten
sich die wissenschaftlichen Forschungen mit größerer Vorliebe und mit reicherem
Erfolge der Entwicklung des materiellen Rechts als dem des Prozeßrechts zu¬
gewendet. Hierin ist, seitdem die Zivilprozeßordnung in Übung ist, eine be¬
merkenswerte Änderung eingetreten. In allen Teilen Dentschlands ist die
Neigung zu prvzessnaleu Studien in überraschendem Maße erwacht, und die
der Zivilprozeßordnung gewidmete umfangreiche Litteratur weist Arbeiten von
hoher Bedeutung auf, ja es gehört eine Anzahl von Kommentaren vielleicht
zu deu beste,: Erzeugnissen dieses Zweiges der juristischen Litteratur. Zahl¬
reiche Monographien enthalten verdienstvolle Untersuchungen" u. s. w.

Dieser ganzen Anschauung möchte ich die andre gegenüberstellen, daß es
sich mit einer Prozeßordnung ungefähr ebenso verhält wie mit einer Frau.
Die beste ist die, von der mau am wenigsten spricht. Dabei soll das, was in
dem Berichte Wahres enthalten ist, keineswegs verkannt werden. War einmal
die Zivilprozeßordnung gegeben, so war es gewiß dankenswert, daß sich Männer


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[0132] Die Instizorganisation von ^87y in ministerieller Beleuchtung Charakters ist. Jedenfalls ist durch den neuen Prozeß eine Unzahl von Formali¬ täten ins Leben gerufen worden, an denen jederzeit das gute Recht scheitern kann, und wie die Erfahrung lehrt, auch nicht selten wirklich scheitert. Diese Gefahren allein schon lassen keinen Zweifel, daß die heutige Rechtsprechung im Vergleich mit der frühern nicht besser, sondern schlechter geworden ist. Wenn aber wirklich, wie der Bericht annimmt, durch die neuen Formen die Rechtsprechung so sehr erleichtert wäre, woher kommt es denn, daß, wie wir oben gesehen haben, heute die Rechtssachen so viel mehr um Kräften in Auspruch nehmen? Darin liegt doch ein seltsamer Widerspruch. Der über¬ mäßige Kräfteverbrauch hat zunächst seinen Grund in der mangelnden Ordnung des Ganzem Es ist wahrhaft bedauerlich, wie Richter und Anwälte ihre Zeit und Kraft vergeuden müssen. Ein weiterer Grund liegt in der Weitschweifig-, keit der Verhandlungen, die wiederum, wenigstens zum Teil, auf der unge- nügenden Vorbereitung der Sachen beruht. Die Zeit der Richter aber wird «och besonders belastet dnrch die Anfertigung des Thatbestandes, die, wenn anders der Richter sich der damit verbundnen Verantwortlichkeit bewußt ist, eine äußerst schwierige Arbeit ist. Das alles könnte bei verständigem Ein¬ richtungen, unbeschadet aller Mündlichkeit, anders sein. 7 Einen seltsamen Beweis für den Wert des neuen Verfahrens tritt der Bericht noch in folgender Weise an. Er sagt: „Als ein sicherer Beweis dafür, daß wir in der Zivilprozeßordnung ein wertvolles nationales Gut besitzen, darf wohl die Thatsache gelten, daß dieses Gesetz der deutschen Prozeßwissen¬ schaft eine überaus fruchtbare Anregung gegeben hat. Unter der Herrschaft der allgemeinen Gerichtsordnung wurde für deu wissenschaftlichen Ausbau des Prozeßrechts wenig geleistet, und auch im Gebiete des gemeinen Rechts hatten sich die wissenschaftlichen Forschungen mit größerer Vorliebe und mit reicherem Erfolge der Entwicklung des materiellen Rechts als dem des Prozeßrechts zu¬ gewendet. Hierin ist, seitdem die Zivilprozeßordnung in Übung ist, eine be¬ merkenswerte Änderung eingetreten. In allen Teilen Dentschlands ist die Neigung zu prvzessnaleu Studien in überraschendem Maße erwacht, und die der Zivilprozeßordnung gewidmete umfangreiche Litteratur weist Arbeiten von hoher Bedeutung auf, ja es gehört eine Anzahl von Kommentaren vielleicht zu deu beste,: Erzeugnissen dieses Zweiges der juristischen Litteratur. Zahl¬ reiche Monographien enthalten verdienstvolle Untersuchungen" u. s. w. Dieser ganzen Anschauung möchte ich die andre gegenüberstellen, daß es sich mit einer Prozeßordnung ungefähr ebenso verhält wie mit einer Frau. Die beste ist die, von der mau am wenigsten spricht. Dabei soll das, was in dem Berichte Wahres enthalten ist, keineswegs verkannt werden. War einmal die Zivilprozeßordnung gegeben, so war es gewiß dankenswert, daß sich Männer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/132>, abgerufen am 23.06.2024.