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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern
von Franz Pfalz (Schluß)

C>M>s Thoasen ganzen ersten Aufzug erfüllt die Bewerbung des König
um die Hand Jphigeniens. Goethe war nicht wie Euripides an
die Etikette des griechischen Theaters gebunden, die die Bewer¬
bung des Barbaren um die Hand der Griechin für eine Kränkung
der nationalen Eitelkeit erklärt Hütte, ihm war der "erdgeborue
Wilde" ein wichtiges Glied in der Charalterverkettung des Dramas. Nach seiner
Weise verflicht er die Exposition mit dieser Bewerbung, indem Iphigenie dem
König ihre Abkunft von dem unseligen Geschlechte des Tantalvs ausführlich
darlegt, um ihn abzuschrecken. Die irdische, sinnliche Liebe berührt ihr Herz
nicht, das sich in der Sehnsucht nach Vaterland und Vaterhaus verzehrt. Sie
hat Großes gethan, hat dnrch die Macht echter Humanität den König be¬
wogen, die gräßlichen Menschenopfer abzuschaffen, hat so den Dienst der Göttin
Artemis veredelt, dennoch dient sie der Göttin ungern und hält ihr Leben
für verloren, wenn sie nicht heimkehren kann zu den ihrigen: ein feiner Zug
hoher Weiblichkeit, der allein schon hinreichen würde, den deutschen Dichter
weit über den Griechen zu erheben. Allein die Situationen des ersten Aktes
sind nur die Stufen, auf denen der Leser oder Hörer zur eigentlichen Jphigenien-
gestalt hinaufsteigt.

Der zweite Aufzug führt zur Erkennung hinüber, bereitet sie vor. Die
Charakteristik Jphigeniens erfährt keine Steigerung, nur eine tiefe Gemüts¬
erregung wird sichtbar, als Pylades, von Trojas Fall erzählend, auch die
Untreue der Klytämnestra und den schmählichen Tod Agamenmons erwähnt:
Iphigenie verhüllt ihr Haupt und geht in den Tempel, ohne sich zu erkennen
zu geben. Der ganze kurze Akt ist dem Pylades gewidmet, diesem Odysseus,
wie Orest ihn nennt, dem "List und Klugheit nicht den Mann zu schänden
scheinen." Pylades ist der zärtliche Freund, der unermüdliche Helfer, der nie
verzagende Ratgeber. Goethe hat diesen bei Euripides nur angedeuteten Cha¬
rakter sehr glücklich ausgenutzt, Pylades bringt Leben und Bewegung in die
Handlung und bildet einen herrlichen Kontrast zu Orests Trübsinn. Seine




Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern
von Franz Pfalz (Schluß)

C>M>s Thoasen ganzen ersten Aufzug erfüllt die Bewerbung des König
um die Hand Jphigeniens. Goethe war nicht wie Euripides an
die Etikette des griechischen Theaters gebunden, die die Bewer¬
bung des Barbaren um die Hand der Griechin für eine Kränkung
der nationalen Eitelkeit erklärt Hütte, ihm war der „erdgeborue
Wilde" ein wichtiges Glied in der Charalterverkettung des Dramas. Nach seiner
Weise verflicht er die Exposition mit dieser Bewerbung, indem Iphigenie dem
König ihre Abkunft von dem unseligen Geschlechte des Tantalvs ausführlich
darlegt, um ihn abzuschrecken. Die irdische, sinnliche Liebe berührt ihr Herz
nicht, das sich in der Sehnsucht nach Vaterland und Vaterhaus verzehrt. Sie
hat Großes gethan, hat dnrch die Macht echter Humanität den König be¬
wogen, die gräßlichen Menschenopfer abzuschaffen, hat so den Dienst der Göttin
Artemis veredelt, dennoch dient sie der Göttin ungern und hält ihr Leben
für verloren, wenn sie nicht heimkehren kann zu den ihrigen: ein feiner Zug
hoher Weiblichkeit, der allein schon hinreichen würde, den deutschen Dichter
weit über den Griechen zu erheben. Allein die Situationen des ersten Aktes
sind nur die Stufen, auf denen der Leser oder Hörer zur eigentlichen Jphigenien-
gestalt hinaufsteigt.

Der zweite Aufzug führt zur Erkennung hinüber, bereitet sie vor. Die
Charakteristik Jphigeniens erfährt keine Steigerung, nur eine tiefe Gemüts¬
erregung wird sichtbar, als Pylades, von Trojas Fall erzählend, auch die
Untreue der Klytämnestra und den schmählichen Tod Agamenmons erwähnt:
Iphigenie verhüllt ihr Haupt und geht in den Tempel, ohne sich zu erkennen
zu geben. Der ganze kurze Akt ist dem Pylades gewidmet, diesem Odysseus,
wie Orest ihn nennt, dem „List und Klugheit nicht den Mann zu schänden
scheinen." Pylades ist der zärtliche Freund, der unermüdliche Helfer, der nie
verzagende Ratgeber. Goethe hat diesen bei Euripides nur angedeuteten Cha¬
rakter sehr glücklich ausgenutzt, Pylades bringt Leben und Bewegung in die
Handlung und bildet einen herrlichen Kontrast zu Orests Trübsinn. Seine


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[0559] [Abbildung] Goethes Wettkampf mit den griechischen Dichtern von Franz Pfalz (Schluß) C>M>s Thoasen ganzen ersten Aufzug erfüllt die Bewerbung des König um die Hand Jphigeniens. Goethe war nicht wie Euripides an die Etikette des griechischen Theaters gebunden, die die Bewer¬ bung des Barbaren um die Hand der Griechin für eine Kränkung der nationalen Eitelkeit erklärt Hütte, ihm war der „erdgeborue Wilde" ein wichtiges Glied in der Charalterverkettung des Dramas. Nach seiner Weise verflicht er die Exposition mit dieser Bewerbung, indem Iphigenie dem König ihre Abkunft von dem unseligen Geschlechte des Tantalvs ausführlich darlegt, um ihn abzuschrecken. Die irdische, sinnliche Liebe berührt ihr Herz nicht, das sich in der Sehnsucht nach Vaterland und Vaterhaus verzehrt. Sie hat Großes gethan, hat dnrch die Macht echter Humanität den König be¬ wogen, die gräßlichen Menschenopfer abzuschaffen, hat so den Dienst der Göttin Artemis veredelt, dennoch dient sie der Göttin ungern und hält ihr Leben für verloren, wenn sie nicht heimkehren kann zu den ihrigen: ein feiner Zug hoher Weiblichkeit, der allein schon hinreichen würde, den deutschen Dichter weit über den Griechen zu erheben. Allein die Situationen des ersten Aktes sind nur die Stufen, auf denen der Leser oder Hörer zur eigentlichen Jphigenien- gestalt hinaufsteigt. Der zweite Aufzug führt zur Erkennung hinüber, bereitet sie vor. Die Charakteristik Jphigeniens erfährt keine Steigerung, nur eine tiefe Gemüts¬ erregung wird sichtbar, als Pylades, von Trojas Fall erzählend, auch die Untreue der Klytämnestra und den schmählichen Tod Agamenmons erwähnt: Iphigenie verhüllt ihr Haupt und geht in den Tempel, ohne sich zu erkennen zu geben. Der ganze kurze Akt ist dem Pylades gewidmet, diesem Odysseus, wie Orest ihn nennt, dem „List und Klugheit nicht den Mann zu schänden scheinen." Pylades ist der zärtliche Freund, der unermüdliche Helfer, der nie verzagende Ratgeber. Goethe hat diesen bei Euripides nur angedeuteten Cha¬ rakter sehr glücklich ausgenutzt, Pylades bringt Leben und Bewegung in die Handlung und bildet einen herrlichen Kontrast zu Orests Trübsinn. Seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/559>, abgerufen am 05.02.2025.