Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde Es Wäre um nicht allem vom kulturgeschichtlichen Standpunkte bedauerlich, 3 Man sollte nun meinen, daß die Regierungen ein naheliegendes Interesse Der erschreckende und um manchen Orten geradezu grauenhafte Niedergang der Sitt¬
lichkeit unter dem dänischen Gesinde hangt wesentlich mit den Fortschritten dieser Scheidung zusammen, welche Knecht und Magd, indem sie diese vom Tisch und aus der Stube des Bauern verweist, seiner Aufsicht und Zucht entzieht, und die Ausbildung eines zügellosen Korpsgeistes befördert, dessen entsittlichenden Einwirkungen und Verführungen die Einzelnen sich, auch wenn sie wollen, nicht entziehen können. Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde Es Wäre um nicht allem vom kulturgeschichtlichen Standpunkte bedauerlich, 3 Man sollte nun meinen, daß die Regierungen ein naheliegendes Interesse Der erschreckende und um manchen Orten geradezu grauenhafte Niedergang der Sitt¬
lichkeit unter dem dänischen Gesinde hangt wesentlich mit den Fortschritten dieser Scheidung zusammen, welche Knecht und Magd, indem sie diese vom Tisch und aus der Stube des Bauern verweist, seiner Aufsicht und Zucht entzieht, und die Ausbildung eines zügellosen Korpsgeistes befördert, dessen entsittlichenden Einwirkungen und Verführungen die Einzelnen sich, auch wenn sie wollen, nicht entziehen können. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0502" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205233"/> <fw type="header" place="top"> Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde</fw><lb/> <p xml:id="ID_1392"> Es Wäre um nicht allem vom kulturgeschichtlichen Standpunkte bedauerlich,<lb/> wenn ein so merkwürdiges Denkmal der Vorzeit stürzen sollte, die Zertrümme¬<lb/> rung dieses Gefäßes, in welchem eine lange Folge von Jahrhunderten einen<lb/> so eigenartigen Inhalt von echt bäuerlicher Sinnesart und Wirtschaft aufbe¬<lb/> wahrt hat, wäre auch vom sozialen Gesichtspunkte aus tief zu beklagen.<lb/> Wenn Meitzen in dem Vordringen des fränkischen Hauses einen anerkennens¬<lb/> werten Kulturfortschritt erkennen will, so wird man uns nicht Unrecht geben,<lb/> wenn wir in dein Zerfall der alten Einbänden zugleich das Anzeichen einer<lb/> Zersetzung erblicken, die sich in den altbäuerlichen Kreisen und innerhalb des<lb/> bäuerlichen Geistes vollzieht, einer Zersetzung, der wiederum jener Zerfall des<lb/> alten Gehäuses den stärksten Vorschub leisten mich. Insbesondre der nieder-<lb/> sächsische Bauer ist ohne sein altes Haus kaun: zu denken, er erscheint damit<lb/> so sehr verwachsen, es hängt so mancherlei auch von sittlichem. Lebensinhalt<lb/> drum und dran, daß der Verlust notwendig dem Gleichgewicht seines bäuer¬<lb/> lichen Wesens einen schweren Stoß versetzen muß, von dem er sich vielleicht<lb/> nie vollständig erholen wird. Ich möchte nur auf das eine hinweisen, daß<lb/> die Ausführung eines besondern Wohnhauses der Scheidung der Herrschaft vom<lb/> Gesinde den größten Vorschub leistet: das Haus bleibt der Herrschaft vorbehalte«,<lb/> das Gesinde wird in den Stall oder doch in Nebengebäude verwiesen, während<lb/> der Einbau mehr Berührungspunkte bietet und einen engern Zusammenschluß<lb/> auch in sittlicher Beziehung ermöglicht und befördert.")</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 3</head><lb/> <p xml:id="ID_1393" next="#ID_1394"> Man sollte nun meinen, daß die Regierungen ein naheliegendes Interesse<lb/> hätten, auch auf diesem Gebiete einen weitern Zusammenbruch des Bestehenden<lb/> und fernere Überstürzungen hintanzuhalten, die Entwicklung in eine ruhigere,<lb/> beharrlichere Bahn zu lenken und den alten Einbänden in ihrem Notstände zu<lb/> Hilfe zu kommen. Und nicht nur den Einbänden, sondern dem Bauer selbst,<lb/> der heute leicht in die Lage kommen kann, von der Wucht der Zeitströmunq<lb/> und der Gewalt der wirtschaftlichen llmwälzungen überrumpelt zu werden, das<lb/> Kind mit dem Bade auszuschütten und den alten Einbau falle» zu lassen,<lb/> nicht weil er sich nicht entwickeln und anpassen könnte, sondern mir, weil der<lb/> Bauer ihn in der Geschwindigkeit nicht zu entwickeln und anzupassen weiß.<lb/> Zu einem solchen Zwecke würde es sich vor allein andern empfehlen, das Bei¬<lb/> spiel der österreichischen Regierung nachzuahmen und mit der Ausarbeitung nud</p><lb/> <note xml:id="FID_68" place="foot"> Der erschreckende und um manchen Orten geradezu grauenhafte Niedergang der Sitt¬<lb/> lichkeit unter dem dänischen Gesinde hangt wesentlich mit den Fortschritten dieser Scheidung<lb/> zusammen, welche Knecht und Magd, indem sie diese vom Tisch und aus der Stube des Bauern<lb/> verweist, seiner Aufsicht und Zucht entzieht, und die Ausbildung eines zügellosen Korpsgeistes<lb/> befördert, dessen entsittlichenden Einwirkungen und Verführungen die Einzelnen sich, auch wenn<lb/> sie wollen, nicht entziehen können.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0502]
Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde
Es Wäre um nicht allem vom kulturgeschichtlichen Standpunkte bedauerlich,
wenn ein so merkwürdiges Denkmal der Vorzeit stürzen sollte, die Zertrümme¬
rung dieses Gefäßes, in welchem eine lange Folge von Jahrhunderten einen
so eigenartigen Inhalt von echt bäuerlicher Sinnesart und Wirtschaft aufbe¬
wahrt hat, wäre auch vom sozialen Gesichtspunkte aus tief zu beklagen.
Wenn Meitzen in dem Vordringen des fränkischen Hauses einen anerkennens¬
werten Kulturfortschritt erkennen will, so wird man uns nicht Unrecht geben,
wenn wir in dein Zerfall der alten Einbänden zugleich das Anzeichen einer
Zersetzung erblicken, die sich in den altbäuerlichen Kreisen und innerhalb des
bäuerlichen Geistes vollzieht, einer Zersetzung, der wiederum jener Zerfall des
alten Gehäuses den stärksten Vorschub leisten mich. Insbesondre der nieder-
sächsische Bauer ist ohne sein altes Haus kaun: zu denken, er erscheint damit
so sehr verwachsen, es hängt so mancherlei auch von sittlichem. Lebensinhalt
drum und dran, daß der Verlust notwendig dem Gleichgewicht seines bäuer¬
lichen Wesens einen schweren Stoß versetzen muß, von dem er sich vielleicht
nie vollständig erholen wird. Ich möchte nur auf das eine hinweisen, daß
die Ausführung eines besondern Wohnhauses der Scheidung der Herrschaft vom
Gesinde den größten Vorschub leistet: das Haus bleibt der Herrschaft vorbehalte«,
das Gesinde wird in den Stall oder doch in Nebengebäude verwiesen, während
der Einbau mehr Berührungspunkte bietet und einen engern Zusammenschluß
auch in sittlicher Beziehung ermöglicht und befördert.")
3
Man sollte nun meinen, daß die Regierungen ein naheliegendes Interesse
hätten, auch auf diesem Gebiete einen weitern Zusammenbruch des Bestehenden
und fernere Überstürzungen hintanzuhalten, die Entwicklung in eine ruhigere,
beharrlichere Bahn zu lenken und den alten Einbänden in ihrem Notstände zu
Hilfe zu kommen. Und nicht nur den Einbänden, sondern dem Bauer selbst,
der heute leicht in die Lage kommen kann, von der Wucht der Zeitströmunq
und der Gewalt der wirtschaftlichen llmwälzungen überrumpelt zu werden, das
Kind mit dem Bade auszuschütten und den alten Einbau falle» zu lassen,
nicht weil er sich nicht entwickeln und anpassen könnte, sondern mir, weil der
Bauer ihn in der Geschwindigkeit nicht zu entwickeln und anzupassen weiß.
Zu einem solchen Zwecke würde es sich vor allein andern empfehlen, das Bei¬
spiel der österreichischen Regierung nachzuahmen und mit der Ausarbeitung nud
Der erschreckende und um manchen Orten geradezu grauenhafte Niedergang der Sitt¬
lichkeit unter dem dänischen Gesinde hangt wesentlich mit den Fortschritten dieser Scheidung
zusammen, welche Knecht und Magd, indem sie diese vom Tisch und aus der Stube des Bauern
verweist, seiner Aufsicht und Zucht entzieht, und die Ausbildung eines zügellosen Korpsgeistes
befördert, dessen entsittlichenden Einwirkungen und Verführungen die Einzelnen sich, auch wenn
sie wollen, nicht entziehen können.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |