Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Lehren über die Schonung nachbarlicher Empfindlichkeit zu geben? Solche lächerliche Jubiläumslitteratur. Ob wohl der, der zuerst in Dresden das Wort Mit der Tagespresse aber wetteifert auch diesmal wieder ein Teil des Verlags- Eine rühmliche Ausnahme macht eine "Festschrift," zu deren Herstellung Maßgebliches und Unmaßgebliches Lehren über die Schonung nachbarlicher Empfindlichkeit zu geben? Solche lächerliche Jubiläumslitteratur. Ob wohl der, der zuerst in Dresden das Wort Mit der Tagespresse aber wetteifert auch diesmal wieder ein Teil des Verlags- Eine rühmliche Ausnahme macht eine „Festschrift," zu deren Herstellung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205213"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1350" prev="#ID_1349"> Lehren über die Schonung nachbarlicher Empfindlichkeit zu geben? Solche lächerliche<lb/> Selbstüberhebung überrascht zwar bei dem Organ des liberalen Berliner Philister¬<lb/> tums nicht mehr. Aber selbstverständlich wurde die wichtige Äußerung in die<lb/> Welt hinaustelegraphirt, und die Franzosen haben nun die Befriedigung, für die<lb/> Berechtigung ihrer Tollhcitsausbrüche die „unabhängige öffentliche Meinung"<lb/> Berlins als Zeugen aufrufen zu können. Und das nennt sich auch deutsch — es<lb/> ist zum Erbarmen!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Jubiläumslitteratur.</head> <p xml:id="ID_1351"> Ob wohl der, der zuerst in Dresden das Wort<lb/> „Wettiujubilänm" ausgesprochen hat, sich darüber klar gewesen ist, was er damit<lb/> anrichten und was das für Folgen haben würde? Seit Monaten überschüttet ein<lb/> Teil der sächsischen Tagespresse seine Leser mit einer wahren Sündflut von Nach¬<lb/> richten über die Vorbereitungen, die aller Orten in Sachsen — in Städten, Städt¬<lb/> chen und Dörfern — zur Wettinfeier getroffen werden. Manche Blätter haben<lb/> eine ständige Rubrik dafür eingerichtet, in der sie — spaltenlang — Tag für<lb/> Tag aus jedem kleinen Neste mitteilen, was dort alles veranstaltet wird. Wenn<lb/> diese Presse die Absicht hat, dem gebildeten Teile des Volkes das Interesse an<lb/> der Feier gründlich zu verleiden, noch ehe sie herankommt, so fahre sie nur in<lb/> dieser Weise fort, sie wird ihre Absicht dann vollständig erreichen. Es ist ja ohne<lb/> hin ein gräulicher Unfug der Tagespresse, daß sie über jedes bevorstehende fest¬<lb/> liche Ereignis erst zwanzigmal im Futurum, und Wenns vorbei ist, noch zehnmal<lb/> im Jmperfektum oder Perfektum berichtet. Aber eine so endlose Rederei, wie sie<lb/> bei dieser Gelegenheit von gewissen sächsischen Lokalblättern verübt wird, über¬<lb/> steigt alles bisher dagewesene. Wenn man sich ausmalt, daß das uoch zwei Wochen<lb/> so fortgehen wird — die Feier findet Mitte Juni statt —, daß das Gewässer, je<lb/> näher das Fest kommt, mit jedem Tage mehr anschwellen wird, so ist es sonnen¬<lb/> klar, daß anständigen Leuten wenigstens bis dahin der Geschmack an der Sache<lb/> gründlich verdorben sein wird. Es tiefes zwar gar niemand, aber alle Tage den<lb/> Hnufeu nur zu sehen ist schon entsetzlich.</p><lb/> <p xml:id="ID_1352"> Mit der Tagespresse aber wetteifert auch diesmal wieder ein Teil des Verlags-<lb/> buchhandels in einer geradezu unbegreiflichen Weise durch Herstellung von allerhand<lb/> Gelcgcnheitslitteratur. Eine Unmasse ist schon heraus, und was werden die<lb/> nächsten Wochen noch alles bringen an Gedichten, Festspielen, historischen Dramen,<lb/> goldnen Fäden, Nantcukränzcu, Jubelmärschen u. s. w. Namentlich der poetische<lb/> Volksschulmeistcr scheint stark bei der Arbeit gewesen zu sein. Es ist unfaßbar,<lb/> wie Verlagsbuchhandlungen immer und immer wieder auf solche Jubiläen hinein¬<lb/> fallen können. Man sollte denken, sie hätten vom letzten Lutherjubiläum (1883)<lb/> noch genug, sie müßten da durch Schaden klug geworden sein. Aber nein, immer<lb/> wieder bildet sich jeder ein, er werde der einzige sein, und Wenns zum Klappen<lb/> kommt, sind sie wieder dutzendweise beisammen. Und was ist es zum allergrößten Teil<lb/> für Jammerzeug, das da veröffentlicht wird! Unter unteren ist da in Leporelloformat<lb/> eine Reihe von Bildnissen der sächsischen Fürsten erschienen, in Buntdruck — da<lb/> wünscht man wirklich die Zensur zurück, wenigstens eine ästhetische Polizei, die<lb/> solches Schund- und Schaudzeng konfiszirte. Neuruppiner Bilderbogen sind wahre<lb/> Kunstleistungen gegen dieses Machwerk, worin die sächsischen Fürsten wie Karten-<lb/> köuige im Schlafrock vorgeführt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1353" next="#ID_1354"> Eine rühmliche Ausnahme macht eine „Festschrift," zu deren Herstellung<lb/> sich ein geistvoller Historiker, Professor O. Kümmel in Dresden, mit einem<lb/> tüchtigen Maler, Professor E. A. Donadini, verbunden hat, und die soeben</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0482]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Lehren über die Schonung nachbarlicher Empfindlichkeit zu geben? Solche lächerliche
Selbstüberhebung überrascht zwar bei dem Organ des liberalen Berliner Philister¬
tums nicht mehr. Aber selbstverständlich wurde die wichtige Äußerung in die
Welt hinaustelegraphirt, und die Franzosen haben nun die Befriedigung, für die
Berechtigung ihrer Tollhcitsausbrüche die „unabhängige öffentliche Meinung"
Berlins als Zeugen aufrufen zu können. Und das nennt sich auch deutsch — es
ist zum Erbarmen!
Jubiläumslitteratur. Ob wohl der, der zuerst in Dresden das Wort
„Wettiujubilänm" ausgesprochen hat, sich darüber klar gewesen ist, was er damit
anrichten und was das für Folgen haben würde? Seit Monaten überschüttet ein
Teil der sächsischen Tagespresse seine Leser mit einer wahren Sündflut von Nach¬
richten über die Vorbereitungen, die aller Orten in Sachsen — in Städten, Städt¬
chen und Dörfern — zur Wettinfeier getroffen werden. Manche Blätter haben
eine ständige Rubrik dafür eingerichtet, in der sie — spaltenlang — Tag für
Tag aus jedem kleinen Neste mitteilen, was dort alles veranstaltet wird. Wenn
diese Presse die Absicht hat, dem gebildeten Teile des Volkes das Interesse an
der Feier gründlich zu verleiden, noch ehe sie herankommt, so fahre sie nur in
dieser Weise fort, sie wird ihre Absicht dann vollständig erreichen. Es ist ja ohne
hin ein gräulicher Unfug der Tagespresse, daß sie über jedes bevorstehende fest¬
liche Ereignis erst zwanzigmal im Futurum, und Wenns vorbei ist, noch zehnmal
im Jmperfektum oder Perfektum berichtet. Aber eine so endlose Rederei, wie sie
bei dieser Gelegenheit von gewissen sächsischen Lokalblättern verübt wird, über¬
steigt alles bisher dagewesene. Wenn man sich ausmalt, daß das uoch zwei Wochen
so fortgehen wird — die Feier findet Mitte Juni statt —, daß das Gewässer, je
näher das Fest kommt, mit jedem Tage mehr anschwellen wird, so ist es sonnen¬
klar, daß anständigen Leuten wenigstens bis dahin der Geschmack an der Sache
gründlich verdorben sein wird. Es tiefes zwar gar niemand, aber alle Tage den
Hnufeu nur zu sehen ist schon entsetzlich.
Mit der Tagespresse aber wetteifert auch diesmal wieder ein Teil des Verlags-
buchhandels in einer geradezu unbegreiflichen Weise durch Herstellung von allerhand
Gelcgcnheitslitteratur. Eine Unmasse ist schon heraus, und was werden die
nächsten Wochen noch alles bringen an Gedichten, Festspielen, historischen Dramen,
goldnen Fäden, Nantcukränzcu, Jubelmärschen u. s. w. Namentlich der poetische
Volksschulmeistcr scheint stark bei der Arbeit gewesen zu sein. Es ist unfaßbar,
wie Verlagsbuchhandlungen immer und immer wieder auf solche Jubiläen hinein¬
fallen können. Man sollte denken, sie hätten vom letzten Lutherjubiläum (1883)
noch genug, sie müßten da durch Schaden klug geworden sein. Aber nein, immer
wieder bildet sich jeder ein, er werde der einzige sein, und Wenns zum Klappen
kommt, sind sie wieder dutzendweise beisammen. Und was ist es zum allergrößten Teil
für Jammerzeug, das da veröffentlicht wird! Unter unteren ist da in Leporelloformat
eine Reihe von Bildnissen der sächsischen Fürsten erschienen, in Buntdruck — da
wünscht man wirklich die Zensur zurück, wenigstens eine ästhetische Polizei, die
solches Schund- und Schaudzeng konfiszirte. Neuruppiner Bilderbogen sind wahre
Kunstleistungen gegen dieses Machwerk, worin die sächsischen Fürsten wie Karten-
köuige im Schlafrock vorgeführt werden.
Eine rühmliche Ausnahme macht eine „Festschrift," zu deren Herstellung
sich ein geistvoller Historiker, Professor O. Kümmel in Dresden, mit einem
tüchtigen Maler, Professor E. A. Donadini, verbunden hat, und die soeben
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