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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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werden können. Aber auch in solchen Fällen hat das Wort "Kraft" nur einen
bestimmten Sinn, insofern man hinzufügt, "die an der Sonne" oder "die am
Steine wirkt," und sobald man keinen nffizirten Körper angiebt, kann von einer
bestimmten Kraft überhaupt nicht die Rede sein. Der hier zitierte Halbsatz fällt
also einfach nnter die Kategorie des Sinnlosen.

Hiermit schließe ich meine Kritik des Einzelnen. Sie erstreckt sich über
14 Zeilen der Mannschen Schrift! (Seite 9, Zeile 11 bis 25.) Ich glaube, das
Gesagte genügt vollkommen, um das Verschweigen des Nestes zu rechtfertigen.
Wenn man zu 14 grundlegenden Zeilen derartige Anmerkungen zu machen hat,
so mag sich der Leser selbst vorstellen, was zu den übrigen 80 Seiten der Broschüre
zu bemerken wäre. Der Verfasser beklagt sich, wie gesagt, darüber, daß die Fach¬
männer ihn totschweigen; wenn aber ein Fachmann seine Geduld zusammennimmt,
um die Schrift zu lesen, so findet er eben nichts weiter als Mißverständnisse,
Unklarheiten und falsche Deduktionen; da ist Schweigen und Jgnoriren am Ende
noch das Höflichste, was er thun kaun. Es finden sich in Abhandlungen der hier
geschilderten Art manchmal originelle Kombinationen, hie und da sogar ein guter
Gedanke. Diese sind aber doch wissenschaftlich vollkommen wertlos, weil sie
unscharf begründet und unklar angewendet sind. Und übrigens ist das, was die
Verfasser für tief und eigenartig halten, meist nicht ihr alleiniges Eigentum, sondern
irgendwie in fachwissenschaftlichen Arbeiten schon dagewesen. Ja nicht selten üben
ähnliche Gedanken auch in der Fachwelt eine bewegende Kraft; aber sie dienen da
nur als heuristische Hypothesen, als mögliche Ausgangspunkte, von denen ans man
die nähere Untersuchung der Einzelerscheinungen in Angriff nimmt. Der streng
erzogene Gelehrte behält aber daun seine leitenden Ideen für sich und veröffentlicht
nur die Ergebnisse, die er scharf beweisen kann. Es ist ein Irrtum der Halb-
gelehrteu, wenn sie glauben, tiefer und genialer zu kombiniren, als die Fachmänner;
in der Regel kombiniren sie nur unklarer, veröffentlichen weniger gewissenhaft und
sind deshalb schneller mit ihren Systemen fertig. Dieser Vorwurf trifft die vor¬
liegende Schrift in vollste:" Maße; wir können ihr daher nnr prophezeien daß die
,
Butte Fachmänner fortfahren werden, ihr keine Beachtung zu schenken.





Im vorigen Hefte ist S. 3V6 Zeile 3 von oben ein Druckfehler stehen geblieben: statt
Molvtschnvr soll es heißen Molotschna.






Für die Redaktion verantwortlich l Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
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werden können. Aber auch in solchen Fällen hat das Wort „Kraft" nur einen
bestimmten Sinn, insofern man hinzufügt, „die an der Sonne" oder „die am
Steine wirkt," und sobald man keinen nffizirten Körper angiebt, kann von einer
bestimmten Kraft überhaupt nicht die Rede sein. Der hier zitierte Halbsatz fällt
also einfach nnter die Kategorie des Sinnlosen.

Hiermit schließe ich meine Kritik des Einzelnen. Sie erstreckt sich über
14 Zeilen der Mannschen Schrift! (Seite 9, Zeile 11 bis 25.) Ich glaube, das
Gesagte genügt vollkommen, um das Verschweigen des Nestes zu rechtfertigen.
Wenn man zu 14 grundlegenden Zeilen derartige Anmerkungen zu machen hat,
so mag sich der Leser selbst vorstellen, was zu den übrigen 80 Seiten der Broschüre
zu bemerken wäre. Der Verfasser beklagt sich, wie gesagt, darüber, daß die Fach¬
männer ihn totschweigen; wenn aber ein Fachmann seine Geduld zusammennimmt,
um die Schrift zu lesen, so findet er eben nichts weiter als Mißverständnisse,
Unklarheiten und falsche Deduktionen; da ist Schweigen und Jgnoriren am Ende
noch das Höflichste, was er thun kaun. Es finden sich in Abhandlungen der hier
geschilderten Art manchmal originelle Kombinationen, hie und da sogar ein guter
Gedanke. Diese sind aber doch wissenschaftlich vollkommen wertlos, weil sie
unscharf begründet und unklar angewendet sind. Und übrigens ist das, was die
Verfasser für tief und eigenartig halten, meist nicht ihr alleiniges Eigentum, sondern
irgendwie in fachwissenschaftlichen Arbeiten schon dagewesen. Ja nicht selten üben
ähnliche Gedanken auch in der Fachwelt eine bewegende Kraft; aber sie dienen da
nur als heuristische Hypothesen, als mögliche Ausgangspunkte, von denen ans man
die nähere Untersuchung der Einzelerscheinungen in Angriff nimmt. Der streng
erzogene Gelehrte behält aber daun seine leitenden Ideen für sich und veröffentlicht
nur die Ergebnisse, die er scharf beweisen kann. Es ist ein Irrtum der Halb-
gelehrteu, wenn sie glauben, tiefer und genialer zu kombiniren, als die Fachmänner;
in der Regel kombiniren sie nur unklarer, veröffentlichen weniger gewissenhaft und
sind deshalb schneller mit ihren Systemen fertig. Dieser Vorwurf trifft die vor¬
liegende Schrift in vollste:» Maße; wir können ihr daher nnr prophezeien daß die
,
Butte Fachmänner fortfahren werden, ihr keine Beachtung zu schenken.





Im vorigen Hefte ist S. 3V6 Zeile 3 von oben ein Druckfehler stehen geblieben: statt
Molvtschnvr soll es heißen Molotschna.






Für die Redaktion verantwortlich l Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0392] Litteratur werden können. Aber auch in solchen Fällen hat das Wort „Kraft" nur einen bestimmten Sinn, insofern man hinzufügt, „die an der Sonne" oder „die am Steine wirkt," und sobald man keinen nffizirten Körper angiebt, kann von einer bestimmten Kraft überhaupt nicht die Rede sein. Der hier zitierte Halbsatz fällt also einfach nnter die Kategorie des Sinnlosen. Hiermit schließe ich meine Kritik des Einzelnen. Sie erstreckt sich über 14 Zeilen der Mannschen Schrift! (Seite 9, Zeile 11 bis 25.) Ich glaube, das Gesagte genügt vollkommen, um das Verschweigen des Nestes zu rechtfertigen. Wenn man zu 14 grundlegenden Zeilen derartige Anmerkungen zu machen hat, so mag sich der Leser selbst vorstellen, was zu den übrigen 80 Seiten der Broschüre zu bemerken wäre. Der Verfasser beklagt sich, wie gesagt, darüber, daß die Fach¬ männer ihn totschweigen; wenn aber ein Fachmann seine Geduld zusammennimmt, um die Schrift zu lesen, so findet er eben nichts weiter als Mißverständnisse, Unklarheiten und falsche Deduktionen; da ist Schweigen und Jgnoriren am Ende noch das Höflichste, was er thun kaun. Es finden sich in Abhandlungen der hier geschilderten Art manchmal originelle Kombinationen, hie und da sogar ein guter Gedanke. Diese sind aber doch wissenschaftlich vollkommen wertlos, weil sie unscharf begründet und unklar angewendet sind. Und übrigens ist das, was die Verfasser für tief und eigenartig halten, meist nicht ihr alleiniges Eigentum, sondern irgendwie in fachwissenschaftlichen Arbeiten schon dagewesen. Ja nicht selten üben ähnliche Gedanken auch in der Fachwelt eine bewegende Kraft; aber sie dienen da nur als heuristische Hypothesen, als mögliche Ausgangspunkte, von denen ans man die nähere Untersuchung der Einzelerscheinungen in Angriff nimmt. Der streng erzogene Gelehrte behält aber daun seine leitenden Ideen für sich und veröffentlicht nur die Ergebnisse, die er scharf beweisen kann. Es ist ein Irrtum der Halb- gelehrteu, wenn sie glauben, tiefer und genialer zu kombiniren, als die Fachmänner; in der Regel kombiniren sie nur unklarer, veröffentlichen weniger gewissenhaft und sind deshalb schneller mit ihren Systemen fertig. Dieser Vorwurf trifft die vor¬ liegende Schrift in vollste:» Maße; wir können ihr daher nnr prophezeien daß die , Butte Fachmänner fortfahren werden, ihr keine Beachtung zu schenken. Im vorigen Hefte ist S. 3V6 Zeile 3 von oben ein Druckfehler stehen geblieben: statt Molvtschnvr soll es heißen Molotschna. Für die Redaktion verantwortlich l Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/392>, abgerufen am 05.02.2025.