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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Jordans Lddaiibersetznilg

Man spricht jetzt mit Vorliebe von diesem und jenem Krebsschaden unsers
höhern Unterrichtswesens und drängt zu tiefeinschneidender Operationen. Auch
Cauers Borschlag bedeutet eine tief einschneidende Operation. Solchen unge-
stümen Drängern gegenüber hat der preußische Kultusminister am 6. März
eine bemerkenswerte Ruhe an den Tag gelegt.

Was wir für jetzt von der allgemeinen Schulpolitik erwarten, das ist:
daß sie für Entlastung der mittlern und dadurch auch der obern Gymnasial¬
klassen von dem Gymnasialballast durchgreifender wirke als bisher. Und gerade
das hat der preußische Minister in mehr als einer Richtung zu thun ver¬
sprochen. Seien wir also getrost.


Otto Schroeder


Jordans (Ldoaübersetzung

er dichterische Wert der sogenannten altern Edda und ihre Wichtig¬
keit für das Studium der germanischen Götter- und Heldensage
sind so allgemein anerkannt, daß eine neue Übersetzung des Buches,
wenn sie von einem sprachkundige" und formgewandten Manu
unternommen würde, mit lebhaftestem Danke begrüßt werden
müßte. Auf diesen Dank hat leider die Verdeutschung, die Wilhelm Jordan
soeben veröffentlicht hat/') keinen Anspruch, da ihm sämtliche Eigenschaften
abgehen, die zur Bewältigung einer so schwierigen Aufgabe, wie die metrische
Übertragung altnordischer Dichtungen sie zweifellos ist, eine unerläßliche Vor¬
bedingung wären.

Jordan ist an seine Arbeit mit gänzlich ungenügenden Sprachkenntuissen
hiuangetreten; sein Unterfangen war mindestens ebenso kühn, wie es das eines
Sextaners wäre, der sich an eine Übersetzung des Persius wagen wollte. Im
Texte seiner Lieder ist diese mangelhafte Vorbildung minder bemerkbar, da er
sich meist auf ältere Ubertragungeu (namentlich auf die wörtliche lateinische
der arnamagnäischen Quartausgabe) verlassen hat; wenn er sich aber einmal
von dieser Paraphrase losmacht und selbständig zu sein versucht, begegnen ihm
die lächerlichsten Mißverständnisse, aus denen ich nur zwei herausgreifen will.

Im ersten Liede von Helgi dem Huudingstöter, Strophe 34, wird von Sinfjotli
dem Gudmund der ehrenrührige Vorwurf gemacht, daß er abends Arbeiten zu ver-



*) Die Edda. Deutsch von Wilhelm Jordan. Frankfurt a. M., W- Jordans
Selbstverlag, 1L89.
Jordans Lddaiibersetznilg

Man spricht jetzt mit Vorliebe von diesem und jenem Krebsschaden unsers
höhern Unterrichtswesens und drängt zu tiefeinschneidender Operationen. Auch
Cauers Borschlag bedeutet eine tief einschneidende Operation. Solchen unge-
stümen Drängern gegenüber hat der preußische Kultusminister am 6. März
eine bemerkenswerte Ruhe an den Tag gelegt.

Was wir für jetzt von der allgemeinen Schulpolitik erwarten, das ist:
daß sie für Entlastung der mittlern und dadurch auch der obern Gymnasial¬
klassen von dem Gymnasialballast durchgreifender wirke als bisher. Und gerade
das hat der preußische Minister in mehr als einer Richtung zu thun ver¬
sprochen. Seien wir also getrost.


Otto Schroeder


Jordans (Ldoaübersetzung

er dichterische Wert der sogenannten altern Edda und ihre Wichtig¬
keit für das Studium der germanischen Götter- und Heldensage
sind so allgemein anerkannt, daß eine neue Übersetzung des Buches,
wenn sie von einem sprachkundige» und formgewandten Manu
unternommen würde, mit lebhaftestem Danke begrüßt werden
müßte. Auf diesen Dank hat leider die Verdeutschung, die Wilhelm Jordan
soeben veröffentlicht hat/') keinen Anspruch, da ihm sämtliche Eigenschaften
abgehen, die zur Bewältigung einer so schwierigen Aufgabe, wie die metrische
Übertragung altnordischer Dichtungen sie zweifellos ist, eine unerläßliche Vor¬
bedingung wären.

Jordan ist an seine Arbeit mit gänzlich ungenügenden Sprachkenntuissen
hiuangetreten; sein Unterfangen war mindestens ebenso kühn, wie es das eines
Sextaners wäre, der sich an eine Übersetzung des Persius wagen wollte. Im
Texte seiner Lieder ist diese mangelhafte Vorbildung minder bemerkbar, da er
sich meist auf ältere Ubertragungeu (namentlich auf die wörtliche lateinische
der arnamagnäischen Quartausgabe) verlassen hat; wenn er sich aber einmal
von dieser Paraphrase losmacht und selbständig zu sein versucht, begegnen ihm
die lächerlichsten Mißverständnisse, aus denen ich nur zwei herausgreifen will.

Im ersten Liede von Helgi dem Huudingstöter, Strophe 34, wird von Sinfjotli
dem Gudmund der ehrenrührige Vorwurf gemacht, daß er abends Arbeiten zu ver-



*) Die Edda. Deutsch von Wilhelm Jordan. Frankfurt a. M., W- Jordans
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[0374] Jordans Lddaiibersetznilg Man spricht jetzt mit Vorliebe von diesem und jenem Krebsschaden unsers höhern Unterrichtswesens und drängt zu tiefeinschneidender Operationen. Auch Cauers Borschlag bedeutet eine tief einschneidende Operation. Solchen unge- stümen Drängern gegenüber hat der preußische Kultusminister am 6. März eine bemerkenswerte Ruhe an den Tag gelegt. Was wir für jetzt von der allgemeinen Schulpolitik erwarten, das ist: daß sie für Entlastung der mittlern und dadurch auch der obern Gymnasial¬ klassen von dem Gymnasialballast durchgreifender wirke als bisher. Und gerade das hat der preußische Minister in mehr als einer Richtung zu thun ver¬ sprochen. Seien wir also getrost. Otto Schroeder Jordans (Ldoaübersetzung er dichterische Wert der sogenannten altern Edda und ihre Wichtig¬ keit für das Studium der germanischen Götter- und Heldensage sind so allgemein anerkannt, daß eine neue Übersetzung des Buches, wenn sie von einem sprachkundige» und formgewandten Manu unternommen würde, mit lebhaftestem Danke begrüßt werden müßte. Auf diesen Dank hat leider die Verdeutschung, die Wilhelm Jordan soeben veröffentlicht hat/') keinen Anspruch, da ihm sämtliche Eigenschaften abgehen, die zur Bewältigung einer so schwierigen Aufgabe, wie die metrische Übertragung altnordischer Dichtungen sie zweifellos ist, eine unerläßliche Vor¬ bedingung wären. Jordan ist an seine Arbeit mit gänzlich ungenügenden Sprachkenntuissen hiuangetreten; sein Unterfangen war mindestens ebenso kühn, wie es das eines Sextaners wäre, der sich an eine Übersetzung des Persius wagen wollte. Im Texte seiner Lieder ist diese mangelhafte Vorbildung minder bemerkbar, da er sich meist auf ältere Ubertragungeu (namentlich auf die wörtliche lateinische der arnamagnäischen Quartausgabe) verlassen hat; wenn er sich aber einmal von dieser Paraphrase losmacht und selbständig zu sein versucht, begegnen ihm die lächerlichsten Mißverständnisse, aus denen ich nur zwei herausgreifen will. Im ersten Liede von Helgi dem Huudingstöter, Strophe 34, wird von Sinfjotli dem Gudmund der ehrenrührige Vorwurf gemacht, daß er abends Arbeiten zu ver- *) Die Edda. Deutsch von Wilhelm Jordan. Frankfurt a. M., W- Jordans Selbstverlag, 1L89.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/374>, abgerufen am 05.02.2025.