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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

wenn nicht von kühnen, so doch von vorurteilsfreien und gesunden Gedanken
genährt wird.

Beide Elemente haben ihre Auswüchse, die zu beschneiden die schwierige
Aufgabe der Heeresleitung ist. Auf der einen Seite ist es der unmotivirte
Uebermut und Dünkel eines weniger gebildeten kleinen Bruchteils der Aristokratie,
auf der andern das Strebertum um jeden Preis, das in der Wahl seiner
Mittel uicht heilet ist, sondern durch Schmiegsamkeit zu ersetzen sucht, was
ihm an Fähigkeit abgeht. Dieses ist besonders gefährlich, dn den Offizier
vor allem der streng sittliche Charakter auszeichnen muß, der in Bescheidenheit
die Erkenntlichkeit für gute Dienste abzuwarten im Stande ist. Parvenus,
d. h. Leute, die eine Rolle spielen wollen, zu der sie nicht berufen siud, können
im Heere nie geduldet werden.

Die Aufgabe der obersten Heeresleitung also ist es, die beiden Elemente
so mit einander zu verschmelzen, daß ihre verschiednen Eigenschaften sich
wechselseitig durchdringen und einander beleben, fördern und ergänzen. In
diesem Sinne kann man mit dem Verfasser des im Eingange erwähnten Auf¬
satzes sagen: daß jeder der beiden Teile die Vorzüge des andern sich aneignet,
dadurch wird die Ausgleichung zwischen beiden beschleunigt werden. Auf jeden
Fall war es dankenswert, diese Frage angeregt, unparteiisch beurteilt und zu
ihrer objektive" Lösung beigetragen zu haben.




Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende
^. Das alte deutsche Dorf

ir haben im vorstehenden gesehen, daß ein Hauptcharakterzug
des deutscheu Dorfes seine natürliche Regellosigkeit ist, eine
Vielgestaltigkeit, die in der glücklichsten Weise die Natur nach¬
zuahmen scheint. Aber diese Unterschiede von Hof zu Hof, von
Haus zu Haus machen -- und hierin liegt die zweite große Eigen¬
tümlichkeit desselben beschlossen -- uicht den Eindruck menschlicher Willkür und
individueller Laune, sondern sie erscheinen überall als der Ausdruck einer gesetz¬
mäßigen, naturwüchsigen Entwicklung, die im Dorfe ihre Schichten absetzt, wie
der Baum seine Jahresringe, eines steten, ununterbrochenen Wachsens und


Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde

wenn nicht von kühnen, so doch von vorurteilsfreien und gesunden Gedanken
genährt wird.

Beide Elemente haben ihre Auswüchse, die zu beschneiden die schwierige
Aufgabe der Heeresleitung ist. Auf der einen Seite ist es der unmotivirte
Uebermut und Dünkel eines weniger gebildeten kleinen Bruchteils der Aristokratie,
auf der andern das Strebertum um jeden Preis, das in der Wahl seiner
Mittel uicht heilet ist, sondern durch Schmiegsamkeit zu ersetzen sucht, was
ihm an Fähigkeit abgeht. Dieses ist besonders gefährlich, dn den Offizier
vor allem der streng sittliche Charakter auszeichnen muß, der in Bescheidenheit
die Erkenntlichkeit für gute Dienste abzuwarten im Stande ist. Parvenus,
d. h. Leute, die eine Rolle spielen wollen, zu der sie nicht berufen siud, können
im Heere nie geduldet werden.

Die Aufgabe der obersten Heeresleitung also ist es, die beiden Elemente
so mit einander zu verschmelzen, daß ihre verschiednen Eigenschaften sich
wechselseitig durchdringen und einander beleben, fördern und ergänzen. In
diesem Sinne kann man mit dem Verfasser des im Eingange erwähnten Auf¬
satzes sagen: daß jeder der beiden Teile die Vorzüge des andern sich aneignet,
dadurch wird die Ausgleichung zwischen beiden beschleunigt werden. Auf jeden
Fall war es dankenswert, diese Frage angeregt, unparteiisch beurteilt und zu
ihrer objektive» Lösung beigetragen zu haben.




Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende
^. Das alte deutsche Dorf

ir haben im vorstehenden gesehen, daß ein Hauptcharakterzug
des deutscheu Dorfes seine natürliche Regellosigkeit ist, eine
Vielgestaltigkeit, die in der glücklichsten Weise die Natur nach¬
zuahmen scheint. Aber diese Unterschiede von Hof zu Hof, von
Haus zu Haus machen — und hierin liegt die zweite große Eigen¬
tümlichkeit desselben beschlossen — uicht den Eindruck menschlicher Willkür und
individueller Laune, sondern sie erscheinen überall als der Ausdruck einer gesetz¬
mäßigen, naturwüchsigen Entwicklung, die im Dorfe ihre Schichten absetzt, wie
der Baum seine Jahresringe, eines steten, ununterbrochenen Wachsens und


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[0364] Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Lüde wenn nicht von kühnen, so doch von vorurteilsfreien und gesunden Gedanken genährt wird. Beide Elemente haben ihre Auswüchse, die zu beschneiden die schwierige Aufgabe der Heeresleitung ist. Auf der einen Seite ist es der unmotivirte Uebermut und Dünkel eines weniger gebildeten kleinen Bruchteils der Aristokratie, auf der andern das Strebertum um jeden Preis, das in der Wahl seiner Mittel uicht heilet ist, sondern durch Schmiegsamkeit zu ersetzen sucht, was ihm an Fähigkeit abgeht. Dieses ist besonders gefährlich, dn den Offizier vor allem der streng sittliche Charakter auszeichnen muß, der in Bescheidenheit die Erkenntlichkeit für gute Dienste abzuwarten im Stande ist. Parvenus, d. h. Leute, die eine Rolle spielen wollen, zu der sie nicht berufen siud, können im Heere nie geduldet werden. Die Aufgabe der obersten Heeresleitung also ist es, die beiden Elemente so mit einander zu verschmelzen, daß ihre verschiednen Eigenschaften sich wechselseitig durchdringen und einander beleben, fördern und ergänzen. In diesem Sinne kann man mit dem Verfasser des im Eingange erwähnten Auf¬ satzes sagen: daß jeder der beiden Teile die Vorzüge des andern sich aneignet, dadurch wird die Ausgleichung zwischen beiden beschleunigt werden. Auf jeden Fall war es dankenswert, diese Frage angeregt, unparteiisch beurteilt und zu ihrer objektive» Lösung beigetragen zu haben. Das alte Dorf in deutscher Landschaft und sein Ende ^. Das alte deutsche Dorf ir haben im vorstehenden gesehen, daß ein Hauptcharakterzug des deutscheu Dorfes seine natürliche Regellosigkeit ist, eine Vielgestaltigkeit, die in der glücklichsten Weise die Natur nach¬ zuahmen scheint. Aber diese Unterschiede von Hof zu Hof, von Haus zu Haus machen — und hierin liegt die zweite große Eigen¬ tümlichkeit desselben beschlossen — uicht den Eindruck menschlicher Willkür und individueller Laune, sondern sie erscheinen überall als der Ausdruck einer gesetz¬ mäßigen, naturwüchsigen Entwicklung, die im Dorfe ihre Schichten absetzt, wie der Baum seine Jahresringe, eines steten, ununterbrochenen Wachsens und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/364>, abgerufen am 05.02.2025.