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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

insbesondre über Gegenstünde der Volkswirtschaft, Ausbildung des Genossen¬
schaftswesens, Arbeiterschutz und Arbeiterbildung. Der Streik der Pferde¬
bahnkutscher und die bei dieser Gelegenheit bekannt gewordene schamlose
Ausbeutung der Menschenkraft durch eine Aktiengesellschaft verlieh den Er¬
örterungen über diese Dinge ein erhöhtes Interesse. Umsomehr aber wird
man eben bedauern, daß die schroffe Haltung der Versammlung in der römischen,
in der Schul- und Ehegesetzfrage es deu verständigen Katholiken, die den
politischen Verhältnissen Europas Rechnung tragen und nicht aller Zeitbildung
feindselig gegenüberstehen, unmöglich macht, ihm beizustimmen und sür ihn
einzutreten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Pariser Ausstellung und die deutschen Künstler.

Wieder ein¬
mal findet in Paris eine große Ausstellung statt, die eine "Weltausstellung"
werden sollte, aber höchstens eine "Halbweltausstellung" genannt werden könnte,
wenn dieses Wort nicht einen unangenehmen Nebensinu hätte; und wieder einmal
schwelgen von Paris berauschte Korrespondenten in Schilderungen der unerhörten
Wunder, die man dort schauen werde, wenn einmal -- alles ausgepackt und auf¬
gestellt sein wird. Es steht auch außer Zweifel, daß das europäische und außer¬
europäische Frankreich in der Lage wäre, selbst ohne Unterstützung von Griechen¬
land, Norwegen und Monaco, und abgesehen von den gegen deu Einspruch der
bedeutendsten Künstler des Landes aufgeführten babylonischen Turm, eine Fülle
der interessantesten und schönsten Dinge zur Schau zu bringen. Aber die Wieder¬
holung der Klagen über das Fernbleiben oder die wenigstens nur unbedeutende
Beteiligung der meisten Nationen sollte man sich sparen. Jeder Einsichtige weiß,
daß die ungeheuern Summen, die die Beschickung der großen Ausstellungen ver¬
schlingt, in der Regel zum Fenster hinausgeworfen sind; Wollen die Industriellen
uoch immer nicht dieser Wahrheit die Ehre geben, so ist das ihre Sache,
die Regierungen jedoch sind ihren Ländern verantwortlich und erfüllen nur
ihre Pflicht, wenn sie die Steuergclder für nützlichere Unternehmungen auf¬
heben. Und eben so selbstverständlich war die Weigerung der monarchischen
Regierungen, sich in irgend einer Weise an der Revvlutiousfeier zu be¬
teiligen. Völlig unbegreiflich aber ist es, daß Deutsche überhaupt auf den Ge¬
danken kommen konnten, aus der Zurückhaltung herauszutreten. Im Jahre
1878 war die Hoffnung erlaubt, daß die Franzosen allmählich wieder zur
Besinnung kommen und den Deutschen den Verkehr mit ihnen möglich machen
würden, und als Zeichen des neu erwachenden Vertrauens mußte das nachträgliche
Zugeständnis Deutschlands, wenigstens durch Werke der bildenden Kunst sich ver¬
treten zu lassen, aufgefaßt werden. Kann diese Hoffnung heute noch aufrecht
erhalten werden? Präsident Carnot verkündete die friedlichsten Absichten und meinte


Maßgebliches und Unmaßgebliches

insbesondre über Gegenstünde der Volkswirtschaft, Ausbildung des Genossen¬
schaftswesens, Arbeiterschutz und Arbeiterbildung. Der Streik der Pferde¬
bahnkutscher und die bei dieser Gelegenheit bekannt gewordene schamlose
Ausbeutung der Menschenkraft durch eine Aktiengesellschaft verlieh den Er¬
örterungen über diese Dinge ein erhöhtes Interesse. Umsomehr aber wird
man eben bedauern, daß die schroffe Haltung der Versammlung in der römischen,
in der Schul- und Ehegesetzfrage es deu verständigen Katholiken, die den
politischen Verhältnissen Europas Rechnung tragen und nicht aller Zeitbildung
feindselig gegenüberstehen, unmöglich macht, ihm beizustimmen und sür ihn
einzutreten.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Die Pariser Ausstellung und die deutschen Künstler.

Wieder ein¬
mal findet in Paris eine große Ausstellung statt, die eine „Weltausstellung"
werden sollte, aber höchstens eine „Halbweltausstellung" genannt werden könnte,
wenn dieses Wort nicht einen unangenehmen Nebensinu hätte; und wieder einmal
schwelgen von Paris berauschte Korrespondenten in Schilderungen der unerhörten
Wunder, die man dort schauen werde, wenn einmal — alles ausgepackt und auf¬
gestellt sein wird. Es steht auch außer Zweifel, daß das europäische und außer¬
europäische Frankreich in der Lage wäre, selbst ohne Unterstützung von Griechen¬
land, Norwegen und Monaco, und abgesehen von den gegen deu Einspruch der
bedeutendsten Künstler des Landes aufgeführten babylonischen Turm, eine Fülle
der interessantesten und schönsten Dinge zur Schau zu bringen. Aber die Wieder¬
holung der Klagen über das Fernbleiben oder die wenigstens nur unbedeutende
Beteiligung der meisten Nationen sollte man sich sparen. Jeder Einsichtige weiß,
daß die ungeheuern Summen, die die Beschickung der großen Ausstellungen ver¬
schlingt, in der Regel zum Fenster hinausgeworfen sind; Wollen die Industriellen
uoch immer nicht dieser Wahrheit die Ehre geben, so ist das ihre Sache,
die Regierungen jedoch sind ihren Ländern verantwortlich und erfüllen nur
ihre Pflicht, wenn sie die Steuergclder für nützlichere Unternehmungen auf¬
heben. Und eben so selbstverständlich war die Weigerung der monarchischen
Regierungen, sich in irgend einer Weise an der Revvlutiousfeier zu be¬
teiligen. Völlig unbegreiflich aber ist es, daß Deutsche überhaupt auf den Ge¬
danken kommen konnten, aus der Zurückhaltung herauszutreten. Im Jahre
1878 war die Hoffnung erlaubt, daß die Franzosen allmählich wieder zur
Besinnung kommen und den Deutschen den Verkehr mit ihnen möglich machen
würden, und als Zeichen des neu erwachenden Vertrauens mußte das nachträgliche
Zugeständnis Deutschlands, wenigstens durch Werke der bildenden Kunst sich ver¬
treten zu lassen, aufgefaßt werden. Kann diese Hoffnung heute noch aufrecht
erhalten werden? Präsident Carnot verkündete die friedlichsten Absichten und meinte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/340>, abgerufen am 05.02.2025.