Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Litteratur ja kaum ein Monat, daß nicht der hundert- oder zweihundert- oder dreihundert- Litteratur Die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben. Von Otto Trüdinger, Jena, Gustav Fischer, 1888 Obwohl oder gerade weil in der letzten Zeit so viel über die Arbeiterwohnungs- Hier seien nur einige wenige Punkte besprochen. Ein durch Ortsstatut aus- Zum Schluß möchten wir doch gegen die Art, wie Trüdinger die von ihm Litteratur ja kaum ein Monat, daß nicht der hundert- oder zweihundert- oder dreihundert- Litteratur Die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben. Von Otto Trüdinger, Jena, Gustav Fischer, 1888 Obwohl oder gerade weil in der letzten Zeit so viel über die Arbeiterwohnungs- Hier seien nur einige wenige Punkte besprochen. Ein durch Ortsstatut aus- Zum Schluß möchten wir doch gegen die Art, wie Trüdinger die von ihm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0631" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204720"/> <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/> <p xml:id="ID_2040" prev="#ID_2039"> ja kaum ein Monat, daß nicht der hundert- oder zweihundert- oder dreihundert-<lb/> jährige Geburtstag oder Todestag eines „großen Mannes" ausgegraben würde.<lb/> Das Ganze hat weiter keinen Zweck, als daß die Zeitungen, namentlich auch die<lb/> illustrirten Zeitungen, was zu schreiben und was abzubilden haben. Gewerbs¬<lb/> mäßige Zeitungsschreiber, Leute, die sich in ihrem Leben nicht um den „Gefeierten"<lb/> gekümmert haben, nichts von ihm wissen, ihn gar nicht beurteilen oder würdigen<lb/> können, bauen mit Hilfe des Konversationslexikons einen Jubiläumsartikel, von<lb/> Bildungsheuchelei geschwollen, das Publikum fliegt mit den Augen drüber hin,<lb/> wie über alles, was es liest, und fragt zwei Tage später nach dem Gefeierten<lb/> gerade so viel wie zwei Tage vorher. Druckerschwärze!</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Litteratur</head><lb/> <div n="2"> <head> Die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben. Von Otto<lb/> Trüdinger, Jena, Gustav Fischer, 1888</head><lb/> <p xml:id="ID_2041"> Obwohl oder gerade weil in der letzten Zeit so viel über die Arbeiterwohnungs-<lb/> frage geschrieben worden ist, erscheint Trüdingers Schrift zeitgemäß, da sie mit<lb/> Fleiß alle frühern, verschiedenen Orten und Zeiten entstammenden Arbeiten aus¬<lb/> nutzt und ihre Ergebnisse nach einheitlichen Gesichtspunkten Wohl geordnet vor¬<lb/> führt. Wesentlich Neues bietet die Schrift nicht, sie erfüllt ihren Zweck aber auch<lb/> ohne das und kann jedem, der sich nicht dnrch die ganze große Litteratur durch¬<lb/> arbeiten will oder kann, als Führer empfohlen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2042"> Hier seien nur einige wenige Punkte besprochen. Ein durch Ortsstatut aus-<lb/> zusprechcuder Zwang sür die Arbeitgeber, für ausreichende Wohnungen ihrer Arbeiter<lb/> zu sorgen, hat doch manches gegen sich, abgesehen davon, daß der Erlaß solcher Orts¬<lb/> statuten vermutlich sehr selten sein würde. Unsers Erachtens würde diese Ma߬<lb/> regel überflüssig, wenn, wie der Verfasser es als wünschenswert hinstellt, jeder<lb/> Zuzügler genötigt würde, den Besitz einer ausreichenden Wohnung nach¬<lb/> zuweisen. Eine größere Beschränkung des Retentionsrechtes des Hauswirth würde<lb/> weniger den Kredit des Wohnungsuchenden schwächen, als auf eine wohlthätige<lb/> Verkürzung der Mietzahlungsfristen hinwirken. Daß Trüdinger das Eingreifen<lb/> der Gemeinden in allen Fällen so sehr beschränkt wissen will, geht zu weit. Der<lb/> Berliner Magistrat, auf den er sich hierbei in erster Linie beruft, kann da wahrlich<lb/> nicht als Autorität gelten. Auch in diesem Punkte ist der Satz berechtigt: Eines<lb/> schickt sich nicht für alle. In Verbindung mit privaten Gesellschaften, Frauen¬<lb/> vereinen n. tgi. werden die Gemeindebehörden oft sehr segensreich wirken können.<lb/> Den Baugenossenschaften, die leider wenigstens gegenwärtig nicht im Stande sein<lb/> werden, im Großen zu wirken, wird namentlich für die Großstädte eine zu hohe<lb/> Bedeutung beigelegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2043" next="#ID_2044"> Zum Schluß möchten wir doch gegen die Art, wie Trüdinger die von ihm<lb/> benutzten Arbeiten ausgeschrieben hat, Verwahrung einlegen. Wenn man, wie er</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0631]
Litteratur
ja kaum ein Monat, daß nicht der hundert- oder zweihundert- oder dreihundert-
jährige Geburtstag oder Todestag eines „großen Mannes" ausgegraben würde.
Das Ganze hat weiter keinen Zweck, als daß die Zeitungen, namentlich auch die
illustrirten Zeitungen, was zu schreiben und was abzubilden haben. Gewerbs¬
mäßige Zeitungsschreiber, Leute, die sich in ihrem Leben nicht um den „Gefeierten"
gekümmert haben, nichts von ihm wissen, ihn gar nicht beurteilen oder würdigen
können, bauen mit Hilfe des Konversationslexikons einen Jubiläumsartikel, von
Bildungsheuchelei geschwollen, das Publikum fliegt mit den Augen drüber hin,
wie über alles, was es liest, und fragt zwei Tage später nach dem Gefeierten
gerade so viel wie zwei Tage vorher. Druckerschwärze!
Litteratur
Die Arbeiterwohnungsfrage und die Bestrebungen zur Lösung derselben. Von Otto
Trüdinger, Jena, Gustav Fischer, 1888
Obwohl oder gerade weil in der letzten Zeit so viel über die Arbeiterwohnungs-
frage geschrieben worden ist, erscheint Trüdingers Schrift zeitgemäß, da sie mit
Fleiß alle frühern, verschiedenen Orten und Zeiten entstammenden Arbeiten aus¬
nutzt und ihre Ergebnisse nach einheitlichen Gesichtspunkten Wohl geordnet vor¬
führt. Wesentlich Neues bietet die Schrift nicht, sie erfüllt ihren Zweck aber auch
ohne das und kann jedem, der sich nicht dnrch die ganze große Litteratur durch¬
arbeiten will oder kann, als Führer empfohlen werden.
Hier seien nur einige wenige Punkte besprochen. Ein durch Ortsstatut aus-
zusprechcuder Zwang sür die Arbeitgeber, für ausreichende Wohnungen ihrer Arbeiter
zu sorgen, hat doch manches gegen sich, abgesehen davon, daß der Erlaß solcher Orts¬
statuten vermutlich sehr selten sein würde. Unsers Erachtens würde diese Ma߬
regel überflüssig, wenn, wie der Verfasser es als wünschenswert hinstellt, jeder
Zuzügler genötigt würde, den Besitz einer ausreichenden Wohnung nach¬
zuweisen. Eine größere Beschränkung des Retentionsrechtes des Hauswirth würde
weniger den Kredit des Wohnungsuchenden schwächen, als auf eine wohlthätige
Verkürzung der Mietzahlungsfristen hinwirken. Daß Trüdinger das Eingreifen
der Gemeinden in allen Fällen so sehr beschränkt wissen will, geht zu weit. Der
Berliner Magistrat, auf den er sich hierbei in erster Linie beruft, kann da wahrlich
nicht als Autorität gelten. Auch in diesem Punkte ist der Satz berechtigt: Eines
schickt sich nicht für alle. In Verbindung mit privaten Gesellschaften, Frauen¬
vereinen n. tgi. werden die Gemeindebehörden oft sehr segensreich wirken können.
Den Baugenossenschaften, die leider wenigstens gegenwärtig nicht im Stande sein
werden, im Großen zu wirken, wird namentlich für die Großstädte eine zu hohe
Bedeutung beigelegt.
Zum Schluß möchten wir doch gegen die Art, wie Trüdinger die von ihm
benutzten Arbeiten ausgeschrieben hat, Verwahrung einlegen. Wenn man, wie er
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