Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Harte Köpfe
Erzählung von L, B n d d e (Schluß)

es war einmal verlobt. In Wien lernte ich eine junge Dame
kennen, die in einigen der besten Familien Unterricht gab, dort
aber nicht als Lehrerin, sondern mehr als Freundin behandelt
wurde. Sie wohnte allein, besaß übrigens eine Sicherheit der
Umgangsformen, die man gewöhnlich nur bei Mädchen findet,
welche aus sogenannter guter Rasse stammen, und schien auch uicht gerade
ausschließlich auf ihre Thätigkeit angewiesen zu sein; wenigstens fehlte ihr das
Schulmeisterliche im Auftreten gewöhnlicher Gouvernanten. Wir trafen uns
öfter in Häusern, wo ich verkehrte, und wir zogen uns an. Es verstand sich
bald von selbst, daß wir neben einander saßen, die Hausfrauen legten unsre
Tischplätze zusammen, wenn der Doktor Venarius zu einer Landpartie
geladen wurde, konnte man sicher sein, daß Fräulein Aline nicht fehlte, und
umgekehrt. Ich sehe sie noch, wie wir eines Abends im Mondschein dasaßen,
etwas abseits von der übrigen Gesellschaft, und wie sie mir gestand, sie habe
ehre Pflichten heute fahren lassen, um den Ausflug mitzumachen. Da wußte
ich, wie wert ich ihr war, neigte mich wortlos zu ihr und Nßte sie. Schüchtern,
aber als ob sie nicht anders könnte, erwiderte sie meinen Kuß, dann aber zog
sich plötzlich zurück und sagte leise vor sich hin: Nein, es kann nicht sein,
^es war zu glücklich, als daß ich viel darauf geachtet hätte; ich umschlang sie
und zog sie an mich. Sie ließ es eine Weile geschehen, dann aber wehrte sie
^ich sanft ab und sagte, mit der Hand auf die benachbarte Laube zeigend:
Kommen Sie, man bricht auf!

Für den Abend war das das letzte, was ich ohne Zeugen von ihr hörte;
am folgenden Morgen war ich auf dem Wege zu ihr, um mich mit ihr zu
verloben. Zu meiner Überraschung empfing sie mich mit einem Gesicht, in
dem sicher eine überwachte Nacht, wahrscheinlich auch die Spur von Thränen
M lesen war, und als ich sie fragte, ob sie meine Braut sein wolle, schloß




Harte Köpfe
Erzählung von L, B n d d e (Schluß)

es war einmal verlobt. In Wien lernte ich eine junge Dame
kennen, die in einigen der besten Familien Unterricht gab, dort
aber nicht als Lehrerin, sondern mehr als Freundin behandelt
wurde. Sie wohnte allein, besaß übrigens eine Sicherheit der
Umgangsformen, die man gewöhnlich nur bei Mädchen findet,
welche aus sogenannter guter Rasse stammen, und schien auch uicht gerade
ausschließlich auf ihre Thätigkeit angewiesen zu sein; wenigstens fehlte ihr das
Schulmeisterliche im Auftreten gewöhnlicher Gouvernanten. Wir trafen uns
öfter in Häusern, wo ich verkehrte, und wir zogen uns an. Es verstand sich
bald von selbst, daß wir neben einander saßen, die Hausfrauen legten unsre
Tischplätze zusammen, wenn der Doktor Venarius zu einer Landpartie
geladen wurde, konnte man sicher sein, daß Fräulein Aline nicht fehlte, und
umgekehrt. Ich sehe sie noch, wie wir eines Abends im Mondschein dasaßen,
etwas abseits von der übrigen Gesellschaft, und wie sie mir gestand, sie habe
ehre Pflichten heute fahren lassen, um den Ausflug mitzumachen. Da wußte
ich, wie wert ich ihr war, neigte mich wortlos zu ihr und Nßte sie. Schüchtern,
aber als ob sie nicht anders könnte, erwiderte sie meinen Kuß, dann aber zog
sich plötzlich zurück und sagte leise vor sich hin: Nein, es kann nicht sein,
^es war zu glücklich, als daß ich viel darauf geachtet hätte; ich umschlang sie
und zog sie an mich. Sie ließ es eine Weile geschehen, dann aber wehrte sie
^ich sanft ab und sagte, mit der Hand auf die benachbarte Laube zeigend:
Kommen Sie, man bricht auf!

Für den Abend war das das letzte, was ich ohne Zeugen von ihr hörte;
am folgenden Morgen war ich auf dem Wege zu ihr, um mich mit ihr zu
verloben. Zu meiner Überraschung empfing sie mich mit einem Gesicht, in
dem sicher eine überwachte Nacht, wahrscheinlich auch die Spur von Thränen
M lesen war, und als ich sie fragte, ob sie meine Braut sein wolle, schloß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204566"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_204088/figures/grenzboten_341849_204088_204566_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Harte Köpfe<lb/><note type="byline"> Erzählung von L, B n d d e</note> (Schluß)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1537"> es war einmal verlobt. In Wien lernte ich eine junge Dame<lb/>
kennen, die in einigen der besten Familien Unterricht gab, dort<lb/>
aber nicht als Lehrerin, sondern mehr als Freundin behandelt<lb/>
wurde. Sie wohnte allein, besaß übrigens eine Sicherheit der<lb/>
Umgangsformen, die man gewöhnlich nur bei Mädchen findet,<lb/>
welche aus sogenannter guter Rasse stammen, und schien auch uicht gerade<lb/>
ausschließlich auf ihre Thätigkeit angewiesen zu sein; wenigstens fehlte ihr das<lb/>
Schulmeisterliche im Auftreten gewöhnlicher Gouvernanten. Wir trafen uns<lb/>
öfter in Häusern, wo ich verkehrte, und wir zogen uns an. Es verstand sich<lb/>
bald von selbst, daß wir neben einander saßen, die Hausfrauen legten unsre<lb/>
Tischplätze zusammen, wenn der Doktor Venarius zu einer Landpartie<lb/>
geladen wurde, konnte man sicher sein, daß Fräulein Aline nicht fehlte, und<lb/>
umgekehrt. Ich sehe sie noch, wie wir eines Abends im Mondschein dasaßen,<lb/>
etwas abseits von der übrigen Gesellschaft, und wie sie mir gestand, sie habe<lb/>
ehre Pflichten heute fahren lassen, um den Ausflug mitzumachen. Da wußte<lb/>
ich, wie wert ich ihr war, neigte mich wortlos zu ihr und Nßte sie. Schüchtern,<lb/>
aber als ob sie nicht anders könnte, erwiderte sie meinen Kuß, dann aber zog<lb/>
sich plötzlich zurück und sagte leise vor sich hin: Nein, es kann nicht sein,<lb/>
^es war zu glücklich, als daß ich viel darauf geachtet hätte; ich umschlang sie<lb/>
und zog sie an mich. Sie ließ es eine Weile geschehen, dann aber wehrte sie<lb/>
^ich sanft ab und sagte, mit der Hand auf die benachbarte Laube zeigend:<lb/>
Kommen Sie, man bricht auf!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1538" next="#ID_1539"> Für den Abend war das das letzte, was ich ohne Zeugen von ihr hörte;<lb/>
am folgenden Morgen war ich auf dem Wege zu ihr, um mich mit ihr zu<lb/>
verloben. Zu meiner Überraschung empfing sie mich mit einem Gesicht, in<lb/>
dem sicher eine überwachte Nacht, wahrscheinlich auch die Spur von Thränen<lb/>
M lesen war, und als ich sie fragte, ob sie meine Braut sein wolle, schloß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0477] [Abbildung] Harte Köpfe Erzählung von L, B n d d e (Schluß) es war einmal verlobt. In Wien lernte ich eine junge Dame kennen, die in einigen der besten Familien Unterricht gab, dort aber nicht als Lehrerin, sondern mehr als Freundin behandelt wurde. Sie wohnte allein, besaß übrigens eine Sicherheit der Umgangsformen, die man gewöhnlich nur bei Mädchen findet, welche aus sogenannter guter Rasse stammen, und schien auch uicht gerade ausschließlich auf ihre Thätigkeit angewiesen zu sein; wenigstens fehlte ihr das Schulmeisterliche im Auftreten gewöhnlicher Gouvernanten. Wir trafen uns öfter in Häusern, wo ich verkehrte, und wir zogen uns an. Es verstand sich bald von selbst, daß wir neben einander saßen, die Hausfrauen legten unsre Tischplätze zusammen, wenn der Doktor Venarius zu einer Landpartie geladen wurde, konnte man sicher sein, daß Fräulein Aline nicht fehlte, und umgekehrt. Ich sehe sie noch, wie wir eines Abends im Mondschein dasaßen, etwas abseits von der übrigen Gesellschaft, und wie sie mir gestand, sie habe ehre Pflichten heute fahren lassen, um den Ausflug mitzumachen. Da wußte ich, wie wert ich ihr war, neigte mich wortlos zu ihr und Nßte sie. Schüchtern, aber als ob sie nicht anders könnte, erwiderte sie meinen Kuß, dann aber zog sich plötzlich zurück und sagte leise vor sich hin: Nein, es kann nicht sein, ^es war zu glücklich, als daß ich viel darauf geachtet hätte; ich umschlang sie und zog sie an mich. Sie ließ es eine Weile geschehen, dann aber wehrte sie ^ich sanft ab und sagte, mit der Hand auf die benachbarte Laube zeigend: Kommen Sie, man bricht auf! Für den Abend war das das letzte, was ich ohne Zeugen von ihr hörte; am folgenden Morgen war ich auf dem Wege zu ihr, um mich mit ihr zu verloben. Zu meiner Überraschung empfing sie mich mit einem Gesicht, in dem sicher eine überwachte Nacht, wahrscheinlich auch die Spur von Thränen M lesen war, und als ich sie fragte, ob sie meine Braut sein wolle, schloß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/477
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/477>, abgerufen am 28.06.2024.