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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Moderne Kreuzfahrer

oderne Kreuzfahrer -- das klingt etwas lästerlich und birgt eine"
komischen Gegensatz. Wer es enthält doch auch ernste Bezüge.
Wer hätte es im vorigen Jahrhundert geweissagt, daß es in
seinem Fvlgezeitalter noch Menschen geben würde -- nicht "bigotten
^1 Pöbel," der große Anstoß für die damaligen Allerweltsaufklnrer,
sondern wirkliche "Menschen," die "auf Akademien gewesen" waren und "Ber¬
linische Zeitungen" lasen - - Menschen, die wieder statt nach dem Westen nach
dem Osten pilgern würden, statt nach dem Lande der Freiheit nach der Heimat
"es Glaubens, statt nach dem unermeßlichen Eldorado der Zukuuftsmenschheit
jenseits des Ozeans nach der engen Menschheitswiege hinter dem einstmaligen
"Vvlkermeere"! Man hätte damals in die "kritische Urteilskraft" eines solchen
Propheten begründetes Mißtrauen gesetzt. Das gilt von der Anziehungskraft
och Ostens im Allgemeinen, die in unsrer Zeit wieder ein solches Übergewicht
erlangt hat, daß das Wort vom "Zug nach dem Westen" im Munde der
Zeitungsdichter und ihres Publikums gerade jetzt wie ein Hohn auf die Thatsäch-
'edlen erscheint. Es gilt im Allgemeinen, d. h. nicht bloß im religiösen Sinne,
dem wir oben anknüpfen. Die große Welle schlägt wieder zurück und,
Merkwürdig, wiederum wie in den Zeiten der großen Imperien, des griechifch-
ronnschen und des römisch-dentschen, ist gerade im Zeitalter des neuen deutschen
Deiches der Osten der Schwerpunkt des Ausdehnungsbedürfnisses, des Thätig-
rettstriebes der gesamten Kulturmacht. Und eigentümlich ist es dabei jedenfalls,
^ W bei dieser Ostbewegung der Kultur alsbald wieder das ganz unmaterielle,
r"n geistige oder besser sittliche Element eine große Rolle zu spielen beginnt,
^ humane, rechtliche oder staatliche Idee, die in den Alexanderzngen und den
römischen Parteikriegen ihren Ausdruck faud, dann als christliches Ideal gegen-
uier dem Islam in den Kreuzzügen wieder auflebte und heute, nicht gar so
erjchieden, als Bollwerk gegen wüstes Nomadentum und menschheitschäudende
^ laverei ^ energisch und, im Besitze der modernen Hilfsmittel hoffentlich
erfolgreicher, gegen Osten vorschiebt. Man kann diesen Zug zusammenfassend
ganz wohl einen religiösen nennen. Wie grell hebt sich der Gold- und Besitz-
junger der großen Westbewegung nach der Entdeckung Amerikas von dem
rntjagungsvollen und aufopfernngsreichen Charakter aller Orientexpeditionen




Moderne Kreuzfahrer

oderne Kreuzfahrer — das klingt etwas lästerlich und birgt eine»
komischen Gegensatz. Wer es enthält doch auch ernste Bezüge.
Wer hätte es im vorigen Jahrhundert geweissagt, daß es in
seinem Fvlgezeitalter noch Menschen geben würde — nicht „bigotten
^1 Pöbel," der große Anstoß für die damaligen Allerweltsaufklnrer,
sondern wirkliche „Menschen," die „auf Akademien gewesen" waren und „Ber¬
linische Zeitungen" lasen - - Menschen, die wieder statt nach dem Westen nach
dem Osten pilgern würden, statt nach dem Lande der Freiheit nach der Heimat
"es Glaubens, statt nach dem unermeßlichen Eldorado der Zukuuftsmenschheit
jenseits des Ozeans nach der engen Menschheitswiege hinter dem einstmaligen
»Vvlkermeere"! Man hätte damals in die „kritische Urteilskraft" eines solchen
Propheten begründetes Mißtrauen gesetzt. Das gilt von der Anziehungskraft
och Ostens im Allgemeinen, die in unsrer Zeit wieder ein solches Übergewicht
erlangt hat, daß das Wort vom „Zug nach dem Westen" im Munde der
Zeitungsdichter und ihres Publikums gerade jetzt wie ein Hohn auf die Thatsäch-
'edlen erscheint. Es gilt im Allgemeinen, d. h. nicht bloß im religiösen Sinne,
dem wir oben anknüpfen. Die große Welle schlägt wieder zurück und,
Merkwürdig, wiederum wie in den Zeiten der großen Imperien, des griechifch-
ronnschen und des römisch-dentschen, ist gerade im Zeitalter des neuen deutschen
Deiches der Osten der Schwerpunkt des Ausdehnungsbedürfnisses, des Thätig-
rettstriebes der gesamten Kulturmacht. Und eigentümlich ist es dabei jedenfalls,
^ W bei dieser Ostbewegung der Kultur alsbald wieder das ganz unmaterielle,
r«n geistige oder besser sittliche Element eine große Rolle zu spielen beginnt,
^ humane, rechtliche oder staatliche Idee, die in den Alexanderzngen und den
römischen Parteikriegen ihren Ausdruck faud, dann als christliches Ideal gegen-
uier dem Islam in den Kreuzzügen wieder auflebte und heute, nicht gar so
erjchieden, als Bollwerk gegen wüstes Nomadentum und menschheitschäudende
^ laverei ^ energisch und, im Besitze der modernen Hilfsmittel hoffentlich
erfolgreicher, gegen Osten vorschiebt. Man kann diesen Zug zusammenfassend
ganz wohl einen religiösen nennen. Wie grell hebt sich der Gold- und Besitz-
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[0423] [Abbildung] Moderne Kreuzfahrer oderne Kreuzfahrer — das klingt etwas lästerlich und birgt eine» komischen Gegensatz. Wer es enthält doch auch ernste Bezüge. Wer hätte es im vorigen Jahrhundert geweissagt, daß es in seinem Fvlgezeitalter noch Menschen geben würde — nicht „bigotten ^1 Pöbel," der große Anstoß für die damaligen Allerweltsaufklnrer, sondern wirkliche „Menschen," die „auf Akademien gewesen" waren und „Ber¬ linische Zeitungen" lasen - - Menschen, die wieder statt nach dem Westen nach dem Osten pilgern würden, statt nach dem Lande der Freiheit nach der Heimat "es Glaubens, statt nach dem unermeßlichen Eldorado der Zukuuftsmenschheit jenseits des Ozeans nach der engen Menschheitswiege hinter dem einstmaligen »Vvlkermeere"! Man hätte damals in die „kritische Urteilskraft" eines solchen Propheten begründetes Mißtrauen gesetzt. Das gilt von der Anziehungskraft och Ostens im Allgemeinen, die in unsrer Zeit wieder ein solches Übergewicht erlangt hat, daß das Wort vom „Zug nach dem Westen" im Munde der Zeitungsdichter und ihres Publikums gerade jetzt wie ein Hohn auf die Thatsäch- 'edlen erscheint. Es gilt im Allgemeinen, d. h. nicht bloß im religiösen Sinne, dem wir oben anknüpfen. Die große Welle schlägt wieder zurück und, Merkwürdig, wiederum wie in den Zeiten der großen Imperien, des griechifch- ronnschen und des römisch-dentschen, ist gerade im Zeitalter des neuen deutschen Deiches der Osten der Schwerpunkt des Ausdehnungsbedürfnisses, des Thätig- rettstriebes der gesamten Kulturmacht. Und eigentümlich ist es dabei jedenfalls, ^ W bei dieser Ostbewegung der Kultur alsbald wieder das ganz unmaterielle, r«n geistige oder besser sittliche Element eine große Rolle zu spielen beginnt, ^ humane, rechtliche oder staatliche Idee, die in den Alexanderzngen und den römischen Parteikriegen ihren Ausdruck faud, dann als christliches Ideal gegen- uier dem Islam in den Kreuzzügen wieder auflebte und heute, nicht gar so erjchieden, als Bollwerk gegen wüstes Nomadentum und menschheitschäudende ^ laverei ^ energisch und, im Besitze der modernen Hilfsmittel hoffentlich erfolgreicher, gegen Osten vorschiebt. Man kann diesen Zug zusammenfassend ganz wohl einen religiösen nennen. Wie grell hebt sich der Gold- und Besitz- junger der großen Westbewegung nach der Entdeckung Amerikas von dem rntjagungsvollen und aufopfernngsreichen Charakter aller Orientexpeditionen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/423>, abgerufen am 28.06.2024.