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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die jüngste Schule

Litteratur den leider nur sehr einseitig eiftigen Forscher verrät, desto greller
und beleidigender tritt das hier vollzogene Opfer der Wahrheit, der Auf¬
richtigkeit und des Geschmackes, wir sagen das bewußte Opfer der ersten Eigen¬
schaften eines Mannes, hier entgegen.

(Schluß folgt)




Die jüngste Schule

eit Jahren verlautet von dem Bestehen einer neuen litterarischen
Schule. Die Kinderschuhe der sogenannten klassischen Periode
unsrer nationalen Dichtung sind ausgetreten, die alten Herren
von Weimar waren ja für ihre Zeit ganz tüchtige, verdienst¬
volle Leute, aber die neue Zeit hat eben einen weitern Gesichts¬
kreis, höhere Ziele, sie bedarf andrer Herolde und Propheten, und sie hat sie
gefunden.

So oft ich einer solchen Verkündigung begegnete, hoffte ich endlich zu
erfahren, worin denn das Wesen der neuen Schule bestehe, wodurch sie sich
von der glücklich überwundenen unterscheide; aber anstatt einer Erläuterung der
geheimnisvollen Reden erhielt ich stets nur eine neue, eben so dunkle Fassung.
Und nicht besser erging es mir bei den gelegentlichen Bemühungen, aus den
Quellen selbst Belehrung zu schöpfen. Immer dieselbe Freimaurerei. Immer
wieder erzählen die Dichter, daß sie die Fesseln abgestreift, mit allen Vor¬
urteilen gebrochen haben, daß sie ihr Ohr an des Volkes Herz legen, die Sache
der Menschheit führen, von Philistern angefochten werden und ihnen Verachtung
zurückgeben -- und weiter? Weiter nichts. Lauter Vorreden zu Thaten, doch
von den Thaten selbst konnte ich nichts erfahren. Offenbar war ich noch
immer nicht vor die rechte Schmiede gekommen, und das betrübte mich ernst¬
lich; man will doch nicht hinter seiner Zeit zu weit zurückbleiben.

Plötzlich kam Hilfe in Gestalt eines "Volksheftes," betitelt "Die jüngste
deutsche Litteraturströmung und das Prinzip der Moderne von
Eugen Wolff, Berlin, Richard Eckstein Nachfolger." Brauche ich noch
zu sagen, daß ich mit Gier nach dem Büchlein griff, mit Gier es durchflog,
las und wieder las? Was ich daraus erfahren habe, will ich treulich be¬
richten, da sich annehmen läßt, daß so mancher Leser dieser Blätter sich in
derselben Unwissenheit befindet, wie bis vor kurzem ich.


Die jüngste Schule

Litteratur den leider nur sehr einseitig eiftigen Forscher verrät, desto greller
und beleidigender tritt das hier vollzogene Opfer der Wahrheit, der Auf¬
richtigkeit und des Geschmackes, wir sagen das bewußte Opfer der ersten Eigen¬
schaften eines Mannes, hier entgegen.

(Schluß folgt)




Die jüngste Schule

eit Jahren verlautet von dem Bestehen einer neuen litterarischen
Schule. Die Kinderschuhe der sogenannten klassischen Periode
unsrer nationalen Dichtung sind ausgetreten, die alten Herren
von Weimar waren ja für ihre Zeit ganz tüchtige, verdienst¬
volle Leute, aber die neue Zeit hat eben einen weitern Gesichts¬
kreis, höhere Ziele, sie bedarf andrer Herolde und Propheten, und sie hat sie
gefunden.

So oft ich einer solchen Verkündigung begegnete, hoffte ich endlich zu
erfahren, worin denn das Wesen der neuen Schule bestehe, wodurch sie sich
von der glücklich überwundenen unterscheide; aber anstatt einer Erläuterung der
geheimnisvollen Reden erhielt ich stets nur eine neue, eben so dunkle Fassung.
Und nicht besser erging es mir bei den gelegentlichen Bemühungen, aus den
Quellen selbst Belehrung zu schöpfen. Immer dieselbe Freimaurerei. Immer
wieder erzählen die Dichter, daß sie die Fesseln abgestreift, mit allen Vor¬
urteilen gebrochen haben, daß sie ihr Ohr an des Volkes Herz legen, die Sache
der Menschheit führen, von Philistern angefochten werden und ihnen Verachtung
zurückgeben — und weiter? Weiter nichts. Lauter Vorreden zu Thaten, doch
von den Thaten selbst konnte ich nichts erfahren. Offenbar war ich noch
immer nicht vor die rechte Schmiede gekommen, und das betrübte mich ernst¬
lich; man will doch nicht hinter seiner Zeit zu weit zurückbleiben.

Plötzlich kam Hilfe in Gestalt eines „Volksheftes," betitelt „Die jüngste
deutsche Litteraturströmung und das Prinzip der Moderne von
Eugen Wolff, Berlin, Richard Eckstein Nachfolger." Brauche ich noch
zu sagen, daß ich mit Gier nach dem Büchlein griff, mit Gier es durchflog,
las und wieder las? Was ich daraus erfahren habe, will ich treulich be¬
richten, da sich annehmen läßt, daß so mancher Leser dieser Blätter sich in
derselben Unwissenheit befindet, wie bis vor kurzem ich.


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[0035] Die jüngste Schule Litteratur den leider nur sehr einseitig eiftigen Forscher verrät, desto greller und beleidigender tritt das hier vollzogene Opfer der Wahrheit, der Auf¬ richtigkeit und des Geschmackes, wir sagen das bewußte Opfer der ersten Eigen¬ schaften eines Mannes, hier entgegen. (Schluß folgt) Die jüngste Schule eit Jahren verlautet von dem Bestehen einer neuen litterarischen Schule. Die Kinderschuhe der sogenannten klassischen Periode unsrer nationalen Dichtung sind ausgetreten, die alten Herren von Weimar waren ja für ihre Zeit ganz tüchtige, verdienst¬ volle Leute, aber die neue Zeit hat eben einen weitern Gesichts¬ kreis, höhere Ziele, sie bedarf andrer Herolde und Propheten, und sie hat sie gefunden. So oft ich einer solchen Verkündigung begegnete, hoffte ich endlich zu erfahren, worin denn das Wesen der neuen Schule bestehe, wodurch sie sich von der glücklich überwundenen unterscheide; aber anstatt einer Erläuterung der geheimnisvollen Reden erhielt ich stets nur eine neue, eben so dunkle Fassung. Und nicht besser erging es mir bei den gelegentlichen Bemühungen, aus den Quellen selbst Belehrung zu schöpfen. Immer dieselbe Freimaurerei. Immer wieder erzählen die Dichter, daß sie die Fesseln abgestreift, mit allen Vor¬ urteilen gebrochen haben, daß sie ihr Ohr an des Volkes Herz legen, die Sache der Menschheit führen, von Philistern angefochten werden und ihnen Verachtung zurückgeben — und weiter? Weiter nichts. Lauter Vorreden zu Thaten, doch von den Thaten selbst konnte ich nichts erfahren. Offenbar war ich noch immer nicht vor die rechte Schmiede gekommen, und das betrübte mich ernst¬ lich; man will doch nicht hinter seiner Zeit zu weit zurückbleiben. Plötzlich kam Hilfe in Gestalt eines „Volksheftes," betitelt „Die jüngste deutsche Litteraturströmung und das Prinzip der Moderne von Eugen Wolff, Berlin, Richard Eckstein Nachfolger." Brauche ich noch zu sagen, daß ich mit Gier nach dem Büchlein griff, mit Gier es durchflog, las und wieder las? Was ich daraus erfahren habe, will ich treulich be¬ richten, da sich annehmen läßt, daß so mancher Leser dieser Blätter sich in derselben Unwissenheit befindet, wie bis vor kurzem ich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/35>, abgerufen am 28.06.2024.