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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.
2.

ehr charakteristisch für die Denkart des Königs ist ein Brief von
ihm aus der Konfliktszeit, der von Schneider zufällig aufgefunden
und hier zum ersten male veröffentlicht worden ist. Der Oberst¬
leutnant von Vincke auf Olbendorf hatte 1863 zum Neujahrstage
ein Schreiben mit warmen Glückwünschen an den König gerichtet,
dabei aber zum Schlüsse gesagt:

Mit schwereren Herzen als je sehe ich in die Zukunft. Eure Königliche
Majestät wage ich nicht weiter mit meinen Ansichten zu belästigen, weil ich doch
die Allerhöchste Zustimmung nicht finden würde. Nur eins kann ich nicht unter¬
lassen auszusprechen, weil es meinerseits eine Untreue gegen Eure Majestät sein
würde, wenn ich es hier verschwiege: ich fürchte, Eure Majestät sind über die
Stimmung des bei weitem größten Teils des Volkes getäuscht. Das Volk hängt
treu an Eurer Majestät, aber es hält auch fest an dem Rechte, welches ihm der
Artikel 99 der Verfassung unzweideutig gewährt. Möge Gott die unglücklichen
Folgen eines großen Mißverständnisses in Gnaden abwenden. In tiefster Ehrfurcht
ersterbend u. s. w.

Der König antwortete darauf am 2. Januar:

Für Ihre freundlichen Glückwünsche beim Jahreswechsel danke Ich Ihnen
bestens. Daß der Blick in das neue Jahr nicht freundlich ist, bedarf keines Be¬
weises. Daß aber auch Sie in das Horn stoßen, daß Ich nicht die Stimmung
des bei weitem größten Teils des Volkes kenne, ist Mir unbegreiflich, und Sie
müssen Meine Antworten an die vielen Loyalitätsdeputationen nicht gelesen haben.
Immer und immer habe Ich es wiederholt, daß Mein Vertrauen zu Meinem
Volke unerschüttert sei, weil Ich wüßte, daß es Mir vertraue; aber diejenigen,
welche Mir die Liebe und das Vertrauen desselben rauben wollten, die verdamme
Ich, weil ihre Pläne nur ausführbar sind, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird.


Grenzboten III- 1L33. "7


Aus dem Leben Kaiser Wilhelms.
2.

ehr charakteristisch für die Denkart des Königs ist ein Brief von
ihm aus der Konfliktszeit, der von Schneider zufällig aufgefunden
und hier zum ersten male veröffentlicht worden ist. Der Oberst¬
leutnant von Vincke auf Olbendorf hatte 1863 zum Neujahrstage
ein Schreiben mit warmen Glückwünschen an den König gerichtet,
dabei aber zum Schlüsse gesagt:

Mit schwereren Herzen als je sehe ich in die Zukunft. Eure Königliche
Majestät wage ich nicht weiter mit meinen Ansichten zu belästigen, weil ich doch
die Allerhöchste Zustimmung nicht finden würde. Nur eins kann ich nicht unter¬
lassen auszusprechen, weil es meinerseits eine Untreue gegen Eure Majestät sein
würde, wenn ich es hier verschwiege: ich fürchte, Eure Majestät sind über die
Stimmung des bei weitem größten Teils des Volkes getäuscht. Das Volk hängt
treu an Eurer Majestät, aber es hält auch fest an dem Rechte, welches ihm der
Artikel 99 der Verfassung unzweideutig gewährt. Möge Gott die unglücklichen
Folgen eines großen Mißverständnisses in Gnaden abwenden. In tiefster Ehrfurcht
ersterbend u. s. w.

Der König antwortete darauf am 2. Januar:

Für Ihre freundlichen Glückwünsche beim Jahreswechsel danke Ich Ihnen
bestens. Daß der Blick in das neue Jahr nicht freundlich ist, bedarf keines Be¬
weises. Daß aber auch Sie in das Horn stoßen, daß Ich nicht die Stimmung
des bei weitem größten Teils des Volkes kenne, ist Mir unbegreiflich, und Sie
müssen Meine Antworten an die vielen Loyalitätsdeputationen nicht gelesen haben.
Immer und immer habe Ich es wiederholt, daß Mein Vertrauen zu Meinem
Volke unerschüttert sei, weil Ich wüßte, daß es Mir vertraue; aber diejenigen,
welche Mir die Liebe und das Vertrauen desselben rauben wollten, die verdamme
Ich, weil ihre Pläne nur ausführbar sind, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird.


Grenzboten III- 1L33. «7
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[0537] [Abbildung] Aus dem Leben Kaiser Wilhelms. 2. ehr charakteristisch für die Denkart des Königs ist ein Brief von ihm aus der Konfliktszeit, der von Schneider zufällig aufgefunden und hier zum ersten male veröffentlicht worden ist. Der Oberst¬ leutnant von Vincke auf Olbendorf hatte 1863 zum Neujahrstage ein Schreiben mit warmen Glückwünschen an den König gerichtet, dabei aber zum Schlüsse gesagt: Mit schwereren Herzen als je sehe ich in die Zukunft. Eure Königliche Majestät wage ich nicht weiter mit meinen Ansichten zu belästigen, weil ich doch die Allerhöchste Zustimmung nicht finden würde. Nur eins kann ich nicht unter¬ lassen auszusprechen, weil es meinerseits eine Untreue gegen Eure Majestät sein würde, wenn ich es hier verschwiege: ich fürchte, Eure Majestät sind über die Stimmung des bei weitem größten Teils des Volkes getäuscht. Das Volk hängt treu an Eurer Majestät, aber es hält auch fest an dem Rechte, welches ihm der Artikel 99 der Verfassung unzweideutig gewährt. Möge Gott die unglücklichen Folgen eines großen Mißverständnisses in Gnaden abwenden. In tiefster Ehrfurcht ersterbend u. s. w. Der König antwortete darauf am 2. Januar: Für Ihre freundlichen Glückwünsche beim Jahreswechsel danke Ich Ihnen bestens. Daß der Blick in das neue Jahr nicht freundlich ist, bedarf keines Be¬ weises. Daß aber auch Sie in das Horn stoßen, daß Ich nicht die Stimmung des bei weitem größten Teils des Volkes kenne, ist Mir unbegreiflich, und Sie müssen Meine Antworten an die vielen Loyalitätsdeputationen nicht gelesen haben. Immer und immer habe Ich es wiederholt, daß Mein Vertrauen zu Meinem Volke unerschüttert sei, weil Ich wüßte, daß es Mir vertraue; aber diejenigen, welche Mir die Liebe und das Vertrauen desselben rauben wollten, die verdamme Ich, weil ihre Pläne nur ausführbar sind, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird. Grenzboten III- 1L33. «7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/537>, abgerufen am 22.07.2024.