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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Gelo Ludwig als politischer Dichter.

Hunger quälen, und wann sie noch nicht daran wollen, ein so hohes Werk zu
befördern, so wird er ihnen allen vom Hängen predigen oder ihnen sein wunder-
barlich Schwert weisen" u. s. w. Mag man über den Einfall, der noch nach
dem aufgeregten und erbitterten Geiste des Priesters im fünfzehnten Jahrhundert
schmeckt, lachen oder sich ärgern, auf alle Fälle durfte ein Narr im siebzehnten
Jahrhundert unter der Angst der Zeit und der Bitterkeit der Stimmung so
träumen und damit mehr als Narr sein, der Kern des Traumes ist weder zum
Lachen noch zum Ärgern, er war und bleibt wohl träumenswert. Was hier
von dem Zwange des gottgesandten Helden erwartet wird, das kam im acht¬
zehnten Jahrhundert doch in Gang durch den Zwang der Bildung und Sinnes¬
erhöhung und Ausweitung, die, darin zugleich echt christlich, allgemeine Menschen¬
liebe als höchstes Wort leuchtend an den Gedankenhimmel setzte. Wie es jetzt
auch damit anders steht, wo es für so viele wohl noch eine Gedankenwelt, auch
eine reichere als früher, aber keinen Gedankenhimmel drüber mehr giebt, man
wird darauf doch zurückkommen, man wird eben auch müssen.

(Fortsetzung folgt.)




Gelo Ludwig als politischer Dichter.

achten ein Menschenalter seit den ersten fünfziger Jahren ver¬
gangen ist, lernen wir allmählich einsehen, welche frische, hoff¬
nungsreiche und leistungsfähige Zeit damals über der deutscheu
Litteratur aufgegangen war. Es waren die Tage, in denen eine
Reihe der besten und dabei grundverschiedensten Talente, deren
Anfänge noch in die vierziger Jahre fielen, Männer wie Friedrich Hebbel,
Gustav Freytag, Emanuel Geibel, in die Periode ihrer Reife traten, die Tage,
wo Otto Ludwigs Dramen und Erzählungen, Gottfried Kellers "Grüner
Heinrich" und "Leute von Seldwyla." Paul Heyses und Theodor Storms erste
Dichtungen erschienen. Man kann nicht sagen, daß alle diese vielverheißenden
und in ihrer Art vortrefflichen Schöpfungen begeistert aufgenommen und ge¬
würdigt worden wären, die Tageskritik vermißte meist in ihnen den tendenziösen
und publizistischen Beigeschmack, an den man sich in der Periode der jungdeutschen
Belletristik und der politischen Poesie gewöhnt hatte. Aber dreißig bis fttnf-
unddreißig Jahre, in denen unermeßlich viel, doch wenig besseres geschrieben
worden ist, haben hingereicht, das Bild jener Litteraturpcriode in eine wesentlich


Gelo Ludwig als politischer Dichter.

Hunger quälen, und wann sie noch nicht daran wollen, ein so hohes Werk zu
befördern, so wird er ihnen allen vom Hängen predigen oder ihnen sein wunder-
barlich Schwert weisen" u. s. w. Mag man über den Einfall, der noch nach
dem aufgeregten und erbitterten Geiste des Priesters im fünfzehnten Jahrhundert
schmeckt, lachen oder sich ärgern, auf alle Fälle durfte ein Narr im siebzehnten
Jahrhundert unter der Angst der Zeit und der Bitterkeit der Stimmung so
träumen und damit mehr als Narr sein, der Kern des Traumes ist weder zum
Lachen noch zum Ärgern, er war und bleibt wohl träumenswert. Was hier
von dem Zwange des gottgesandten Helden erwartet wird, das kam im acht¬
zehnten Jahrhundert doch in Gang durch den Zwang der Bildung und Sinnes¬
erhöhung und Ausweitung, die, darin zugleich echt christlich, allgemeine Menschen¬
liebe als höchstes Wort leuchtend an den Gedankenhimmel setzte. Wie es jetzt
auch damit anders steht, wo es für so viele wohl noch eine Gedankenwelt, auch
eine reichere als früher, aber keinen Gedankenhimmel drüber mehr giebt, man
wird darauf doch zurückkommen, man wird eben auch müssen.

(Fortsetzung folgt.)




Gelo Ludwig als politischer Dichter.

achten ein Menschenalter seit den ersten fünfziger Jahren ver¬
gangen ist, lernen wir allmählich einsehen, welche frische, hoff¬
nungsreiche und leistungsfähige Zeit damals über der deutscheu
Litteratur aufgegangen war. Es waren die Tage, in denen eine
Reihe der besten und dabei grundverschiedensten Talente, deren
Anfänge noch in die vierziger Jahre fielen, Männer wie Friedrich Hebbel,
Gustav Freytag, Emanuel Geibel, in die Periode ihrer Reife traten, die Tage,
wo Otto Ludwigs Dramen und Erzählungen, Gottfried Kellers „Grüner
Heinrich" und „Leute von Seldwyla." Paul Heyses und Theodor Storms erste
Dichtungen erschienen. Man kann nicht sagen, daß alle diese vielverheißenden
und in ihrer Art vortrefflichen Schöpfungen begeistert aufgenommen und ge¬
würdigt worden wären, die Tageskritik vermißte meist in ihnen den tendenziösen
und publizistischen Beigeschmack, an den man sich in der Periode der jungdeutschen
Belletristik und der politischen Poesie gewöhnt hatte. Aber dreißig bis fttnf-
unddreißig Jahre, in denen unermeßlich viel, doch wenig besseres geschrieben
worden ist, haben hingereicht, das Bild jener Litteraturpcriode in eine wesentlich


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[0035] Gelo Ludwig als politischer Dichter. Hunger quälen, und wann sie noch nicht daran wollen, ein so hohes Werk zu befördern, so wird er ihnen allen vom Hängen predigen oder ihnen sein wunder- barlich Schwert weisen" u. s. w. Mag man über den Einfall, der noch nach dem aufgeregten und erbitterten Geiste des Priesters im fünfzehnten Jahrhundert schmeckt, lachen oder sich ärgern, auf alle Fälle durfte ein Narr im siebzehnten Jahrhundert unter der Angst der Zeit und der Bitterkeit der Stimmung so träumen und damit mehr als Narr sein, der Kern des Traumes ist weder zum Lachen noch zum Ärgern, er war und bleibt wohl träumenswert. Was hier von dem Zwange des gottgesandten Helden erwartet wird, das kam im acht¬ zehnten Jahrhundert doch in Gang durch den Zwang der Bildung und Sinnes¬ erhöhung und Ausweitung, die, darin zugleich echt christlich, allgemeine Menschen¬ liebe als höchstes Wort leuchtend an den Gedankenhimmel setzte. Wie es jetzt auch damit anders steht, wo es für so viele wohl noch eine Gedankenwelt, auch eine reichere als früher, aber keinen Gedankenhimmel drüber mehr giebt, man wird darauf doch zurückkommen, man wird eben auch müssen. (Fortsetzung folgt.) Gelo Ludwig als politischer Dichter. achten ein Menschenalter seit den ersten fünfziger Jahren ver¬ gangen ist, lernen wir allmählich einsehen, welche frische, hoff¬ nungsreiche und leistungsfähige Zeit damals über der deutscheu Litteratur aufgegangen war. Es waren die Tage, in denen eine Reihe der besten und dabei grundverschiedensten Talente, deren Anfänge noch in die vierziger Jahre fielen, Männer wie Friedrich Hebbel, Gustav Freytag, Emanuel Geibel, in die Periode ihrer Reife traten, die Tage, wo Otto Ludwigs Dramen und Erzählungen, Gottfried Kellers „Grüner Heinrich" und „Leute von Seldwyla." Paul Heyses und Theodor Storms erste Dichtungen erschienen. Man kann nicht sagen, daß alle diese vielverheißenden und in ihrer Art vortrefflichen Schöpfungen begeistert aufgenommen und ge¬ würdigt worden wären, die Tageskritik vermißte meist in ihnen den tendenziösen und publizistischen Beigeschmack, an den man sich in der Periode der jungdeutschen Belletristik und der politischen Poesie gewöhnt hatte. Aber dreißig bis fttnf- unddreißig Jahre, in denen unermeßlich viel, doch wenig besseres geschrieben worden ist, haben hingereicht, das Bild jener Litteraturpcriode in eine wesentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/35>, abgerufen am 22.07.2024.