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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Heiligen von Lecco.

Giltigkeit schwerlich zu erschüttern sein wird: erstens, daß ohne technisches
Können keine echte Kunst denkbar ist, was schon in der Etymologie des Wortes
liegt, sodann, daß eine echte Künstlerkraft nicht durch Nachahmung fremder
Kunstfertigkeit herangezogen werden, sondern nur aus dem Kern eines Volks¬
wesens erwachsen kaun, daß also jede echte Kunst auch national sein muß. Das
dritte Merkzeichen wahrer Kunst ist dem Verfasser dann die Natur, und das
Verhältnis zu ihr gilt ihm als Prüfstein für die Begabung eines Künstlers.
"Als wirkliche, echte, ganze Meister, sagt er zum Schlüsse seines Werkes, wird
die Kunstgeschichte doch nur diejenigen Künstler gelten lassen, welche stets in
engster und unmittelbarster Fühlung mit der Natur gestanden haben, welche die
Natur nicht durch die Brille andrer Meister, andrer Zeiten oder andrer Volker,
sondern mit ihren eignen Augen angesehen haben, und welche mit Augen begabt
gewesen sind, die in der Naiur etwas andres, Sehenswürdigeres gesehen haben,
als diejenigen gewöhnlicher Sterblichen. Der Kunstgeschichte ist es dabei ziem¬
lich gleichgültig, ob sie das Neue, was sie gesehen und wiedergegeben haben,
aus der Natur selbst herausgesehen (Realismus) oder, im innigsten Verkehr
mit ihr, in sie hineingesehen haben (Idealismus). Die Nachwelt läßt von
diesen ursprünglich begabten Künstlern jeden in seiner Art gelten, vorausgesetzt,
daß er die erlernbare Technik seiner Kunst nicht hochmütig über die Achseln
angesehen, sondern sich mit eisernem Fleiße zu eigen gemacht hat."

In diesen letzten Sätzen hat der Verfasser zugleich die Prinzipien aus¬
gesprochen, die ihm selbst als Richtschnur gedient haben. Es sind im Wesent¬
lichen die Grundsatze einer vermittelnden historischen Kritik. Man mag sie
anerkennen oder mißbilligen, das eine steht fest, daß sie die Kunstgeschichte
aus dem Gebiete der Vermutungen und der subjektiven Betrachtungen geistreicher
Dilettanten auf den festen Boden der Wissenschaft geführt haben, und unter
diesem Gesichtspunkte ist Woermanns "Geschichte der Malerei" eine wissen¬
schaftliche That, die nicht bloß Lobredner, sondern auch Nacheiferer finden möge.


Adolf Rosenberg.


Die Heiligen von Lecco.

le liebliche Umgegend von Lecco hat ihren Hauptreiz sehr viel
mehr in den Aussichten auf die Alpenabhänge, die das Thal der
Adda einschließen, und in der Erinnerung an Manzoni, dem die
aus Biederkeit und Schlauheit, Willenskraft und Schmiegsamkeit
gemischte Eigenart der Landleute die hauptsächlichsten Typen seines
Romans eingab, als in den angeblichen Örtlichkeiten, welche die Lokalantiquare


Die Heiligen von Lecco.

Giltigkeit schwerlich zu erschüttern sein wird: erstens, daß ohne technisches
Können keine echte Kunst denkbar ist, was schon in der Etymologie des Wortes
liegt, sodann, daß eine echte Künstlerkraft nicht durch Nachahmung fremder
Kunstfertigkeit herangezogen werden, sondern nur aus dem Kern eines Volks¬
wesens erwachsen kaun, daß also jede echte Kunst auch national sein muß. Das
dritte Merkzeichen wahrer Kunst ist dem Verfasser dann die Natur, und das
Verhältnis zu ihr gilt ihm als Prüfstein für die Begabung eines Künstlers.
»Als wirkliche, echte, ganze Meister, sagt er zum Schlüsse seines Werkes, wird
die Kunstgeschichte doch nur diejenigen Künstler gelten lassen, welche stets in
engster und unmittelbarster Fühlung mit der Natur gestanden haben, welche die
Natur nicht durch die Brille andrer Meister, andrer Zeiten oder andrer Volker,
sondern mit ihren eignen Augen angesehen haben, und welche mit Augen begabt
gewesen sind, die in der Naiur etwas andres, Sehenswürdigeres gesehen haben,
als diejenigen gewöhnlicher Sterblichen. Der Kunstgeschichte ist es dabei ziem¬
lich gleichgültig, ob sie das Neue, was sie gesehen und wiedergegeben haben,
aus der Natur selbst herausgesehen (Realismus) oder, im innigsten Verkehr
mit ihr, in sie hineingesehen haben (Idealismus). Die Nachwelt läßt von
diesen ursprünglich begabten Künstlern jeden in seiner Art gelten, vorausgesetzt,
daß er die erlernbare Technik seiner Kunst nicht hochmütig über die Achseln
angesehen, sondern sich mit eisernem Fleiße zu eigen gemacht hat."

In diesen letzten Sätzen hat der Verfasser zugleich die Prinzipien aus¬
gesprochen, die ihm selbst als Richtschnur gedient haben. Es sind im Wesent¬
lichen die Grundsatze einer vermittelnden historischen Kritik. Man mag sie
anerkennen oder mißbilligen, das eine steht fest, daß sie die Kunstgeschichte
aus dem Gebiete der Vermutungen und der subjektiven Betrachtungen geistreicher
Dilettanten auf den festen Boden der Wissenschaft geführt haben, und unter
diesem Gesichtspunkte ist Woermanns „Geschichte der Malerei" eine wissen¬
schaftliche That, die nicht bloß Lobredner, sondern auch Nacheiferer finden möge.


Adolf Rosenberg.


Die Heiligen von Lecco.

le liebliche Umgegend von Lecco hat ihren Hauptreiz sehr viel
mehr in den Aussichten auf die Alpenabhänge, die das Thal der
Adda einschließen, und in der Erinnerung an Manzoni, dem die
aus Biederkeit und Schlauheit, Willenskraft und Schmiegsamkeit
gemischte Eigenart der Landleute die hauptsächlichsten Typen seines
Romans eingab, als in den angeblichen Örtlichkeiten, welche die Lokalantiquare


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[0525] Die Heiligen von Lecco. Giltigkeit schwerlich zu erschüttern sein wird: erstens, daß ohne technisches Können keine echte Kunst denkbar ist, was schon in der Etymologie des Wortes liegt, sodann, daß eine echte Künstlerkraft nicht durch Nachahmung fremder Kunstfertigkeit herangezogen werden, sondern nur aus dem Kern eines Volks¬ wesens erwachsen kaun, daß also jede echte Kunst auch national sein muß. Das dritte Merkzeichen wahrer Kunst ist dem Verfasser dann die Natur, und das Verhältnis zu ihr gilt ihm als Prüfstein für die Begabung eines Künstlers. »Als wirkliche, echte, ganze Meister, sagt er zum Schlüsse seines Werkes, wird die Kunstgeschichte doch nur diejenigen Künstler gelten lassen, welche stets in engster und unmittelbarster Fühlung mit der Natur gestanden haben, welche die Natur nicht durch die Brille andrer Meister, andrer Zeiten oder andrer Volker, sondern mit ihren eignen Augen angesehen haben, und welche mit Augen begabt gewesen sind, die in der Naiur etwas andres, Sehenswürdigeres gesehen haben, als diejenigen gewöhnlicher Sterblichen. Der Kunstgeschichte ist es dabei ziem¬ lich gleichgültig, ob sie das Neue, was sie gesehen und wiedergegeben haben, aus der Natur selbst herausgesehen (Realismus) oder, im innigsten Verkehr mit ihr, in sie hineingesehen haben (Idealismus). Die Nachwelt läßt von diesen ursprünglich begabten Künstlern jeden in seiner Art gelten, vorausgesetzt, daß er die erlernbare Technik seiner Kunst nicht hochmütig über die Achseln angesehen, sondern sich mit eisernem Fleiße zu eigen gemacht hat." In diesen letzten Sätzen hat der Verfasser zugleich die Prinzipien aus¬ gesprochen, die ihm selbst als Richtschnur gedient haben. Es sind im Wesent¬ lichen die Grundsatze einer vermittelnden historischen Kritik. Man mag sie anerkennen oder mißbilligen, das eine steht fest, daß sie die Kunstgeschichte aus dem Gebiete der Vermutungen und der subjektiven Betrachtungen geistreicher Dilettanten auf den festen Boden der Wissenschaft geführt haben, und unter diesem Gesichtspunkte ist Woermanns „Geschichte der Malerei" eine wissen¬ schaftliche That, die nicht bloß Lobredner, sondern auch Nacheiferer finden möge. Adolf Rosenberg. Die Heiligen von Lecco. le liebliche Umgegend von Lecco hat ihren Hauptreiz sehr viel mehr in den Aussichten auf die Alpenabhänge, die das Thal der Adda einschließen, und in der Erinnerung an Manzoni, dem die aus Biederkeit und Schlauheit, Willenskraft und Schmiegsamkeit gemischte Eigenart der Landleute die hauptsächlichsten Typen seines Romans eingab, als in den angeblichen Örtlichkeiten, welche die Lokalantiquare

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/525>, abgerufen am 22.07.2024.