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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Streifziigo durch die französische Litteratur der Gegenwart.

von ruchloser Bubenhand schwer verwundet war, noch weniger aber, was sie
gethan hat an den Kranken- und Sterbebetten Kaiser Wilhelms und Kaiser
Friedrichs. Gott erhalte das hohe, edle Paar dem deutschen Vaterlande noch
lange zum Segen!




Htreifzüge durch die französische Litteratur
der Gegenwart.
G. I. Groth. von1.

MO
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äp,WWn einem frühern Aufsatze "Zur Ästhetik des Häßlichen" habe ich
in diesen Blättern die Thatsache festgestellt, daß sich nach Zolas
Roman 1^ die französische Kritik endlich aufgerafft
und mit seltner Einmütigkeit der litterarischen Gorgo Medusa,
dem maßlosen Naturalismus, das Haupt heruntergeschlagen hat.
Wird sich nun aus dem Blute dieses modernen Schreckbildes ein neube-
schwingter Pegasus erheben? Wird aus der trägen, sinnlich rohen Masse der
flammende Blitz Chrysaor wieder aufsteigen und zündend in die wahren Dichter-
seelcn schlagen? Der alte Mythos ist vielsagend. Das Ungeschlachte, Gemeine,
Widerwärtige muß erst überwältigt und vernichtet werden, ehe sich eine ver¬
jüngte Poesie aus dem unnatürlichen Banne ablösen, sich frei entfalten, frei
wirken kann auf alle Geister.

Allein die Aussicht zu dieser günstigen Wendung in der französischen
Litteratur ist verzweifelt gering. Sagte doch jüngst Jules Lemaltre, einer der
unbefangensten und ein oft noch sehr optimistisch dreinschauender Kritiker: ?onde
1a Akts'riZ.oro LouteMvoraivL sse in<mise>6 se inalg-as. L'sse xartvut sous clss
torinLZ äivsrsss, uns reoliLreliö an rare, an i'iMn6, an bruwl on an xoiAnairt.
nuits Ms, nuUö sörsnits. (luss Vontöinxorg.iri8, Paris, 1888. III, S. 43.)
Und ein anderer richtig denkender Geist, Emile Faguet, urteilt in seinem
gediegenen Werke Iilwäss Uttmairss 8ur 1s äix-ueuviöllie siöols (Paris, 1837.
S. 452) über den ganzen Realismus: "Diese Litteratur liegt in den letzten
Zügen, und die jüngsten Vertreter der französischen Dichtung hängen weder an



*) Auch in England ist jüngst dieser Roman ebenso wie Lot>voui1Is und Aaoa durch
die Polizei verboten worden.
Streifziigo durch die französische Litteratur der Gegenwart.

von ruchloser Bubenhand schwer verwundet war, noch weniger aber, was sie
gethan hat an den Kranken- und Sterbebetten Kaiser Wilhelms und Kaiser
Friedrichs. Gott erhalte das hohe, edle Paar dem deutschen Vaterlande noch
lange zum Segen!




Htreifzüge durch die französische Litteratur
der Gegenwart.
G. I. Groth. von1.

MO
^HHM
äp,WWn einem frühern Aufsatze „Zur Ästhetik des Häßlichen" habe ich
in diesen Blättern die Thatsache festgestellt, daß sich nach Zolas
Roman 1^ die französische Kritik endlich aufgerafft
und mit seltner Einmütigkeit der litterarischen Gorgo Medusa,
dem maßlosen Naturalismus, das Haupt heruntergeschlagen hat.
Wird sich nun aus dem Blute dieses modernen Schreckbildes ein neube-
schwingter Pegasus erheben? Wird aus der trägen, sinnlich rohen Masse der
flammende Blitz Chrysaor wieder aufsteigen und zündend in die wahren Dichter-
seelcn schlagen? Der alte Mythos ist vielsagend. Das Ungeschlachte, Gemeine,
Widerwärtige muß erst überwältigt und vernichtet werden, ehe sich eine ver¬
jüngte Poesie aus dem unnatürlichen Banne ablösen, sich frei entfalten, frei
wirken kann auf alle Geister.

Allein die Aussicht zu dieser günstigen Wendung in der französischen
Litteratur ist verzweifelt gering. Sagte doch jüngst Jules Lemaltre, einer der
unbefangensten und ein oft noch sehr optimistisch dreinschauender Kritiker: ?onde
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nuits Ms, nuUö sörsnits. (luss Vontöinxorg.iri8, Paris, 1888. III, S. 43.)
Und ein anderer richtig denkender Geist, Emile Faguet, urteilt in seinem
gediegenen Werke Iilwäss Uttmairss 8ur 1s äix-ueuviöllie siöols (Paris, 1837.
S. 452) über den ganzen Realismus: „Diese Litteratur liegt in den letzten
Zügen, und die jüngsten Vertreter der französischen Dichtung hängen weder an



*) Auch in England ist jüngst dieser Roman ebenso wie Lot>voui1Is und Aaoa durch
die Polizei verboten worden.
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[0512] Streifziigo durch die französische Litteratur der Gegenwart. von ruchloser Bubenhand schwer verwundet war, noch weniger aber, was sie gethan hat an den Kranken- und Sterbebetten Kaiser Wilhelms und Kaiser Friedrichs. Gott erhalte das hohe, edle Paar dem deutschen Vaterlande noch lange zum Segen! Htreifzüge durch die französische Litteratur der Gegenwart. G. I. Groth. von1. MO ^HHM äp,WWn einem frühern Aufsatze „Zur Ästhetik des Häßlichen" habe ich in diesen Blättern die Thatsache festgestellt, daß sich nach Zolas Roman 1^ die französische Kritik endlich aufgerafft und mit seltner Einmütigkeit der litterarischen Gorgo Medusa, dem maßlosen Naturalismus, das Haupt heruntergeschlagen hat. Wird sich nun aus dem Blute dieses modernen Schreckbildes ein neube- schwingter Pegasus erheben? Wird aus der trägen, sinnlich rohen Masse der flammende Blitz Chrysaor wieder aufsteigen und zündend in die wahren Dichter- seelcn schlagen? Der alte Mythos ist vielsagend. Das Ungeschlachte, Gemeine, Widerwärtige muß erst überwältigt und vernichtet werden, ehe sich eine ver¬ jüngte Poesie aus dem unnatürlichen Banne ablösen, sich frei entfalten, frei wirken kann auf alle Geister. Allein die Aussicht zu dieser günstigen Wendung in der französischen Litteratur ist verzweifelt gering. Sagte doch jüngst Jules Lemaltre, einer der unbefangensten und ein oft noch sehr optimistisch dreinschauender Kritiker: ?onde 1a Akts'riZ.oro LouteMvoraivL sse in<mise>6 se inalg-as. L'sse xartvut sous clss torinLZ äivsrsss, uns reoliLreliö an rare, an i'iMn6, an bruwl on an xoiAnairt. nuits Ms, nuUö sörsnits. (luss Vontöinxorg.iri8, Paris, 1888. III, S. 43.) Und ein anderer richtig denkender Geist, Emile Faguet, urteilt in seinem gediegenen Werke Iilwäss Uttmairss 8ur 1s äix-ueuviöllie siöols (Paris, 1837. S. 452) über den ganzen Realismus: „Diese Litteratur liegt in den letzten Zügen, und die jüngsten Vertreter der französischen Dichtung hängen weder an *) Auch in England ist jüngst dieser Roman ebenso wie Lot>voui1Is und Aaoa durch die Polizei verboten worden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/512>, abgerufen am 22.07.2024.