Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Berlin als Theaterhauptstadt.

erim als Theaterstadt oder
NK
MV gar als Thcaterhauptstadt -- so feiern
gegenwärtig die geschmackvollen täglichen Geisteskünder deutscher
Nation in ihren mehr oder minder "ernsten" täglichen und wöchent¬
lichen "Organen" die deutsche Reichshauptstadt. Eine lustige Vor>
Stellung, die das aus rauher Wirklichkeit erstandene und in här¬
testen realen (leider auch sehr realistischen!) Konflikten erhaltene junge Reich
hierbei aushalten muß. Nun, es hat schon so vieles ausgehalten, es wird auch
diesen besondern "Geist" seiner Theaterhauptstadt zu ertragen wissen.

Was die Sache selbst anlangt, so ist es vorläufig schwer zu entscheiden,
ob es ein guter oder ein böser Geist ist, der dabei zum Ausdruck kommt. In
Berlin sind diese "Saison," will sagen diesen Herbst, drei neue, natürlich
"große" und selbstverständlich "ernste" Theater eröffnet worden. Nach den
traurigen Lehren des Theaterwettlaufs in Deutschland und besonders in seiner
Theaterhauptstadt gilt es abzuwarten, ob sie auch als "große" und "ernste"
Theater werden wieder geschlossen werden und -- wann dieses Ereignis ein¬
treten wird. Es giebt Leute, die darauf Wetten eingegangen sind. Wir finden
das profan, zumal da sich unter den "stärkenden" Theaterdirektoren -- um
im Sinne jener welkenden Herren vom Jokehklub zu reden -- sich auch Herr
"Direktor" Oskar Blumenthal mit einem ganz neuen arabischen Vollbluttheater
befindet, der darin einige von Lessings Kunstgesetzen ins deutsche Gedächtnis
"ätzen" will. Zu den "Kunstgesctzen", auf welche dieser selbst in einem Pro¬
loge etwas zu grausame Ausdruck meist anwendbar ist, gehört bekanntlich das¬
jenige, welches sich armen Künstlern gerade in der Theaterlaufbahn so oft un¬
barmherzig ins Gedächtnis "ätzt": Heiter ist der andern Leben, aber ernst,
schwer ernst ist eure Kunst. Darum soll man auf die Kunst nicht wetten. Es
ist nicht fein, selbst nicht zu einer Zeit, wo die Kalauerfabrikantcn sich eigne
Theater bauen, um einen zufällig einmal abgelehnten Kalauer "trotz alledem"
aufzuführen und damit die Gesetze der Kunst ins Gedächtnis zer "ätzen."

Aber es ist doch immerhin bedeutsam, daß man sich heute wenigstens in
Prologen wieder mit den Kunstgesetzen befassen muß. Kunstgesetze -- greuliches
Wort für den theaterbesuchenden Börsenmann! Kunst und Gesetze, zwei Dinge,
die ihm gesondert unliebsam genug sind, in einer Vereinigung! Freilich hören
auch nichtbörsenfähige Theaterbesucher -- es sind zwar heute seltne Vögel --




Berlin als Theaterhauptstadt.

erim als Theaterstadt oder
NK
MV gar als Thcaterhauptstadt — so feiern
gegenwärtig die geschmackvollen täglichen Geisteskünder deutscher
Nation in ihren mehr oder minder „ernsten" täglichen und wöchent¬
lichen „Organen" die deutsche Reichshauptstadt. Eine lustige Vor>
Stellung, die das aus rauher Wirklichkeit erstandene und in här¬
testen realen (leider auch sehr realistischen!) Konflikten erhaltene junge Reich
hierbei aushalten muß. Nun, es hat schon so vieles ausgehalten, es wird auch
diesen besondern „Geist" seiner Theaterhauptstadt zu ertragen wissen.

Was die Sache selbst anlangt, so ist es vorläufig schwer zu entscheiden,
ob es ein guter oder ein böser Geist ist, der dabei zum Ausdruck kommt. In
Berlin sind diese „Saison," will sagen diesen Herbst, drei neue, natürlich
„große" und selbstverständlich „ernste" Theater eröffnet worden. Nach den
traurigen Lehren des Theaterwettlaufs in Deutschland und besonders in seiner
Theaterhauptstadt gilt es abzuwarten, ob sie auch als „große" und „ernste"
Theater werden wieder geschlossen werden und — wann dieses Ereignis ein¬
treten wird. Es giebt Leute, die darauf Wetten eingegangen sind. Wir finden
das profan, zumal da sich unter den „stärkenden" Theaterdirektoren — um
im Sinne jener welkenden Herren vom Jokehklub zu reden — sich auch Herr
„Direktor" Oskar Blumenthal mit einem ganz neuen arabischen Vollbluttheater
befindet, der darin einige von Lessings Kunstgesetzen ins deutsche Gedächtnis
„ätzen" will. Zu den „Kunstgesctzen", auf welche dieser selbst in einem Pro¬
loge etwas zu grausame Ausdruck meist anwendbar ist, gehört bekanntlich das¬
jenige, welches sich armen Künstlern gerade in der Theaterlaufbahn so oft un¬
barmherzig ins Gedächtnis „ätzt": Heiter ist der andern Leben, aber ernst,
schwer ernst ist eure Kunst. Darum soll man auf die Kunst nicht wetten. Es
ist nicht fein, selbst nicht zu einer Zeit, wo die Kalauerfabrikantcn sich eigne
Theater bauen, um einen zufällig einmal abgelehnten Kalauer „trotz alledem"
aufzuführen und damit die Gesetze der Kunst ins Gedächtnis zer „ätzen."

Aber es ist doch immerhin bedeutsam, daß man sich heute wenigstens in
Prologen wieder mit den Kunstgesetzen befassen muß. Kunstgesetze — greuliches
Wort für den theaterbesuchenden Börsenmann! Kunst und Gesetze, zwei Dinge,
die ihm gesondert unliebsam genug sind, in einer Vereinigung! Freilich hören
auch nichtbörsenfähige Theaterbesucher — es sind zwar heute seltne Vögel —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203800"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341847_203434/figures/grenzboten_341847_203434_203800_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Berlin als Theaterhauptstadt.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_917"> erim als Theaterstadt oder<lb/>
NK<lb/>
MV gar als Thcaterhauptstadt &#x2014; so feiern<lb/>
gegenwärtig die geschmackvollen täglichen Geisteskünder deutscher<lb/>
Nation in ihren mehr oder minder &#x201E;ernsten" täglichen und wöchent¬<lb/>
lichen &#x201E;Organen" die deutsche Reichshauptstadt. Eine lustige Vor&gt;<lb/>
Stellung, die das aus rauher Wirklichkeit erstandene und in här¬<lb/>
testen realen (leider auch sehr realistischen!) Konflikten erhaltene junge Reich<lb/>
hierbei aushalten muß. Nun, es hat schon so vieles ausgehalten, es wird auch<lb/>
diesen besondern &#x201E;Geist" seiner Theaterhauptstadt zu ertragen wissen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_918"> Was die Sache selbst anlangt, so ist es vorläufig schwer zu entscheiden,<lb/>
ob es ein guter oder ein böser Geist ist, der dabei zum Ausdruck kommt. In<lb/>
Berlin sind diese &#x201E;Saison," will sagen diesen Herbst, drei neue, natürlich<lb/>
&#x201E;große" und selbstverständlich &#x201E;ernste" Theater eröffnet worden. Nach den<lb/>
traurigen Lehren des Theaterwettlaufs in Deutschland und besonders in seiner<lb/>
Theaterhauptstadt gilt es abzuwarten, ob sie auch als &#x201E;große" und &#x201E;ernste"<lb/>
Theater werden wieder geschlossen werden und &#x2014; wann dieses Ereignis ein¬<lb/>
treten wird. Es giebt Leute, die darauf Wetten eingegangen sind. Wir finden<lb/>
das profan, zumal da sich unter den &#x201E;stärkenden" Theaterdirektoren &#x2014; um<lb/>
im Sinne jener welkenden Herren vom Jokehklub zu reden &#x2014; sich auch Herr<lb/>
&#x201E;Direktor" Oskar Blumenthal mit einem ganz neuen arabischen Vollbluttheater<lb/>
befindet, der darin einige von Lessings Kunstgesetzen ins deutsche Gedächtnis<lb/>
&#x201E;ätzen" will. Zu den &#x201E;Kunstgesctzen", auf welche dieser selbst in einem Pro¬<lb/>
loge etwas zu grausame Ausdruck meist anwendbar ist, gehört bekanntlich das¬<lb/>
jenige, welches sich armen Künstlern gerade in der Theaterlaufbahn so oft un¬<lb/>
barmherzig ins Gedächtnis &#x201E;ätzt": Heiter ist der andern Leben, aber ernst,<lb/>
schwer ernst ist eure Kunst. Darum soll man auf die Kunst nicht wetten. Es<lb/>
ist nicht fein, selbst nicht zu einer Zeit, wo die Kalauerfabrikantcn sich eigne<lb/>
Theater bauen, um einen zufällig einmal abgelehnten Kalauer &#x201E;trotz alledem"<lb/>
aufzuführen und damit die Gesetze der Kunst ins Gedächtnis zer &#x201E;ätzen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_919" next="#ID_920"> Aber es ist doch immerhin bedeutsam, daß man sich heute wenigstens in<lb/>
Prologen wieder mit den Kunstgesetzen befassen muß. Kunstgesetze &#x2014; greuliches<lb/>
Wort für den theaterbesuchenden Börsenmann! Kunst und Gesetze, zwei Dinge,<lb/>
die ihm gesondert unliebsam genug sind, in einer Vereinigung! Freilich hören<lb/>
auch nichtbörsenfähige Theaterbesucher &#x2014; es sind zwar heute seltne Vögel &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0365] [Abbildung] Berlin als Theaterhauptstadt. erim als Theaterstadt oder NK MV gar als Thcaterhauptstadt — so feiern gegenwärtig die geschmackvollen täglichen Geisteskünder deutscher Nation in ihren mehr oder minder „ernsten" täglichen und wöchent¬ lichen „Organen" die deutsche Reichshauptstadt. Eine lustige Vor> Stellung, die das aus rauher Wirklichkeit erstandene und in här¬ testen realen (leider auch sehr realistischen!) Konflikten erhaltene junge Reich hierbei aushalten muß. Nun, es hat schon so vieles ausgehalten, es wird auch diesen besondern „Geist" seiner Theaterhauptstadt zu ertragen wissen. Was die Sache selbst anlangt, so ist es vorläufig schwer zu entscheiden, ob es ein guter oder ein böser Geist ist, der dabei zum Ausdruck kommt. In Berlin sind diese „Saison," will sagen diesen Herbst, drei neue, natürlich „große" und selbstverständlich „ernste" Theater eröffnet worden. Nach den traurigen Lehren des Theaterwettlaufs in Deutschland und besonders in seiner Theaterhauptstadt gilt es abzuwarten, ob sie auch als „große" und „ernste" Theater werden wieder geschlossen werden und — wann dieses Ereignis ein¬ treten wird. Es giebt Leute, die darauf Wetten eingegangen sind. Wir finden das profan, zumal da sich unter den „stärkenden" Theaterdirektoren — um im Sinne jener welkenden Herren vom Jokehklub zu reden — sich auch Herr „Direktor" Oskar Blumenthal mit einem ganz neuen arabischen Vollbluttheater befindet, der darin einige von Lessings Kunstgesetzen ins deutsche Gedächtnis „ätzen" will. Zu den „Kunstgesctzen", auf welche dieser selbst in einem Pro¬ loge etwas zu grausame Ausdruck meist anwendbar ist, gehört bekanntlich das¬ jenige, welches sich armen Künstlern gerade in der Theaterlaufbahn so oft un¬ barmherzig ins Gedächtnis „ätzt": Heiter ist der andern Leben, aber ernst, schwer ernst ist eure Kunst. Darum soll man auf die Kunst nicht wetten. Es ist nicht fein, selbst nicht zu einer Zeit, wo die Kalauerfabrikantcn sich eigne Theater bauen, um einen zufällig einmal abgelehnten Kalauer „trotz alledem" aufzuführen und damit die Gesetze der Kunst ins Gedächtnis zer „ätzen." Aber es ist doch immerhin bedeutsam, daß man sich heute wenigstens in Prologen wieder mit den Kunstgesetzen befassen muß. Kunstgesetze — greuliches Wort für den theaterbesuchenden Börsenmann! Kunst und Gesetze, zwei Dinge, die ihm gesondert unliebsam genug sind, in einer Vereinigung! Freilich hören auch nichtbörsenfähige Theaterbesucher — es sind zwar heute seltne Vögel —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/365
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/365>, abgerufen am 28.06.2024.