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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Herr Hinrichsen ladet alle diejenigen aus unserm großen Kreise, die in
diesem Buche noch fehlen, in seinen noch höher zu türmenden Tempel der Un¬
sterblichkeit. Wir fürchten, daß der Tempel mit seinen Lehmwänden und Dach¬
pappen den Eintretenden über dem Kopfe zusammenstürzen wird.




Kleinere Mitteilungen.

Beuen. In dem von Paul Heinze herausgegebenen "Deutschen Dichterheim",
in der ersten Nummer des neuen Jahrganges (September 1838), veröffentlicht Herr
Georg Ebers folgenden "Spruch":


Das schwerste Leid hab' ich in stillen Stunden
Am besten stets mit mir allein verwunden,
Doch kam das Glück, mir frohe Lust zu beuen,
Braucht' ich Genossen, um mich recht zu freuen.

Schwerlich ist in der neuhochdeutschen Litteratur jemals ein häßlichere sprach¬
liche Mißgeburt ans Licht getreten als dieses beuen, und wenn sie durch den Reim
noch ausgezeichnet wird, wie hier, so macht sie einen um so widrigeren Eindruck.

Die heutzutage gewählt, unter Umständen geziert klingenden Formen denkst,
beut, fieng, fleugst, fleugt ;c. sind sprachgeschichtlich begründet. Das en ist
das in des althochdeutscher Präsensstammes dieser Zeitwörter; dieses geht aber
durch sogenannte Brechung in is (früher lo) über, wo immer die alte Personal¬
endung mit a, beginnt, also im Plural des Indikativs und im Infinitiv.


[Beginn Spaltensatz]
Althochdeutsch:
binen
biutis: Imperativ dire.
binen
de<zea>rQss
. biswt,
biotAnt,; Infinitiv bist-ur
[Spaltenumbruch]
Neuhochdeutsch:
ich biete
.
er bietet -- beutet, beutstZ
wir bieten
ihr bietet
sie bieten; Infinitiv bieten.

[Ende Spaltensatz]
etet --

Der Ebers'sche Infinitiv "beuen" hat aber nicht bloß ein unmögliches en, es
fehlt ihm auch, was noch schlimmer ist, das Wurzel- und wesenhafte t; er ist
ein doppeltes Mondkalb. Natürlich wird es nicht an weisen Leuten fehlen, die
sagen: Ach was, richtig oder nicht, sprachgcschichtlich begründet oder nicht, die Schul¬
meister sind es nicht, die die Sprache machen, sondern die "großen Schriftsteller".
Wenn ein großer Schriftsteller, wie Herr Georg Ebers, mit sprachschöpferischem
Genie die Form beuen erzeugt, so haben die kleineren Geister eben die Er¬
laubnis, sie ihm uachzubrauchen. Mit dieser Weisheit werden wir aber allmählich
dahin kommen, daß uns Lessings Deutsch wie eine fremde Sprache erscheint.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunoiv in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Kleinere Mitteilungen.

Herr Hinrichsen ladet alle diejenigen aus unserm großen Kreise, die in
diesem Buche noch fehlen, in seinen noch höher zu türmenden Tempel der Un¬
sterblichkeit. Wir fürchten, daß der Tempel mit seinen Lehmwänden und Dach¬
pappen den Eintretenden über dem Kopfe zusammenstürzen wird.




Kleinere Mitteilungen.

Beuen. In dem von Paul Heinze herausgegebenen „Deutschen Dichterheim",
in der ersten Nummer des neuen Jahrganges (September 1838), veröffentlicht Herr
Georg Ebers folgenden „Spruch":


Das schwerste Leid hab' ich in stillen Stunden
Am besten stets mit mir allein verwunden,
Doch kam das Glück, mir frohe Lust zu beuen,
Braucht' ich Genossen, um mich recht zu freuen.

Schwerlich ist in der neuhochdeutschen Litteratur jemals ein häßlichere sprach¬
liche Mißgeburt ans Licht getreten als dieses beuen, und wenn sie durch den Reim
noch ausgezeichnet wird, wie hier, so macht sie einen um so widrigeren Eindruck.

Die heutzutage gewählt, unter Umständen geziert klingenden Formen denkst,
beut, fieng, fleugst, fleugt ;c. sind sprachgeschichtlich begründet. Das en ist
das in des althochdeutscher Präsensstammes dieser Zeitwörter; dieses geht aber
durch sogenannte Brechung in is (früher lo) über, wo immer die alte Personal¬
endung mit a, beginnt, also im Plural des Indikativs und im Infinitiv.


[Beginn Spaltensatz]
Althochdeutsch:
binen
biutis: Imperativ dire.
binen
de<zea>rQss
. biswt,
biotAnt,; Infinitiv bist-ur
[Spaltenumbruch]
Neuhochdeutsch:
ich biete
.
er bietet — beutet, beutstZ
wir bieten
ihr bietet
sie bieten; Infinitiv bieten.

[Ende Spaltensatz]
etet —

Der Ebers'sche Infinitiv „beuen" hat aber nicht bloß ein unmögliches en, es
fehlt ihm auch, was noch schlimmer ist, das Wurzel- und wesenhafte t; er ist
ein doppeltes Mondkalb. Natürlich wird es nicht an weisen Leuten fehlen, die
sagen: Ach was, richtig oder nicht, sprachgcschichtlich begründet oder nicht, die Schul¬
meister sind es nicht, die die Sprache machen, sondern die „großen Schriftsteller".
Wenn ein großer Schriftsteller, wie Herr Georg Ebers, mit sprachschöpferischem
Genie die Form beuen erzeugt, so haben die kleineren Geister eben die Er¬
laubnis, sie ihm uachzubrauchen. Mit dieser Weisheit werden wir aber allmählich
dahin kommen, daß uns Lessings Deutsch wie eine fremde Sprache erscheint.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunoiv in Leipzig.
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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[0104] Kleinere Mitteilungen. Herr Hinrichsen ladet alle diejenigen aus unserm großen Kreise, die in diesem Buche noch fehlen, in seinen noch höher zu türmenden Tempel der Un¬ sterblichkeit. Wir fürchten, daß der Tempel mit seinen Lehmwänden und Dach¬ pappen den Eintretenden über dem Kopfe zusammenstürzen wird. Kleinere Mitteilungen. Beuen. In dem von Paul Heinze herausgegebenen „Deutschen Dichterheim", in der ersten Nummer des neuen Jahrganges (September 1838), veröffentlicht Herr Georg Ebers folgenden „Spruch": Das schwerste Leid hab' ich in stillen Stunden Am besten stets mit mir allein verwunden, Doch kam das Glück, mir frohe Lust zu beuen, Braucht' ich Genossen, um mich recht zu freuen. Schwerlich ist in der neuhochdeutschen Litteratur jemals ein häßlichere sprach¬ liche Mißgeburt ans Licht getreten als dieses beuen, und wenn sie durch den Reim noch ausgezeichnet wird, wie hier, so macht sie einen um so widrigeren Eindruck. Die heutzutage gewählt, unter Umständen geziert klingenden Formen denkst, beut, fieng, fleugst, fleugt ;c. sind sprachgeschichtlich begründet. Das en ist das in des althochdeutscher Präsensstammes dieser Zeitwörter; dieses geht aber durch sogenannte Brechung in is (früher lo) über, wo immer die alte Personal¬ endung mit a, beginnt, also im Plural des Indikativs und im Infinitiv. Althochdeutsch: binen biutis: Imperativ dire. binen de<zea>rQss . biswt, biotAnt,; Infinitiv bist-ur Neuhochdeutsch: ich biete . er bietet — beutet, beutstZ wir bieten ihr bietet sie bieten; Infinitiv bieten. etet — Der Ebers'sche Infinitiv „beuen" hat aber nicht bloß ein unmögliches en, es fehlt ihm auch, was noch schlimmer ist, das Wurzel- und wesenhafte t; er ist ein doppeltes Mondkalb. Natürlich wird es nicht an weisen Leuten fehlen, die sagen: Ach was, richtig oder nicht, sprachgcschichtlich begründet oder nicht, die Schul¬ meister sind es nicht, die die Sprache machen, sondern die „großen Schriftsteller". Wenn ein großer Schriftsteller, wie Herr Georg Ebers, mit sprachschöpferischem Genie die Form beuen erzeugt, so haben die kleineren Geister eben die Er¬ laubnis, sie ihm uachzubrauchen. Mit dieser Weisheit werden wir aber allmählich dahin kommen, daß uns Lessings Deutsch wie eine fremde Sprache erscheint. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunoiv in Leipzig. Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/104>, abgerufen am 22.07.2024.