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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

hehren geläutert und verklärt war und darum auch schließlich zuni Ziele ge¬
langen mußte; und sie träumte manchen süßen, wehmütigen Traum, wie sie in
der Erinnerung zu dem zurückkehren würde, was ihr die Erde gegeben, zurück¬
kehren zu dem Jenseits im Lande der Unsterblichkeit, wo alle irdische Schönheit
zu allen Zeiten auf der andern Seite des Sees liegen würde.

So starb sie, und Ricks begrub sie auf dem freundlichen Kirchhofe von
Clarens, wo die braune Weinbergserde so viele von den Kindern des Landes
birgt, und wo die zerbrochenen Säulen und florumwundenen Urnen dieselben
Trauerworte in vielerlei Zungen wiederholen.

Weiß schimmern sie hervor unter den dunkeln Cypressen und den winter¬
blühenden Schneeballen; über viele streuen frühe Rosen ihre Blätter, und die
Erde blaue oft von Veilchen, die an ihrem Fuße blühen, aber um jeden Hügel
und um jeden Stein schlingen sich die blankblättrigen Ranken der wilden Vinca,
der Lieblingsblume Rousseaus, die so himmelblau ist, wie es im Himmel nie
gewesen.




Neuntes Aapitel.

Ricks Lhhue eilte in die Heimat zurück, er konnte die Einsamkeit zwischen
all den fremden Menschen nicht ertragen; je mehr er sich aber Kopenhagen
näherte, desto häufiger fragte er sich selber, was er dort eigentlich sollte, desto
mehr bereute er, nicht draußen geblieben zu sein. Denn wen hatte er in Kopen¬
hagen? Frithjof nicht, Erik befand sich auf einer Studienreise in Italien, und
Frau Boye? Ja, sein Verhältnis zu Frau Boye war ein recht eigentüm¬
liches. Jetzt, wo er eben vom Grabe seiner Mutter kam, konnte er dies Ver¬
hältnis, wenn es ihm auch nicht gerade unheilig erschien, doch nicht recht mit
dem Tone, in welchem seine Stimmung jetzt zitterte, in Einklang bringen. Es
war ein Mißklang da. Wäre es seine verlobte Braut gewesen, ein junges, er¬
rötendes Mädchen, dem er eiitgcgcnzog, nachdem seine Seele so lange der Er¬
füllung seiner Kindespflicht obgelegen, so würde das mit seinen Gefühlen nicht
im Widerspruche gestanden haben. Es half ihm nichts, daß er versuchte, sich
selber überlegen zu sein, indem er seine Auffassung des Verhältnisses zu Frau
Boye spießbürgerlich, beschränkt nannte, das Wort zigeunerhaft kam ihm doch,
fast unbewußt, auf die Lippen als Ausdruck für das Mißbehagen, von dem er
sich nicht frei machen konnte, und es war auch gleichsam eine Art Fortsetzung
in derselben Richtung, daß der erste Besuch, den er machte, sobald er sich seine
alten Zimmer am Walle gesichert hatte, nicht Frau Vvhe galt, sondern dem
Etatsrate.

Als er sie am nächsten Tage aufsuchen wollte, traf er sie nicht. Der
Portier sagte, sie habe in der Nähe der Emilienquelle eine Villa gemietet, was


Ricks Lyhne.

hehren geläutert und verklärt war und darum auch schließlich zuni Ziele ge¬
langen mußte; und sie träumte manchen süßen, wehmütigen Traum, wie sie in
der Erinnerung zu dem zurückkehren würde, was ihr die Erde gegeben, zurück¬
kehren zu dem Jenseits im Lande der Unsterblichkeit, wo alle irdische Schönheit
zu allen Zeiten auf der andern Seite des Sees liegen würde.

So starb sie, und Ricks begrub sie auf dem freundlichen Kirchhofe von
Clarens, wo die braune Weinbergserde so viele von den Kindern des Landes
birgt, und wo die zerbrochenen Säulen und florumwundenen Urnen dieselben
Trauerworte in vielerlei Zungen wiederholen.

Weiß schimmern sie hervor unter den dunkeln Cypressen und den winter¬
blühenden Schneeballen; über viele streuen frühe Rosen ihre Blätter, und die
Erde blaue oft von Veilchen, die an ihrem Fuße blühen, aber um jeden Hügel
und um jeden Stein schlingen sich die blankblättrigen Ranken der wilden Vinca,
der Lieblingsblume Rousseaus, die so himmelblau ist, wie es im Himmel nie
gewesen.




Neuntes Aapitel.

Ricks Lhhue eilte in die Heimat zurück, er konnte die Einsamkeit zwischen
all den fremden Menschen nicht ertragen; je mehr er sich aber Kopenhagen
näherte, desto häufiger fragte er sich selber, was er dort eigentlich sollte, desto
mehr bereute er, nicht draußen geblieben zu sein. Denn wen hatte er in Kopen¬
hagen? Frithjof nicht, Erik befand sich auf einer Studienreise in Italien, und
Frau Boye? Ja, sein Verhältnis zu Frau Boye war ein recht eigentüm¬
liches. Jetzt, wo er eben vom Grabe seiner Mutter kam, konnte er dies Ver¬
hältnis, wenn es ihm auch nicht gerade unheilig erschien, doch nicht recht mit
dem Tone, in welchem seine Stimmung jetzt zitterte, in Einklang bringen. Es
war ein Mißklang da. Wäre es seine verlobte Braut gewesen, ein junges, er¬
rötendes Mädchen, dem er eiitgcgcnzog, nachdem seine Seele so lange der Er¬
füllung seiner Kindespflicht obgelegen, so würde das mit seinen Gefühlen nicht
im Widerspruche gestanden haben. Es half ihm nichts, daß er versuchte, sich
selber überlegen zu sein, indem er seine Auffassung des Verhältnisses zu Frau
Boye spießbürgerlich, beschränkt nannte, das Wort zigeunerhaft kam ihm doch,
fast unbewußt, auf die Lippen als Ausdruck für das Mißbehagen, von dem er
sich nicht frei machen konnte, und es war auch gleichsam eine Art Fortsetzung
in derselben Richtung, daß der erste Besuch, den er machte, sobald er sich seine
alten Zimmer am Walle gesichert hatte, nicht Frau Vvhe galt, sondern dem
Etatsrate.

Als er sie am nächsten Tage aufsuchen wollte, traf er sie nicht. Der
Portier sagte, sie habe in der Nähe der Emilienquelle eine Villa gemietet, was


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[0602] Ricks Lyhne. hehren geläutert und verklärt war und darum auch schließlich zuni Ziele ge¬ langen mußte; und sie träumte manchen süßen, wehmütigen Traum, wie sie in der Erinnerung zu dem zurückkehren würde, was ihr die Erde gegeben, zurück¬ kehren zu dem Jenseits im Lande der Unsterblichkeit, wo alle irdische Schönheit zu allen Zeiten auf der andern Seite des Sees liegen würde. So starb sie, und Ricks begrub sie auf dem freundlichen Kirchhofe von Clarens, wo die braune Weinbergserde so viele von den Kindern des Landes birgt, und wo die zerbrochenen Säulen und florumwundenen Urnen dieselben Trauerworte in vielerlei Zungen wiederholen. Weiß schimmern sie hervor unter den dunkeln Cypressen und den winter¬ blühenden Schneeballen; über viele streuen frühe Rosen ihre Blätter, und die Erde blaue oft von Veilchen, die an ihrem Fuße blühen, aber um jeden Hügel und um jeden Stein schlingen sich die blankblättrigen Ranken der wilden Vinca, der Lieblingsblume Rousseaus, die so himmelblau ist, wie es im Himmel nie gewesen. Neuntes Aapitel. Ricks Lhhue eilte in die Heimat zurück, er konnte die Einsamkeit zwischen all den fremden Menschen nicht ertragen; je mehr er sich aber Kopenhagen näherte, desto häufiger fragte er sich selber, was er dort eigentlich sollte, desto mehr bereute er, nicht draußen geblieben zu sein. Denn wen hatte er in Kopen¬ hagen? Frithjof nicht, Erik befand sich auf einer Studienreise in Italien, und Frau Boye? Ja, sein Verhältnis zu Frau Boye war ein recht eigentüm¬ liches. Jetzt, wo er eben vom Grabe seiner Mutter kam, konnte er dies Ver¬ hältnis, wenn es ihm auch nicht gerade unheilig erschien, doch nicht recht mit dem Tone, in welchem seine Stimmung jetzt zitterte, in Einklang bringen. Es war ein Mißklang da. Wäre es seine verlobte Braut gewesen, ein junges, er¬ rötendes Mädchen, dem er eiitgcgcnzog, nachdem seine Seele so lange der Er¬ füllung seiner Kindespflicht obgelegen, so würde das mit seinen Gefühlen nicht im Widerspruche gestanden haben. Es half ihm nichts, daß er versuchte, sich selber überlegen zu sein, indem er seine Auffassung des Verhältnisses zu Frau Boye spießbürgerlich, beschränkt nannte, das Wort zigeunerhaft kam ihm doch, fast unbewußt, auf die Lippen als Ausdruck für das Mißbehagen, von dem er sich nicht frei machen konnte, und es war auch gleichsam eine Art Fortsetzung in derselben Richtung, daß der erste Besuch, den er machte, sobald er sich seine alten Zimmer am Walle gesichert hatte, nicht Frau Vvhe galt, sondern dem Etatsrate. Als er sie am nächsten Tage aufsuchen wollte, traf er sie nicht. Der Portier sagte, sie habe in der Nähe der Emilienquelle eine Villa gemietet, was

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/602>, abgerufen am 13.11.2024.