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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
Z. p. Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

M^-^WUann kam es jci auch alles, es kam alles, aber es erfüllte und
überwältigte sie weder mit der Macht noch mit der Innigkeit,
wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte es ganz anders er¬
wartet, aber auch sich selber hatte sie ganz anders erwartet.
In den Träumen und den Gedichten war immer alles jenseits
des Sees gewesen, der Nebel der Ferne hatte ahnungsvoll das unruhige
Durcheinander der Einzelheiten verschleiert, hatte die Formen in großen Zügen
zu einem geschlossenen Ganzen vereint, das Schweigen der Ferne hatte seine
Feststimmung darüber gebreitet, und es war so leicht gewesen, die Schön¬
heit zu fassen. Jetzt dagegen, wo sie mitten drin war, wo jeder kleine Zug
deutlich hervortrat und sich in viele Formen der Wirklichkeit kleidete, wo die
Schönheit zerstreut war wie das Licht eines Prismas, jetzt konnte sie sie nicht
fassen, sie nicht auf die andre Seite des Sees verpflanzen, und mit tiefem Mi߬
mut mußte sie sich gestehen, daß sie sich arm fühle inmitten all dieses Reichtunis,
mit dem sie nichts anzusaugen wußte.

Sie sehnte sich, vorwärts zu kommen, immer vorwärts. Vielleicht gab es
doch noch eine Stätte, die sie wieder erkannte als zu jener Traumwelt gehörend,
deren Zauberschimmer mit jeden: Schritte, den sie ihr entgegen gethan, mehr
und mehr an Glanz verlor. Aber ihr Suchen ward nicht belohnt, und da
das Jahr schon zu weit vorgeschritten war, eilten sie nach Clarens, wo sie auf
den Rat des Arztes den Winter zuzubringen gedachten, und woher noch
ein letzter, matter Hoffnungsstrahl der müden, tranmbefaiigenen Seele winkte.
Denn war das nicht Rousseaus Clarens, Jülich paradiesisches Clarens!




Ricks Lyhne.
Z. p. Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

M^-^WUann kam es jci auch alles, es kam alles, aber es erfüllte und
überwältigte sie weder mit der Macht noch mit der Innigkeit,
wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte es ganz anders er¬
wartet, aber auch sich selber hatte sie ganz anders erwartet.
In den Träumen und den Gedichten war immer alles jenseits
des Sees gewesen, der Nebel der Ferne hatte ahnungsvoll das unruhige
Durcheinander der Einzelheiten verschleiert, hatte die Formen in großen Zügen
zu einem geschlossenen Ganzen vereint, das Schweigen der Ferne hatte seine
Feststimmung darüber gebreitet, und es war so leicht gewesen, die Schön¬
heit zu fassen. Jetzt dagegen, wo sie mitten drin war, wo jeder kleine Zug
deutlich hervortrat und sich in viele Formen der Wirklichkeit kleidete, wo die
Schönheit zerstreut war wie das Licht eines Prismas, jetzt konnte sie sie nicht
fassen, sie nicht auf die andre Seite des Sees verpflanzen, und mit tiefem Mi߬
mut mußte sie sich gestehen, daß sie sich arm fühle inmitten all dieses Reichtunis,
mit dem sie nichts anzusaugen wußte.

Sie sehnte sich, vorwärts zu kommen, immer vorwärts. Vielleicht gab es
doch noch eine Stätte, die sie wieder erkannte als zu jener Traumwelt gehörend,
deren Zauberschimmer mit jeden: Schritte, den sie ihr entgegen gethan, mehr
und mehr an Glanz verlor. Aber ihr Suchen ward nicht belohnt, und da
das Jahr schon zu weit vorgeschritten war, eilten sie nach Clarens, wo sie auf
den Rat des Arztes den Winter zuzubringen gedachten, und woher noch
ein letzter, matter Hoffnungsstrahl der müden, tranmbefaiigenen Seele winkte.
Denn war das nicht Rousseaus Clarens, Jülich paradiesisches Clarens!


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[0600] [Abbildung] Ricks Lyhne. Z. p. Jacobsen. Roman von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) M^-^WUann kam es jci auch alles, es kam alles, aber es erfüllte und überwältigte sie weder mit der Macht noch mit der Innigkeit, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte es ganz anders er¬ wartet, aber auch sich selber hatte sie ganz anders erwartet. In den Träumen und den Gedichten war immer alles jenseits des Sees gewesen, der Nebel der Ferne hatte ahnungsvoll das unruhige Durcheinander der Einzelheiten verschleiert, hatte die Formen in großen Zügen zu einem geschlossenen Ganzen vereint, das Schweigen der Ferne hatte seine Feststimmung darüber gebreitet, und es war so leicht gewesen, die Schön¬ heit zu fassen. Jetzt dagegen, wo sie mitten drin war, wo jeder kleine Zug deutlich hervortrat und sich in viele Formen der Wirklichkeit kleidete, wo die Schönheit zerstreut war wie das Licht eines Prismas, jetzt konnte sie sie nicht fassen, sie nicht auf die andre Seite des Sees verpflanzen, und mit tiefem Mi߬ mut mußte sie sich gestehen, daß sie sich arm fühle inmitten all dieses Reichtunis, mit dem sie nichts anzusaugen wußte. Sie sehnte sich, vorwärts zu kommen, immer vorwärts. Vielleicht gab es doch noch eine Stätte, die sie wieder erkannte als zu jener Traumwelt gehörend, deren Zauberschimmer mit jeden: Schritte, den sie ihr entgegen gethan, mehr und mehr an Glanz verlor. Aber ihr Suchen ward nicht belohnt, und da das Jahr schon zu weit vorgeschritten war, eilten sie nach Clarens, wo sie auf den Rat des Arztes den Winter zuzubringen gedachten, und woher noch ein letzter, matter Hoffnungsstrahl der müden, tranmbefaiigenen Seele winkte. Denn war das nicht Rousseaus Clarens, Jülich paradiesisches Clarens!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/600>, abgerufen am 13.11.2024.