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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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machen und sich zunächst in ihrer Getrcidezollpolitik nähern. Dies könne recht
wohl geschehen; denn es sei ein Irrtum, allerdings ein weitverbreiteter, daß Oester¬
reich Ueberfluß an Getreide habe. Es führe Getreide nur aus, weil das Volk zu
arm sei, um das im Lande erzeugte Getreide zu verzehren. Der Verfasser glaubt,
daß, da wir selbst einer bedeutenden Zufuhr bedürfen, überdies der Eigenverbrauch
Oesterreich-Ungarns allmählich steigen würde, wir die Eröffnung unsrer Grenze"
gegen den verbündeten Staat nicht zu fürchten hätten, wenn wir gleichzeitig jede
sonstige Einfuhr abwiesen.


Daniele Cortis. Roman in zwei Bänden von A. Fogazzaro. Autorisirte Ucber-
scyuug aus dem Italienischen von A. Dult-Scheu. (Engelhorns Allgemeine Roman-
bibliothek IV. 13.)

Man könnte sich versucht fühlen, das Studium dieses Romans jenen Herren und
Damen zu empfehlen, welche sich mit sauerm Schweiße abmühen, Berliner oder Wiener
Romane nach französischen und russischen Modellen zu fabriziren. Hier fänden
sie nicht nur italienische Szenerie und italienische Namen, sondern auch italienische
Menschen, italienische Gesellschaft, italienische Interessen, Bestrebungen, Sorgen und
Schmerzen, ein Gemälde der Gegenwart im vollen Sinne des Wortes und eben
deswegen ein historisches. Aber die meisten Romanschriftsteller, die jetzt beliebt zu
sein scheinen, da Tagesblätter und Monatsschriften einander deren Erzeugnisse streitig
machen, würden die Zumutung, von Fogazzaro zu lernen, als unbillig zurückweisen,
und mit vollem Rechte. Der Italiener ist ein Dichter und ein wahrer Patriot,
dabei durchaus selbständig in seinen politischen Ansichten, und wer diese Eigenschaften
nicht besitzt, wird sie durch Romanlektüre sich schwerlich erwerben. Begnügen wir
uns also, auf "Daniele Cortis" Leser aufmerksam zu machen, welche etwas besseres
verlangen als Kopien nach Ohnet, Dostojewski u. f. w. Der Roman spielt teils
auf dem vortrefflich geschilderten venezianischen Festlande, teils in Rom. Der
Titelheld erstrebt einen Sitz im Abgeordnetenhause, nur erleben mit ihm die Wahl-
umtriebe, sehen ihn gewählt, obwohl sein Programm von allen gründlich, aber in
der verschiedenartigsten Weise, mißverstanden wird, sehen ihn allein in dem Hause
auf Monte Citorio, und endlich eine Zeitung ins Leben rufen, um erst den Boden
für seine Partei der Zukunft zu bereiten. Die Frage, um die sich hierbei alles
dreht, ist dieselbe, die in allen katholischen Ländern unter der Oberfläche der poli¬
tischen Verhandlungen liegt. Daniele Cortis kämpft für die Ueberzeugung/daß
Italien ein katholisches Land sei und nichts andres sein könne, daß daher die Ver¬
ständigung zwischen Staat und Kirche eine umso dringendere Aufgabe sei, als die
Kirche bei der Lösung der sozialen Frage nicht entbehrt werden könne. Aber dieses
Programm stößt allerseits auf die Bornirtheit, welche aus Angst vor dem "Kleri-
kalismus" keinen Frieden mit der Kirche haben will und während dessen den ge¬
waltigen Einfluß des Klerikalismus nicht gewahr wird. Wie man sieht, mangelt
dem Thema die "Aktualität" nicht! Fogazzaro hat aber auch begriffen, daß sein
Programm uur durchgeführt werden kann, wenn in seineu Landsleuten das durch
lange Mißwirtschaft entschwundene unbeugsame Pflichtgefühl wieder erstarkt, und
deshalb stellt er der Oberflächlichkeit und Selbstgenügsamkeit ein Paar gegenüber,
welches unerbittlich Entsagung übt. Leserinnen werden vielleicht finden, daß der
Dichter hier grausamer als notwendig gewesen sei.




Für die Redaktion verantwortlich- Johannes Grunow in Leipzig.
Lerlag von Fr. Will). Grnuow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.


Litteratur.

machen und sich zunächst in ihrer Getrcidezollpolitik nähern. Dies könne recht
wohl geschehen; denn es sei ein Irrtum, allerdings ein weitverbreiteter, daß Oester¬
reich Ueberfluß an Getreide habe. Es führe Getreide nur aus, weil das Volk zu
arm sei, um das im Lande erzeugte Getreide zu verzehren. Der Verfasser glaubt,
daß, da wir selbst einer bedeutenden Zufuhr bedürfen, überdies der Eigenverbrauch
Oesterreich-Ungarns allmählich steigen würde, wir die Eröffnung unsrer Grenze»
gegen den verbündeten Staat nicht zu fürchten hätten, wenn wir gleichzeitig jede
sonstige Einfuhr abwiesen.


Daniele Cortis. Roman in zwei Bänden von A. Fogazzaro. Autorisirte Ucber-
scyuug aus dem Italienischen von A. Dult-Scheu. (Engelhorns Allgemeine Roman-
bibliothek IV. 13.)

Man könnte sich versucht fühlen, das Studium dieses Romans jenen Herren und
Damen zu empfehlen, welche sich mit sauerm Schweiße abmühen, Berliner oder Wiener
Romane nach französischen und russischen Modellen zu fabriziren. Hier fänden
sie nicht nur italienische Szenerie und italienische Namen, sondern auch italienische
Menschen, italienische Gesellschaft, italienische Interessen, Bestrebungen, Sorgen und
Schmerzen, ein Gemälde der Gegenwart im vollen Sinne des Wortes und eben
deswegen ein historisches. Aber die meisten Romanschriftsteller, die jetzt beliebt zu
sein scheinen, da Tagesblätter und Monatsschriften einander deren Erzeugnisse streitig
machen, würden die Zumutung, von Fogazzaro zu lernen, als unbillig zurückweisen,
und mit vollem Rechte. Der Italiener ist ein Dichter und ein wahrer Patriot,
dabei durchaus selbständig in seinen politischen Ansichten, und wer diese Eigenschaften
nicht besitzt, wird sie durch Romanlektüre sich schwerlich erwerben. Begnügen wir
uns also, auf „Daniele Cortis" Leser aufmerksam zu machen, welche etwas besseres
verlangen als Kopien nach Ohnet, Dostojewski u. f. w. Der Roman spielt teils
auf dem vortrefflich geschilderten venezianischen Festlande, teils in Rom. Der
Titelheld erstrebt einen Sitz im Abgeordnetenhause, nur erleben mit ihm die Wahl-
umtriebe, sehen ihn gewählt, obwohl sein Programm von allen gründlich, aber in
der verschiedenartigsten Weise, mißverstanden wird, sehen ihn allein in dem Hause
auf Monte Citorio, und endlich eine Zeitung ins Leben rufen, um erst den Boden
für seine Partei der Zukunft zu bereiten. Die Frage, um die sich hierbei alles
dreht, ist dieselbe, die in allen katholischen Ländern unter der Oberfläche der poli¬
tischen Verhandlungen liegt. Daniele Cortis kämpft für die Ueberzeugung/daß
Italien ein katholisches Land sei und nichts andres sein könne, daß daher die Ver¬
ständigung zwischen Staat und Kirche eine umso dringendere Aufgabe sei, als die
Kirche bei der Lösung der sozialen Frage nicht entbehrt werden könne. Aber dieses
Programm stößt allerseits auf die Bornirtheit, welche aus Angst vor dem „Kleri-
kalismus" keinen Frieden mit der Kirche haben will und während dessen den ge¬
waltigen Einfluß des Klerikalismus nicht gewahr wird. Wie man sieht, mangelt
dem Thema die „Aktualität" nicht! Fogazzaro hat aber auch begriffen, daß sein
Programm uur durchgeführt werden kann, wenn in seineu Landsleuten das durch
lange Mißwirtschaft entschwundene unbeugsame Pflichtgefühl wieder erstarkt, und
deshalb stellt er der Oberflächlichkeit und Selbstgenügsamkeit ein Paar gegenüber,
welches unerbittlich Entsagung übt. Leserinnen werden vielleicht finden, daß der
Dichter hier grausamer als notwendig gewesen sei.




Für die Redaktion verantwortlich- Johannes Grunow in Leipzig.
Lerlag von Fr. Will). Grnuow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.


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[0560] Litteratur. machen und sich zunächst in ihrer Getrcidezollpolitik nähern. Dies könne recht wohl geschehen; denn es sei ein Irrtum, allerdings ein weitverbreiteter, daß Oester¬ reich Ueberfluß an Getreide habe. Es führe Getreide nur aus, weil das Volk zu arm sei, um das im Lande erzeugte Getreide zu verzehren. Der Verfasser glaubt, daß, da wir selbst einer bedeutenden Zufuhr bedürfen, überdies der Eigenverbrauch Oesterreich-Ungarns allmählich steigen würde, wir die Eröffnung unsrer Grenze» gegen den verbündeten Staat nicht zu fürchten hätten, wenn wir gleichzeitig jede sonstige Einfuhr abwiesen. Daniele Cortis. Roman in zwei Bänden von A. Fogazzaro. Autorisirte Ucber- scyuug aus dem Italienischen von A. Dult-Scheu. (Engelhorns Allgemeine Roman- bibliothek IV. 13.) Man könnte sich versucht fühlen, das Studium dieses Romans jenen Herren und Damen zu empfehlen, welche sich mit sauerm Schweiße abmühen, Berliner oder Wiener Romane nach französischen und russischen Modellen zu fabriziren. Hier fänden sie nicht nur italienische Szenerie und italienische Namen, sondern auch italienische Menschen, italienische Gesellschaft, italienische Interessen, Bestrebungen, Sorgen und Schmerzen, ein Gemälde der Gegenwart im vollen Sinne des Wortes und eben deswegen ein historisches. Aber die meisten Romanschriftsteller, die jetzt beliebt zu sein scheinen, da Tagesblätter und Monatsschriften einander deren Erzeugnisse streitig machen, würden die Zumutung, von Fogazzaro zu lernen, als unbillig zurückweisen, und mit vollem Rechte. Der Italiener ist ein Dichter und ein wahrer Patriot, dabei durchaus selbständig in seinen politischen Ansichten, und wer diese Eigenschaften nicht besitzt, wird sie durch Romanlektüre sich schwerlich erwerben. Begnügen wir uns also, auf „Daniele Cortis" Leser aufmerksam zu machen, welche etwas besseres verlangen als Kopien nach Ohnet, Dostojewski u. f. w. Der Roman spielt teils auf dem vortrefflich geschilderten venezianischen Festlande, teils in Rom. Der Titelheld erstrebt einen Sitz im Abgeordnetenhause, nur erleben mit ihm die Wahl- umtriebe, sehen ihn gewählt, obwohl sein Programm von allen gründlich, aber in der verschiedenartigsten Weise, mißverstanden wird, sehen ihn allein in dem Hause auf Monte Citorio, und endlich eine Zeitung ins Leben rufen, um erst den Boden für seine Partei der Zukunft zu bereiten. Die Frage, um die sich hierbei alles dreht, ist dieselbe, die in allen katholischen Ländern unter der Oberfläche der poli¬ tischen Verhandlungen liegt. Daniele Cortis kämpft für die Ueberzeugung/daß Italien ein katholisches Land sei und nichts andres sein könne, daß daher die Ver¬ ständigung zwischen Staat und Kirche eine umso dringendere Aufgabe sei, als die Kirche bei der Lösung der sozialen Frage nicht entbehrt werden könne. Aber dieses Programm stößt allerseits auf die Bornirtheit, welche aus Angst vor dem „Kleri- kalismus" keinen Frieden mit der Kirche haben will und während dessen den ge¬ waltigen Einfluß des Klerikalismus nicht gewahr wird. Wie man sieht, mangelt dem Thema die „Aktualität" nicht! Fogazzaro hat aber auch begriffen, daß sein Programm uur durchgeführt werden kann, wenn in seineu Landsleuten das durch lange Mißwirtschaft entschwundene unbeugsame Pflichtgefühl wieder erstarkt, und deshalb stellt er der Oberflächlichkeit und Selbstgenügsamkeit ein Paar gegenüber, welches unerbittlich Entsagung übt. Leserinnen werden vielleicht finden, daß der Dichter hier grausamer als notwendig gewesen sei. Für die Redaktion verantwortlich- Johannes Grunow in Leipzig. Lerlag von Fr. Will). Grnuow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/560>, abgerufen am 13.11.2024.