Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Kleinere Mitteilungen.

Ohnmacht; er schlang die Arme um einen Baum, lehnte seine Wange gegen
die Rinde desselben und weinte. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Zum Fremdwörterunwesen.

Auf allen Gebieten der Wissenschaft ist das
Bestreben erkennbar, sich von den herkömmlichen Fremdwörtern frei zu machen und
deutsch zu reden, und die neuern Schriften über Erziehungs- und Unterrichts¬
wissenschaft machen davon im allgemeinen keine Ausnahme. Nur einige von den
Vertretern dieser Wissenschaft, diejenigen nämlich, die sich selbst mit Vorliebe Ver¬
treter der "wissenschaftlichen Pädagogik" nennen, die Männer der Herbart-Zillerschen
Richtung, erscheinen als bewußte Gegner jenes Bestrebens, ja sie begnügen sich
nicht damit, die auf dem betreffenden Wissenschaftsgebiete herkömmlichen Fremd¬
wörter anzuwenden, sondern führen noch eine Menge neuer ein.

Bei der Besprechung einer aus den Herbart-Zillerschen Kreisen stammenden
Schrift schreibt Albert Richter im "Pädagogischen Jahresberichte auf 1337" u. ä.:
"Das Schriftchen ruht ganz auf Herbart-Zillerscher Grundlage, nur in der Benennung
der fünften formalen Stufe weicht es von den genannten Meistern ab und entscheidet
sich mit Vogt für den Namen "Funktion," weil der "an sich richtige Terminus
Methode unklar" sei. Inwiefern "Funktion" nun Heller sei, vermögen wir nicht
einzusehen. Ein guter deutscher Ausdruck, wie "Anwendung des Gelernten" oder
ein ähnlicher, scheint eben für die Vertreter der "wissenschaftlichen Pädagogik"
nicht wissenschaftlich genug zu sein. In den schriftstellerischen Erzeugnissen der
Vertreter der Herbart-Zillerschen Richtung macht sich meist eine Wichtigthuerei,
eine Gespreiztheit geltend, die den schlichten Schulmeister nur unangenehm berühren
kann. Das ist ein Prunken mit gelehrtem Kram, das sich besonders in der Form
der Zitirwut äußert; längst bekannte Wahrheiten werden in einer sprachlichen Form
zum Ausdruck gebracht, die den Schein der Neuheit des betreffenden Satzes erwecken
soll. Höchstens wird ein Zitat aus dem Werke eines der Zunft der "Wissenschaft¬
licher" angehörenden hinzugefügt, aber mit einem Zitate darauf hinzuweisen, das;
Pestalozzi, Diestcrweg, Harnisch u. a. längst dasselbe gesagt haben, nur mit andern,
einfachern, verständlichern Worten, davor hütet man sich. Ist denn die Pädagogik
die einzige Wissenschaft, in der man nicht deutsch reden kann? Geschichtschreiber,
Naturforscher und wie die einzelnen Gelehrtenkreise alle heißen, bestreben sich jetzt,
deutsch zu reden, in der Pädagogik aber ist gerade bei denen, die sich mit Vorliebe
Vertreter der "wissenschaftlichen Pädagogik" nennen, das Gegenteil zu bemerken.
Da sieht es um die Behandlung der deutschen Sprache immer schlimmer aus. Daß
man beim Unterrichte die einzelnen Vorstellungen mit einander verknüpfen und ver¬
weben müsse, daß man zur Bildung von Begriffen fortschreiten müsse, das ist in
den Lehrbüchern der Pädagogik längst gefordert worden; nun kommen aber die
"wissenschaftlichen" Pädagogen und reden von "Assoziationen" und von der Stufe
des "Systems"; und wenn man früher forderte, der Schüler müsse das Gelernte
auch anzuwenden lernen, so spricht man dafür jetzt von der Stufe der "Methode"


Kleinere Mitteilungen.

Ohnmacht; er schlang die Arme um einen Baum, lehnte seine Wange gegen
die Rinde desselben und weinte. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Zum Fremdwörterunwesen.

Auf allen Gebieten der Wissenschaft ist das
Bestreben erkennbar, sich von den herkömmlichen Fremdwörtern frei zu machen und
deutsch zu reden, und die neuern Schriften über Erziehungs- und Unterrichts¬
wissenschaft machen davon im allgemeinen keine Ausnahme. Nur einige von den
Vertretern dieser Wissenschaft, diejenigen nämlich, die sich selbst mit Vorliebe Ver¬
treter der „wissenschaftlichen Pädagogik" nennen, die Männer der Herbart-Zillerschen
Richtung, erscheinen als bewußte Gegner jenes Bestrebens, ja sie begnügen sich
nicht damit, die auf dem betreffenden Wissenschaftsgebiete herkömmlichen Fremd¬
wörter anzuwenden, sondern führen noch eine Menge neuer ein.

Bei der Besprechung einer aus den Herbart-Zillerschen Kreisen stammenden
Schrift schreibt Albert Richter im „Pädagogischen Jahresberichte auf 1337" u. ä.:
»Das Schriftchen ruht ganz auf Herbart-Zillerscher Grundlage, nur in der Benennung
der fünften formalen Stufe weicht es von den genannten Meistern ab und entscheidet
sich mit Vogt für den Namen »Funktion,« weil der »an sich richtige Terminus
Methode unklar« sei. Inwiefern »Funktion« nun Heller sei, vermögen wir nicht
einzusehen. Ein guter deutscher Ausdruck, wie „Anwendung des Gelernten" oder
ein ähnlicher, scheint eben für die Vertreter der »wissenschaftlichen Pädagogik«
nicht wissenschaftlich genug zu sein. In den schriftstellerischen Erzeugnissen der
Vertreter der Herbart-Zillerschen Richtung macht sich meist eine Wichtigthuerei,
eine Gespreiztheit geltend, die den schlichten Schulmeister nur unangenehm berühren
kann. Das ist ein Prunken mit gelehrtem Kram, das sich besonders in der Form
der Zitirwut äußert; längst bekannte Wahrheiten werden in einer sprachlichen Form
zum Ausdruck gebracht, die den Schein der Neuheit des betreffenden Satzes erwecken
soll. Höchstens wird ein Zitat aus dem Werke eines der Zunft der »Wissenschaft¬
licher« angehörenden hinzugefügt, aber mit einem Zitate darauf hinzuweisen, das;
Pestalozzi, Diestcrweg, Harnisch u. a. längst dasselbe gesagt haben, nur mit andern,
einfachern, verständlichern Worten, davor hütet man sich. Ist denn die Pädagogik
die einzige Wissenschaft, in der man nicht deutsch reden kann? Geschichtschreiber,
Naturforscher und wie die einzelnen Gelehrtenkreise alle heißen, bestreben sich jetzt,
deutsch zu reden, in der Pädagogik aber ist gerade bei denen, die sich mit Vorliebe
Vertreter der »wissenschaftlichen Pädagogik« nennen, das Gegenteil zu bemerken.
Da sieht es um die Behandlung der deutschen Sprache immer schlimmer aus. Daß
man beim Unterrichte die einzelnen Vorstellungen mit einander verknüpfen und ver¬
weben müsse, daß man zur Bildung von Begriffen fortschreiten müsse, das ist in
den Lehrbüchern der Pädagogik längst gefordert worden; nun kommen aber die
»wissenschaftlichen« Pädagogen und reden von »Assoziationen« und von der Stufe
des »Systems«; und wenn man früher forderte, der Schüler müsse das Gelernte
auch anzuwenden lernen, so spricht man dafür jetzt von der Stufe der »Methode«


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0451" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203228"/>
          <fw type="header" place="top"> Kleinere Mitteilungen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1436" prev="#ID_1435"> Ohnmacht; er schlang die Arme um einen Baum, lehnte seine Wange gegen<lb/>
die Rinde desselben und weinte. (Fortsetzung folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Kleinere Mitteilungen.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Zum Fremdwörterunwesen.</head>
            <p xml:id="ID_1437"> Auf allen Gebieten der Wissenschaft ist das<lb/>
Bestreben erkennbar, sich von den herkömmlichen Fremdwörtern frei zu machen und<lb/>
deutsch zu reden, und die neuern Schriften über Erziehungs- und Unterrichts¬<lb/>
wissenschaft machen davon im allgemeinen keine Ausnahme. Nur einige von den<lb/>
Vertretern dieser Wissenschaft, diejenigen nämlich, die sich selbst mit Vorliebe Ver¬<lb/>
treter der &#x201E;wissenschaftlichen Pädagogik" nennen, die Männer der Herbart-Zillerschen<lb/>
Richtung, erscheinen als bewußte Gegner jenes Bestrebens, ja sie begnügen sich<lb/>
nicht damit, die auf dem betreffenden Wissenschaftsgebiete herkömmlichen Fremd¬<lb/>
wörter anzuwenden, sondern führen noch eine Menge neuer ein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1438" next="#ID_1439"> Bei der Besprechung einer aus den Herbart-Zillerschen Kreisen stammenden<lb/>
Schrift schreibt Albert Richter im &#x201E;Pädagogischen Jahresberichte auf 1337" u. ä.:<lb/>
»Das Schriftchen ruht ganz auf Herbart-Zillerscher Grundlage, nur in der Benennung<lb/>
der fünften formalen Stufe weicht es von den genannten Meistern ab und entscheidet<lb/>
sich mit Vogt für den Namen »Funktion,« weil der »an sich richtige Terminus<lb/>
Methode unklar« sei. Inwiefern »Funktion« nun Heller sei, vermögen wir nicht<lb/>
einzusehen. Ein guter deutscher Ausdruck, wie &#x201E;Anwendung des Gelernten" oder<lb/>
ein ähnlicher, scheint eben für die Vertreter der »wissenschaftlichen Pädagogik«<lb/>
nicht wissenschaftlich genug zu sein. In den schriftstellerischen Erzeugnissen der<lb/>
Vertreter der Herbart-Zillerschen Richtung macht sich meist eine Wichtigthuerei,<lb/>
eine Gespreiztheit geltend, die den schlichten Schulmeister nur unangenehm berühren<lb/>
kann. Das ist ein Prunken mit gelehrtem Kram, das sich besonders in der Form<lb/>
der Zitirwut äußert; längst bekannte Wahrheiten werden in einer sprachlichen Form<lb/>
zum Ausdruck gebracht, die den Schein der Neuheit des betreffenden Satzes erwecken<lb/>
soll. Höchstens wird ein Zitat aus dem Werke eines der Zunft der »Wissenschaft¬<lb/>
licher« angehörenden hinzugefügt, aber mit einem Zitate darauf hinzuweisen, das;<lb/>
Pestalozzi, Diestcrweg, Harnisch u. a. längst dasselbe gesagt haben, nur mit andern,<lb/>
einfachern, verständlichern Worten, davor hütet man sich. Ist denn die Pädagogik<lb/>
die einzige Wissenschaft, in der man nicht deutsch reden kann? Geschichtschreiber,<lb/>
Naturforscher und wie die einzelnen Gelehrtenkreise alle heißen, bestreben sich jetzt,<lb/>
deutsch zu reden, in der Pädagogik aber ist gerade bei denen, die sich mit Vorliebe<lb/>
Vertreter der »wissenschaftlichen Pädagogik« nennen, das Gegenteil zu bemerken.<lb/>
Da sieht es um die Behandlung der deutschen Sprache immer schlimmer aus. Daß<lb/>
man beim Unterrichte die einzelnen Vorstellungen mit einander verknüpfen und ver¬<lb/>
weben müsse, daß man zur Bildung von Begriffen fortschreiten müsse, das ist in<lb/>
den Lehrbüchern der Pädagogik längst gefordert worden; nun kommen aber die<lb/>
»wissenschaftlichen« Pädagogen und reden von »Assoziationen« und von der Stufe<lb/>
des »Systems«; und wenn man früher forderte, der Schüler müsse das Gelernte<lb/>
auch anzuwenden lernen, so spricht man dafür jetzt von der Stufe der »Methode«</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0451] Kleinere Mitteilungen. Ohnmacht; er schlang die Arme um einen Baum, lehnte seine Wange gegen die Rinde desselben und weinte. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Zum Fremdwörterunwesen. Auf allen Gebieten der Wissenschaft ist das Bestreben erkennbar, sich von den herkömmlichen Fremdwörtern frei zu machen und deutsch zu reden, und die neuern Schriften über Erziehungs- und Unterrichts¬ wissenschaft machen davon im allgemeinen keine Ausnahme. Nur einige von den Vertretern dieser Wissenschaft, diejenigen nämlich, die sich selbst mit Vorliebe Ver¬ treter der „wissenschaftlichen Pädagogik" nennen, die Männer der Herbart-Zillerschen Richtung, erscheinen als bewußte Gegner jenes Bestrebens, ja sie begnügen sich nicht damit, die auf dem betreffenden Wissenschaftsgebiete herkömmlichen Fremd¬ wörter anzuwenden, sondern führen noch eine Menge neuer ein. Bei der Besprechung einer aus den Herbart-Zillerschen Kreisen stammenden Schrift schreibt Albert Richter im „Pädagogischen Jahresberichte auf 1337" u. ä.: »Das Schriftchen ruht ganz auf Herbart-Zillerscher Grundlage, nur in der Benennung der fünften formalen Stufe weicht es von den genannten Meistern ab und entscheidet sich mit Vogt für den Namen »Funktion,« weil der »an sich richtige Terminus Methode unklar« sei. Inwiefern »Funktion« nun Heller sei, vermögen wir nicht einzusehen. Ein guter deutscher Ausdruck, wie „Anwendung des Gelernten" oder ein ähnlicher, scheint eben für die Vertreter der »wissenschaftlichen Pädagogik« nicht wissenschaftlich genug zu sein. In den schriftstellerischen Erzeugnissen der Vertreter der Herbart-Zillerschen Richtung macht sich meist eine Wichtigthuerei, eine Gespreiztheit geltend, die den schlichten Schulmeister nur unangenehm berühren kann. Das ist ein Prunken mit gelehrtem Kram, das sich besonders in der Form der Zitirwut äußert; längst bekannte Wahrheiten werden in einer sprachlichen Form zum Ausdruck gebracht, die den Schein der Neuheit des betreffenden Satzes erwecken soll. Höchstens wird ein Zitat aus dem Werke eines der Zunft der »Wissenschaft¬ licher« angehörenden hinzugefügt, aber mit einem Zitate darauf hinzuweisen, das; Pestalozzi, Diestcrweg, Harnisch u. a. längst dasselbe gesagt haben, nur mit andern, einfachern, verständlichern Worten, davor hütet man sich. Ist denn die Pädagogik die einzige Wissenschaft, in der man nicht deutsch reden kann? Geschichtschreiber, Naturforscher und wie die einzelnen Gelehrtenkreise alle heißen, bestreben sich jetzt, deutsch zu reden, in der Pädagogik aber ist gerade bei denen, die sich mit Vorliebe Vertreter der »wissenschaftlichen Pädagogik« nennen, das Gegenteil zu bemerken. Da sieht es um die Behandlung der deutschen Sprache immer schlimmer aus. Daß man beim Unterrichte die einzelnen Vorstellungen mit einander verknüpfen und ver¬ weben müsse, daß man zur Bildung von Begriffen fortschreiten müsse, das ist in den Lehrbüchern der Pädagogik längst gefordert worden; nun kommen aber die »wissenschaftlichen« Pädagogen und reden von »Assoziationen« und von der Stufe des »Systems«; und wenn man früher forderte, der Schüler müsse das Gelernte auch anzuwenden lernen, so spricht man dafür jetzt von der Stufe der »Methode«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/451
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/451>, abgerufen am 13.11.2024.