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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Amerikanisches Eisenbahnwesen,

Lustspieldichter wohl glücklicher gewesen sein würde als auf dem juristischen
Katheder, Lebendiger Ahmmgsgeist zeigt sich freilich bei Goethes Großvater
auf eigentümliche Weise; frische Anschaulichkeit und vollströmcndc Kraft, welche
der Dichter nicht entbehren kann, waren schöne Gaben seiner Mutter, aber den
Dichter machen sie allein nicht. Wenn man demnach auch Goethes Dichtertalent
nicht von seinem mütterlichen Stammbaum herleiten kann, will man nicht die
Gesichte (Visionen) des Dichters mit des Großvaters weissagenden Träumen
in Verbindung bringen, so hat dagegen die beharrliche Ausdauer und Treue,
womit der Freund Karl Augusts sich der Verwaltung widmete, gewissermaßen in
jenem ein Vorbild, wenn man auch gestehen muß, daß der Dichter mit Recht "des
Lebens ernstes Führen" als ein Erbteil seines Vaters bezeichnet hat. Aber bei
ihm hing jenes zähe Ausharren mit seiner sittlichen Willensstärke und dem ihn
beseelenden Glauben an das Schicksal zusammen, das ihm seine Bahn angewiesen
habe und mit Mutterliebe über ihm wache. Wenn er in jener langen launigen
Amic alle Elemente seines Wesens als angeerbt bezeichnet, so müssen wir darauf
bestehen, daß seine Natur durchaus Original war, daß diese aus einem lebendigen
Keime unter dem Einflüsse der Verhältnisse mit einer Art Notwendigkeit sich
entwickelt hat; und wie wenig wir auch jedes Mitwirken von ererbten geistigen
und körperlichen Eigentümlichkeiten leugnen wollen, so wird doch der Versuch
einer Ableitung der Monas, deren rotirende Bewegung nach Goethes eignem
Ausspruch das Leben ist, aus den Anlagen der Vorfahren stets ein leeres
Spiel bleiben.




Amerikanisches Eisenbahnwesen.
von einem Touristen.

er in Deutschland viel auf der Eisenbahn fährt, kommt nicht
selteu in die Lage, von Mitreisenden, denen diese oder jene Ein¬
richtung noch nicht bequem genug erscheint, die großartigen Vor¬
züge der amerikanischen Eisenbahn preisen zu hören, und wenn
sich auch solche Urteile meist nur auf Hörensagen gründen, pflegen
sie doch eine umso gläubigere Aufnahme zu finden, als der Auslandskultus bei
uns noch immer nicht ganz abgestorben ist. Sind aber die Lobredner gar un¬
verfälschte Sprößlinge des Aankeelandes, so ist man bei ihren Schilderungen
fast versucht, das Dahinrollen auf einer amerikanischen Eisenbahn sich als den
Gipfel irdischer Glückseligkeit vorzustellen. Oder sollte auch hier der Erfahrungssatz
gelten, daß der Nimbus alles Irdischen in der Nähe wesentlich verblaßt? Die
Lösung dieser Zweifel brachte uns kürzlich eine Studienreise durch die Vereinigten


Amerikanisches Eisenbahnwesen,

Lustspieldichter wohl glücklicher gewesen sein würde als auf dem juristischen
Katheder, Lebendiger Ahmmgsgeist zeigt sich freilich bei Goethes Großvater
auf eigentümliche Weise; frische Anschaulichkeit und vollströmcndc Kraft, welche
der Dichter nicht entbehren kann, waren schöne Gaben seiner Mutter, aber den
Dichter machen sie allein nicht. Wenn man demnach auch Goethes Dichtertalent
nicht von seinem mütterlichen Stammbaum herleiten kann, will man nicht die
Gesichte (Visionen) des Dichters mit des Großvaters weissagenden Träumen
in Verbindung bringen, so hat dagegen die beharrliche Ausdauer und Treue,
womit der Freund Karl Augusts sich der Verwaltung widmete, gewissermaßen in
jenem ein Vorbild, wenn man auch gestehen muß, daß der Dichter mit Recht „des
Lebens ernstes Führen" als ein Erbteil seines Vaters bezeichnet hat. Aber bei
ihm hing jenes zähe Ausharren mit seiner sittlichen Willensstärke und dem ihn
beseelenden Glauben an das Schicksal zusammen, das ihm seine Bahn angewiesen
habe und mit Mutterliebe über ihm wache. Wenn er in jener langen launigen
Amic alle Elemente seines Wesens als angeerbt bezeichnet, so müssen wir darauf
bestehen, daß seine Natur durchaus Original war, daß diese aus einem lebendigen
Keime unter dem Einflüsse der Verhältnisse mit einer Art Notwendigkeit sich
entwickelt hat; und wie wenig wir auch jedes Mitwirken von ererbten geistigen
und körperlichen Eigentümlichkeiten leugnen wollen, so wird doch der Versuch
einer Ableitung der Monas, deren rotirende Bewegung nach Goethes eignem
Ausspruch das Leben ist, aus den Anlagen der Vorfahren stets ein leeres
Spiel bleiben.




Amerikanisches Eisenbahnwesen.
von einem Touristen.

er in Deutschland viel auf der Eisenbahn fährt, kommt nicht
selteu in die Lage, von Mitreisenden, denen diese oder jene Ein¬
richtung noch nicht bequem genug erscheint, die großartigen Vor¬
züge der amerikanischen Eisenbahn preisen zu hören, und wenn
sich auch solche Urteile meist nur auf Hörensagen gründen, pflegen
sie doch eine umso gläubigere Aufnahme zu finden, als der Auslandskultus bei
uns noch immer nicht ganz abgestorben ist. Sind aber die Lobredner gar un¬
verfälschte Sprößlinge des Aankeelandes, so ist man bei ihren Schilderungen
fast versucht, das Dahinrollen auf einer amerikanischen Eisenbahn sich als den
Gipfel irdischer Glückseligkeit vorzustellen. Oder sollte auch hier der Erfahrungssatz
gelten, daß der Nimbus alles Irdischen in der Nähe wesentlich verblaßt? Die
Lösung dieser Zweifel brachte uns kürzlich eine Studienreise durch die Vereinigten


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[0437] Amerikanisches Eisenbahnwesen, Lustspieldichter wohl glücklicher gewesen sein würde als auf dem juristischen Katheder, Lebendiger Ahmmgsgeist zeigt sich freilich bei Goethes Großvater auf eigentümliche Weise; frische Anschaulichkeit und vollströmcndc Kraft, welche der Dichter nicht entbehren kann, waren schöne Gaben seiner Mutter, aber den Dichter machen sie allein nicht. Wenn man demnach auch Goethes Dichtertalent nicht von seinem mütterlichen Stammbaum herleiten kann, will man nicht die Gesichte (Visionen) des Dichters mit des Großvaters weissagenden Träumen in Verbindung bringen, so hat dagegen die beharrliche Ausdauer und Treue, womit der Freund Karl Augusts sich der Verwaltung widmete, gewissermaßen in jenem ein Vorbild, wenn man auch gestehen muß, daß der Dichter mit Recht „des Lebens ernstes Führen" als ein Erbteil seines Vaters bezeichnet hat. Aber bei ihm hing jenes zähe Ausharren mit seiner sittlichen Willensstärke und dem ihn beseelenden Glauben an das Schicksal zusammen, das ihm seine Bahn angewiesen habe und mit Mutterliebe über ihm wache. Wenn er in jener langen launigen Amic alle Elemente seines Wesens als angeerbt bezeichnet, so müssen wir darauf bestehen, daß seine Natur durchaus Original war, daß diese aus einem lebendigen Keime unter dem Einflüsse der Verhältnisse mit einer Art Notwendigkeit sich entwickelt hat; und wie wenig wir auch jedes Mitwirken von ererbten geistigen und körperlichen Eigentümlichkeiten leugnen wollen, so wird doch der Versuch einer Ableitung der Monas, deren rotirende Bewegung nach Goethes eignem Ausspruch das Leben ist, aus den Anlagen der Vorfahren stets ein leeres Spiel bleiben. Amerikanisches Eisenbahnwesen. von einem Touristen. er in Deutschland viel auf der Eisenbahn fährt, kommt nicht selteu in die Lage, von Mitreisenden, denen diese oder jene Ein¬ richtung noch nicht bequem genug erscheint, die großartigen Vor¬ züge der amerikanischen Eisenbahn preisen zu hören, und wenn sich auch solche Urteile meist nur auf Hörensagen gründen, pflegen sie doch eine umso gläubigere Aufnahme zu finden, als der Auslandskultus bei uns noch immer nicht ganz abgestorben ist. Sind aber die Lobredner gar un¬ verfälschte Sprößlinge des Aankeelandes, so ist man bei ihren Schilderungen fast versucht, das Dahinrollen auf einer amerikanischen Eisenbahn sich als den Gipfel irdischer Glückseligkeit vorzustellen. Oder sollte auch hier der Erfahrungssatz gelten, daß der Nimbus alles Irdischen in der Nähe wesentlich verblaßt? Die Lösung dieser Zweifel brachte uns kürzlich eine Studienreise durch die Vereinigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/437>, abgerufen am 13.11.2024.