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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

auf sein Recht verzichtet oder den Kampf im Interesse der andern aufnimmt,
wird getrieben von dem Gefühle der Zusammengehörigkeit mit allen andern,
des Zusammenhanges mit dem All, vermöge dessen er auch in seinem Feinde,
ja in "Baum und Busch" seine Brüder und Verwandten erkennt; es ist dies
die Versenkung des Gemütes in eine über die Schranken des eignen Daseins
hinausgehende Unendlichkeit.




Das Geschlecht Textor,
Goethes mütterlicher ötammbcinm.
von Diintzer. (Schluß,)

und Textors Amtsthätigkeit wird von den härtesten Vorwürfen,
ja gemeinen Schmähungen Senckenbcrgs heimgesucht, aus denen
der edle Erasmus hervorguckt. Kriegk bemerkt, ein Tadel der¬
selben lasse sich aktenmäßig nnr insoweit begründen, als Textor
sich gewöhnlich zwischen den Parteien durchzuwinden gesucht
und sich, wenn er einmal sich für eine entschieden, einseitig und hartnäckig ge¬
zeigt habe. Daß sich dies aktenmäßig begründen lassen könne, klingt etwas
auffallend; im Grunde zeigt der Vorwurf nur, daß Textor, wie er mußte,
die Gründe beider Parteien erwog, aber auf seiner einmal gewonnenen Rechts¬
ansicht bestand. Kriegk selbst gesteht ihm große geistige Gewandtheit und
bedeutende Rechtskenntnis zu, nur im öffentlichen und deutschen Rechte habe
man ihn für weniger bewandert gehalten. Wenn Kriegk bedauert, daß Goethe
in der Schilderung seines Großvaters von dessen sittlichen Grundsätzen und
seiner geistigen Bildung nichts sage, was man Senckenbergs sittlichen Vor¬
würfen entgegenhalten könne, so erscheint er in jener doch als ein durchaus
würdiger, leidenschaftsloser Mann, bei dem es einer besondern Hervorhebung, daß
er nur nach Pflicht und Recht gehandelt habe, nicht bedürfte. Wie wenig er
der Bestechung zugänglich gewesen ist, kann man auch ans dem schließen, was
Goethe im fünften Buche von seiner eignen Übergabe einer Bittschrift erzählt,
wodurch natürlich keineswegs ausgeschlossen bleibt, daß Empfehlungen und be¬
sondre Gunst auch zuweilen auf Textor Einfluß geübt haben. Doch kehren wir
von der Abweisung so arger, wie unerwiesener Verdächtigung zu Textors gut
bürgerlicher Familie zurück.


Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum.

auf sein Recht verzichtet oder den Kampf im Interesse der andern aufnimmt,
wird getrieben von dem Gefühle der Zusammengehörigkeit mit allen andern,
des Zusammenhanges mit dem All, vermöge dessen er auch in seinem Feinde,
ja in „Baum und Busch" seine Brüder und Verwandten erkennt; es ist dies
die Versenkung des Gemütes in eine über die Schranken des eignen Daseins
hinausgehende Unendlichkeit.




Das Geschlecht Textor,
Goethes mütterlicher ötammbcinm.
von Diintzer. (Schluß,)

und Textors Amtsthätigkeit wird von den härtesten Vorwürfen,
ja gemeinen Schmähungen Senckenbcrgs heimgesucht, aus denen
der edle Erasmus hervorguckt. Kriegk bemerkt, ein Tadel der¬
selben lasse sich aktenmäßig nnr insoweit begründen, als Textor
sich gewöhnlich zwischen den Parteien durchzuwinden gesucht
und sich, wenn er einmal sich für eine entschieden, einseitig und hartnäckig ge¬
zeigt habe. Daß sich dies aktenmäßig begründen lassen könne, klingt etwas
auffallend; im Grunde zeigt der Vorwurf nur, daß Textor, wie er mußte,
die Gründe beider Parteien erwog, aber auf seiner einmal gewonnenen Rechts¬
ansicht bestand. Kriegk selbst gesteht ihm große geistige Gewandtheit und
bedeutende Rechtskenntnis zu, nur im öffentlichen und deutschen Rechte habe
man ihn für weniger bewandert gehalten. Wenn Kriegk bedauert, daß Goethe
in der Schilderung seines Großvaters von dessen sittlichen Grundsätzen und
seiner geistigen Bildung nichts sage, was man Senckenbergs sittlichen Vor¬
würfen entgegenhalten könne, so erscheint er in jener doch als ein durchaus
würdiger, leidenschaftsloser Mann, bei dem es einer besondern Hervorhebung, daß
er nur nach Pflicht und Recht gehandelt habe, nicht bedürfte. Wie wenig er
der Bestechung zugänglich gewesen ist, kann man auch ans dem schließen, was
Goethe im fünften Buche von seiner eignen Übergabe einer Bittschrift erzählt,
wodurch natürlich keineswegs ausgeschlossen bleibt, daß Empfehlungen und be¬
sondre Gunst auch zuweilen auf Textor Einfluß geübt haben. Doch kehren wir
von der Abweisung so arger, wie unerwiesener Verdächtigung zu Textors gut
bürgerlicher Familie zurück.


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[0420] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. auf sein Recht verzichtet oder den Kampf im Interesse der andern aufnimmt, wird getrieben von dem Gefühle der Zusammengehörigkeit mit allen andern, des Zusammenhanges mit dem All, vermöge dessen er auch in seinem Feinde, ja in „Baum und Busch" seine Brüder und Verwandten erkennt; es ist dies die Versenkung des Gemütes in eine über die Schranken des eignen Daseins hinausgehende Unendlichkeit. Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher ötammbcinm. von Diintzer. (Schluß,) und Textors Amtsthätigkeit wird von den härtesten Vorwürfen, ja gemeinen Schmähungen Senckenbcrgs heimgesucht, aus denen der edle Erasmus hervorguckt. Kriegk bemerkt, ein Tadel der¬ selben lasse sich aktenmäßig nnr insoweit begründen, als Textor sich gewöhnlich zwischen den Parteien durchzuwinden gesucht und sich, wenn er einmal sich für eine entschieden, einseitig und hartnäckig ge¬ zeigt habe. Daß sich dies aktenmäßig begründen lassen könne, klingt etwas auffallend; im Grunde zeigt der Vorwurf nur, daß Textor, wie er mußte, die Gründe beider Parteien erwog, aber auf seiner einmal gewonnenen Rechts¬ ansicht bestand. Kriegk selbst gesteht ihm große geistige Gewandtheit und bedeutende Rechtskenntnis zu, nur im öffentlichen und deutschen Rechte habe man ihn für weniger bewandert gehalten. Wenn Kriegk bedauert, daß Goethe in der Schilderung seines Großvaters von dessen sittlichen Grundsätzen und seiner geistigen Bildung nichts sage, was man Senckenbergs sittlichen Vor¬ würfen entgegenhalten könne, so erscheint er in jener doch als ein durchaus würdiger, leidenschaftsloser Mann, bei dem es einer besondern Hervorhebung, daß er nur nach Pflicht und Recht gehandelt habe, nicht bedürfte. Wie wenig er der Bestechung zugänglich gewesen ist, kann man auch ans dem schließen, was Goethe im fünften Buche von seiner eignen Übergabe einer Bittschrift erzählt, wodurch natürlich keineswegs ausgeschlossen bleibt, daß Empfehlungen und be¬ sondre Gunst auch zuweilen auf Textor Einfluß geübt haben. Doch kehren wir von der Abweisung so arger, wie unerwiesener Verdächtigung zu Textors gut bürgerlicher Familie zurück.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/420>, abgerufen am 13.11.2024.