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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

ihre Hände herab und berührte die gefalteten Finger mit ihren Lippen, einen
Knöchel nach dem andern, die ganze Reihe entlang und wieder zurück.

Es ist das abscheulichste Dasein, welches man sich nur denken kann, sagte
sie und blickte auf. Es ist völlig unmöglich, auch nur das Allergeringste zu
erleben, und wie soll uns nur das Wenige, was das Leben abwirft, in Atem
halten, wie, fühlen Sie nicht ganz dasselbe?

Ja, ich weiß wirklich nichts Besseres vorzuschlagen, als daß wir es machen
wie der Kauf in Tausendundeinenacht. Wenn Sie zu dem seidenen Schlafrock,
den Sie anhaben, nur ein weißes Tuch um den Kopf nähmen, und wenn ich
Ihren großen ostindischen Shawl umthäte, so könnten wir ganz ausgezeichnet
zwei Kaufleute aus Mossul vorstellen.

Und was sollten wir unglücklichen Kaufleute dann nur vornehmen?

An die Sturmbrücke hinabgehen und für zwanzig Goldstücke ein Boot mieten
und auf die dunkle Flut hinaussegeln.

Vorbei an den Sandkisten?

Ja, mit farbigen Lanzen an den Masten.

Wie Gemein, der Sklave der Liebe. Wie genau ich ihn wiedererkenne,
den ganzen Gedankengang; es ist so recht männlich, gleich so eilig darüber her¬
zufallen, die Szenerie auszumalen und die Situation, und über all den Äußer¬
lichkeiten die Hauptsache zu vergessen. Haben Sie es wohl beachtet, wie un¬
gleich weniger phantastisch wir Frauen sind als die Männer? Wir können dem
Genuß nicht so in unsrer Phantasie vorgreifen oder uns die Leiden mit einem
phantastischen Troste vom Leibe halten. Was einmal da ist, ist da. Die
Phantasie! ach, die ist so jämmerlich klein I Ja wenn man erst älter ge¬
worden ist, wie ich, dann läßt man sich zuweilen an der ärmlichen Komödie
der Phantasterei genügen. Aber das sollte man niemals thun, niemals!

Sie setzte sich erschöpft auf dem Sofa zurecht, halb liegend, halb sitzend,
die Hände unter dem Kinn, die Ellenbogen auf die Sofakissen gestützt. Ihr
Blick schweifte träumerisch durch das Zimmer, und sie schien ganz verloren
in ihre trüben Gedanken. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Der Einheitsschulverein. Nachdem im neunten Hefte dieses Jahrganges
(S. 464 ff.) auf die bevorstehende zweite Hauptversammlung des "Deutschen Ein-
heitsschulvereins" hingewiesen und dabei die Bestrebungen und die bisherige Thätig¬
keit dieses Vereins kurz dargelegt worden sind, dürfte es angemessen sein, über
den Verlauf und das Ergebnis jener Versammlung, die am 4. und 5. April in


Kleinere Mitteilungen.

ihre Hände herab und berührte die gefalteten Finger mit ihren Lippen, einen
Knöchel nach dem andern, die ganze Reihe entlang und wieder zurück.

Es ist das abscheulichste Dasein, welches man sich nur denken kann, sagte
sie und blickte auf. Es ist völlig unmöglich, auch nur das Allergeringste zu
erleben, und wie soll uns nur das Wenige, was das Leben abwirft, in Atem
halten, wie, fühlen Sie nicht ganz dasselbe?

Ja, ich weiß wirklich nichts Besseres vorzuschlagen, als daß wir es machen
wie der Kauf in Tausendundeinenacht. Wenn Sie zu dem seidenen Schlafrock,
den Sie anhaben, nur ein weißes Tuch um den Kopf nähmen, und wenn ich
Ihren großen ostindischen Shawl umthäte, so könnten wir ganz ausgezeichnet
zwei Kaufleute aus Mossul vorstellen.

Und was sollten wir unglücklichen Kaufleute dann nur vornehmen?

An die Sturmbrücke hinabgehen und für zwanzig Goldstücke ein Boot mieten
und auf die dunkle Flut hinaussegeln.

Vorbei an den Sandkisten?

Ja, mit farbigen Lanzen an den Masten.

Wie Gemein, der Sklave der Liebe. Wie genau ich ihn wiedererkenne,
den ganzen Gedankengang; es ist so recht männlich, gleich so eilig darüber her¬
zufallen, die Szenerie auszumalen und die Situation, und über all den Äußer¬
lichkeiten die Hauptsache zu vergessen. Haben Sie es wohl beachtet, wie un¬
gleich weniger phantastisch wir Frauen sind als die Männer? Wir können dem
Genuß nicht so in unsrer Phantasie vorgreifen oder uns die Leiden mit einem
phantastischen Troste vom Leibe halten. Was einmal da ist, ist da. Die
Phantasie! ach, die ist so jämmerlich klein I Ja wenn man erst älter ge¬
worden ist, wie ich, dann läßt man sich zuweilen an der ärmlichen Komödie
der Phantasterei genügen. Aber das sollte man niemals thun, niemals!

Sie setzte sich erschöpft auf dem Sofa zurecht, halb liegend, halb sitzend,
die Hände unter dem Kinn, die Ellenbogen auf die Sofakissen gestützt. Ihr
Blick schweifte träumerisch durch das Zimmer, und sie schien ganz verloren
in ihre trüben Gedanken. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Der Einheitsschulverein. Nachdem im neunten Hefte dieses Jahrganges
(S. 464 ff.) auf die bevorstehende zweite Hauptversammlung des „Deutschen Ein-
heitsschulvereins" hingewiesen und dabei die Bestrebungen und die bisherige Thätig¬
keit dieses Vereins kurz dargelegt worden sind, dürfte es angemessen sein, über
den Verlauf und das Ergebnis jener Versammlung, die am 4. und 5. April in


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[0390] Kleinere Mitteilungen. ihre Hände herab und berührte die gefalteten Finger mit ihren Lippen, einen Knöchel nach dem andern, die ganze Reihe entlang und wieder zurück. Es ist das abscheulichste Dasein, welches man sich nur denken kann, sagte sie und blickte auf. Es ist völlig unmöglich, auch nur das Allergeringste zu erleben, und wie soll uns nur das Wenige, was das Leben abwirft, in Atem halten, wie, fühlen Sie nicht ganz dasselbe? Ja, ich weiß wirklich nichts Besseres vorzuschlagen, als daß wir es machen wie der Kauf in Tausendundeinenacht. Wenn Sie zu dem seidenen Schlafrock, den Sie anhaben, nur ein weißes Tuch um den Kopf nähmen, und wenn ich Ihren großen ostindischen Shawl umthäte, so könnten wir ganz ausgezeichnet zwei Kaufleute aus Mossul vorstellen. Und was sollten wir unglücklichen Kaufleute dann nur vornehmen? An die Sturmbrücke hinabgehen und für zwanzig Goldstücke ein Boot mieten und auf die dunkle Flut hinaussegeln. Vorbei an den Sandkisten? Ja, mit farbigen Lanzen an den Masten. Wie Gemein, der Sklave der Liebe. Wie genau ich ihn wiedererkenne, den ganzen Gedankengang; es ist so recht männlich, gleich so eilig darüber her¬ zufallen, die Szenerie auszumalen und die Situation, und über all den Äußer¬ lichkeiten die Hauptsache zu vergessen. Haben Sie es wohl beachtet, wie un¬ gleich weniger phantastisch wir Frauen sind als die Männer? Wir können dem Genuß nicht so in unsrer Phantasie vorgreifen oder uns die Leiden mit einem phantastischen Troste vom Leibe halten. Was einmal da ist, ist da. Die Phantasie! ach, die ist so jämmerlich klein I Ja wenn man erst älter ge¬ worden ist, wie ich, dann läßt man sich zuweilen an der ärmlichen Komödie der Phantasterei genügen. Aber das sollte man niemals thun, niemals! Sie setzte sich erschöpft auf dem Sofa zurecht, halb liegend, halb sitzend, die Hände unter dem Kinn, die Ellenbogen auf die Sofakissen gestützt. Ihr Blick schweifte träumerisch durch das Zimmer, und sie schien ganz verloren in ihre trüben Gedanken. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Der Einheitsschulverein. Nachdem im neunten Hefte dieses Jahrganges (S. 464 ff.) auf die bevorstehende zweite Hauptversammlung des „Deutschen Ein- heitsschulvereins" hingewiesen und dabei die Bestrebungen und die bisherige Thätig¬ keit dieses Vereins kurz dargelegt worden sind, dürfte es angemessen sein, über den Verlauf und das Ergebnis jener Versammlung, die am 4. und 5. April in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/390>, abgerufen am 13.11.2024.