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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Das Geschlecht Textor,
Goethes mütterlicher Stammbaum.
Von H. Diintzer. (Fortsetzung.)

eider hatte der siebenjährige Krieg einen Riß wie in die Frank¬
furter Bürgerschaft, die meist auf Friedrichs Seite stand, auch
in Textors Familie gemacht, da der Stadtschuttheiß treu am
Reiche hielt, wogegen Rat Goethe ein begeisterter Verehrer des
großen Königs war, dessen Siege er mit vollem Jubel be¬
grüßte. Die andern Schwiegersöhne neigten auf die Seite des Schultheißen,
während die Frauen geteilt waren. Der Unsegen politischen Streites trat auch
hier hervor; die Leidenschaft mischte sich ein und entstellte manches zu Gunsten
und Ungunsten. Wohl mag Textor, wenn man Friedrich zujubelte, sich von
der Hitze zu weit haben fortreißen lassen; Goethe sagt nur, dieser, sonst ein
heiterer, ruhiger, bequemer Mann, sei ungeduldig geworden. Kriegk hat hierin
einen Widerspruch mit der Äußerung des Dichters finden wollen, der Großvater
habe keine Spur von Heftigkeit gehabt, ja er erinnere sich nicht, ihn je zornig
gesehen zu haben. Aber ein solcher ist in der That nicht vorhanden; selbst
ein wirklicher könnte höchstens beweisen, daß solche Ausnahmefälle bei der letztern
Äußerung übersehen worden seien, unmöglich Verdacht gegen die Wahrheit seiner
Schilderung des Großvaters erregen. Manches harte Wort mag der Herr Rat
besonders gegen den frommen Schwager starck ausgestoßen haben, das die
gewohnte Ruhe des Familientisches störte, und dies nebst dem Widerwillen,
immer solche beschränkte Verkleinerungen seines Helden hören zu müssen, wird
ihn bestimmt haben, wie Goethe berichtet, endlich wegzubleiben. Das öster¬
reichische Kaiserhaus hatte jetzt, wie früher sein Gegner, der gefallene Kurfürst
von Baiern, die Franzosen zum Beistände nach Deutschland gerufen und auch
Frankfurt befohlen, ihnen freien Durchzug eines einzelnen Bataillons zu ge¬
währen. Sie hatten sich in der Wetterau festgesetzt, fühlten aber bald die
Notwendigkeit, Frankfurt als Stütz- und Waffenplatz zu besetzen. General
Soubise beschloß, dies kurzer Hand zu thun, was sehr leicht war, da er freien,




Das Geschlecht Textor,
Goethes mütterlicher Stammbaum.
Von H. Diintzer. (Fortsetzung.)

eider hatte der siebenjährige Krieg einen Riß wie in die Frank¬
furter Bürgerschaft, die meist auf Friedrichs Seite stand, auch
in Textors Familie gemacht, da der Stadtschuttheiß treu am
Reiche hielt, wogegen Rat Goethe ein begeisterter Verehrer des
großen Königs war, dessen Siege er mit vollem Jubel be¬
grüßte. Die andern Schwiegersöhne neigten auf die Seite des Schultheißen,
während die Frauen geteilt waren. Der Unsegen politischen Streites trat auch
hier hervor; die Leidenschaft mischte sich ein und entstellte manches zu Gunsten
und Ungunsten. Wohl mag Textor, wenn man Friedrich zujubelte, sich von
der Hitze zu weit haben fortreißen lassen; Goethe sagt nur, dieser, sonst ein
heiterer, ruhiger, bequemer Mann, sei ungeduldig geworden. Kriegk hat hierin
einen Widerspruch mit der Äußerung des Dichters finden wollen, der Großvater
habe keine Spur von Heftigkeit gehabt, ja er erinnere sich nicht, ihn je zornig
gesehen zu haben. Aber ein solcher ist in der That nicht vorhanden; selbst
ein wirklicher könnte höchstens beweisen, daß solche Ausnahmefälle bei der letztern
Äußerung übersehen worden seien, unmöglich Verdacht gegen die Wahrheit seiner
Schilderung des Großvaters erregen. Manches harte Wort mag der Herr Rat
besonders gegen den frommen Schwager starck ausgestoßen haben, das die
gewohnte Ruhe des Familientisches störte, und dies nebst dem Widerwillen,
immer solche beschränkte Verkleinerungen seines Helden hören zu müssen, wird
ihn bestimmt haben, wie Goethe berichtet, endlich wegzubleiben. Das öster¬
reichische Kaiserhaus hatte jetzt, wie früher sein Gegner, der gefallene Kurfürst
von Baiern, die Franzosen zum Beistände nach Deutschland gerufen und auch
Frankfurt befohlen, ihnen freien Durchzug eines einzelnen Bataillons zu ge¬
währen. Sie hatten sich in der Wetterau festgesetzt, fühlten aber bald die
Notwendigkeit, Frankfurt als Stütz- und Waffenplatz zu besetzen. General
Soubise beschloß, dies kurzer Hand zu thun, was sehr leicht war, da er freien,


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[0376] [Abbildung] Das Geschlecht Textor, Goethes mütterlicher Stammbaum. Von H. Diintzer. (Fortsetzung.) eider hatte der siebenjährige Krieg einen Riß wie in die Frank¬ furter Bürgerschaft, die meist auf Friedrichs Seite stand, auch in Textors Familie gemacht, da der Stadtschuttheiß treu am Reiche hielt, wogegen Rat Goethe ein begeisterter Verehrer des großen Königs war, dessen Siege er mit vollem Jubel be¬ grüßte. Die andern Schwiegersöhne neigten auf die Seite des Schultheißen, während die Frauen geteilt waren. Der Unsegen politischen Streites trat auch hier hervor; die Leidenschaft mischte sich ein und entstellte manches zu Gunsten und Ungunsten. Wohl mag Textor, wenn man Friedrich zujubelte, sich von der Hitze zu weit haben fortreißen lassen; Goethe sagt nur, dieser, sonst ein heiterer, ruhiger, bequemer Mann, sei ungeduldig geworden. Kriegk hat hierin einen Widerspruch mit der Äußerung des Dichters finden wollen, der Großvater habe keine Spur von Heftigkeit gehabt, ja er erinnere sich nicht, ihn je zornig gesehen zu haben. Aber ein solcher ist in der That nicht vorhanden; selbst ein wirklicher könnte höchstens beweisen, daß solche Ausnahmefälle bei der letztern Äußerung übersehen worden seien, unmöglich Verdacht gegen die Wahrheit seiner Schilderung des Großvaters erregen. Manches harte Wort mag der Herr Rat besonders gegen den frommen Schwager starck ausgestoßen haben, das die gewohnte Ruhe des Familientisches störte, und dies nebst dem Widerwillen, immer solche beschränkte Verkleinerungen seines Helden hören zu müssen, wird ihn bestimmt haben, wie Goethe berichtet, endlich wegzubleiben. Das öster¬ reichische Kaiserhaus hatte jetzt, wie früher sein Gegner, der gefallene Kurfürst von Baiern, die Franzosen zum Beistände nach Deutschland gerufen und auch Frankfurt befohlen, ihnen freien Durchzug eines einzelnen Bataillons zu ge¬ währen. Sie hatten sich in der Wetterau festgesetzt, fühlten aber bald die Notwendigkeit, Frankfurt als Stütz- und Waffenplatz zu besetzen. General Soubise beschloß, dies kurzer Hand zu thun, was sehr leicht war, da er freien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/376>, abgerufen am 01.09.2024.