Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

MMle Diplomatie, welche die Interessen Rußlands in den Ländern
am Balkan und ans dem linken Ufer der untern Donau wahr¬
zunehmen hat, ist während der letzten Zeit, d. h. von Anfang
des Jahres 1888 a", im Stillen und derselben Ausdauer und
mit ähnlichen Mitteln thätig gewesen wie in den frühern Jahre"
nach dem russisch-türkischen Kriege und dem Frieden, der dessen Erfolge für
das Zarenreich hier einschränkte, und was sie nicht Wohl betreiben konnte, ist
mit Eifer und manchem kleinen Erfolge von der neben ihr hergehenden pan-
slawistischen Propaganda besorgt worden. Das politische Glaubensbekenntnis
der beiden ist nicht ganz das gleiche, da die jetzige Negierung in Petersburg
oder richtiger Kaiser Alexander nach außen hin nicht den Velleitäten der Pan-
slawisten huldigt. Die nächsten Ziele beider sind aber dieselben, und so arbeiten
sich beide in die Hände. Hier, auf der breiten Halbinsel zwischen dem Schwarzen
und dem Mittelländischen Meere, begegnen und kreuzen sich die Interessen und
Bestrebungen dreier Großmächte. Es ist der Weg der Russen nach Konstanti¬
nopel, wo die Agia Sofia steht und die Seepforte sich öffnet, deren Besitz sie
zur Macht in den westlichen Meeren machen soll. Es ist das Streben der
Briten, ihren durch Verstärkung der im Verlaufe dieses Jahrhunderts hier auf
ehemals türkischem Gebiete entstandenen Mittel- und Kleinstaaten und durch
einen Bund derselben zu gemeinsamer Verteidigung diesen Weg zu verlegen.
Es ist endlich ein Interesse Österreich-Ungarns, daß jene Donau- und Balkan-
stacttcn sich möglichst unter seinem Einflüsse entwickeln, der in Bosnien, in der
Flanke der russischen Landstraße nach dem Bosporus, zur Herrschaft geworden
ist und in dem benachbarten Serbien unter dem Könige Milan seit Jahren
verständiges Entgegenkommen gefunden hat. Nußland behält sein letztes Ziel


Wrcnzlwtcn II. 18L8. 44


Die neueste Politik Rußlands am Balkan.

MMle Diplomatie, welche die Interessen Rußlands in den Ländern
am Balkan und ans dem linken Ufer der untern Donau wahr¬
zunehmen hat, ist während der letzten Zeit, d. h. von Anfang
des Jahres 1888 a», im Stillen und derselben Ausdauer und
mit ähnlichen Mitteln thätig gewesen wie in den frühern Jahre»
nach dem russisch-türkischen Kriege und dem Frieden, der dessen Erfolge für
das Zarenreich hier einschränkte, und was sie nicht Wohl betreiben konnte, ist
mit Eifer und manchem kleinen Erfolge von der neben ihr hergehenden pan-
slawistischen Propaganda besorgt worden. Das politische Glaubensbekenntnis
der beiden ist nicht ganz das gleiche, da die jetzige Negierung in Petersburg
oder richtiger Kaiser Alexander nach außen hin nicht den Velleitäten der Pan-
slawisten huldigt. Die nächsten Ziele beider sind aber dieselben, und so arbeiten
sich beide in die Hände. Hier, auf der breiten Halbinsel zwischen dem Schwarzen
und dem Mittelländischen Meere, begegnen und kreuzen sich die Interessen und
Bestrebungen dreier Großmächte. Es ist der Weg der Russen nach Konstanti¬
nopel, wo die Agia Sofia steht und die Seepforte sich öffnet, deren Besitz sie
zur Macht in den westlichen Meeren machen soll. Es ist das Streben der
Briten, ihren durch Verstärkung der im Verlaufe dieses Jahrhunderts hier auf
ehemals türkischem Gebiete entstandenen Mittel- und Kleinstaaten und durch
einen Bund derselben zu gemeinsamer Verteidigung diesen Weg zu verlegen.
Es ist endlich ein Interesse Österreich-Ungarns, daß jene Donau- und Balkan-
stacttcn sich möglichst unter seinem Einflüsse entwickeln, der in Bosnien, in der
Flanke der russischen Landstraße nach dem Bosporus, zur Herrschaft geworden
ist und in dem benachbarten Serbien unter dem Könige Milan seit Jahren
verständiges Entgegenkommen gefunden hat. Nußland behält sein letztes Ziel


Wrcnzlwtcn II. 18L8. 44
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203130"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341847_202776/figures/grenzboten_341847_202776_203130_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die neueste Politik Rußlands am Balkan.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> MMle Diplomatie, welche die Interessen Rußlands in den Ländern<lb/>
am Balkan und ans dem linken Ufer der untern Donau wahr¬<lb/>
zunehmen hat, ist während der letzten Zeit, d. h. von Anfang<lb/>
des Jahres 1888 a», im Stillen und derselben Ausdauer und<lb/>
mit ähnlichen Mitteln thätig gewesen wie in den frühern Jahre»<lb/>
nach dem russisch-türkischen Kriege und dem Frieden, der dessen Erfolge für<lb/>
das Zarenreich hier einschränkte, und was sie nicht Wohl betreiben konnte, ist<lb/>
mit Eifer und manchem kleinen Erfolge von der neben ihr hergehenden pan-<lb/>
slawistischen Propaganda besorgt worden. Das politische Glaubensbekenntnis<lb/>
der beiden ist nicht ganz das gleiche, da die jetzige Negierung in Petersburg<lb/>
oder richtiger Kaiser Alexander nach außen hin nicht den Velleitäten der Pan-<lb/>
slawisten huldigt. Die nächsten Ziele beider sind aber dieselben, und so arbeiten<lb/>
sich beide in die Hände. Hier, auf der breiten Halbinsel zwischen dem Schwarzen<lb/>
und dem Mittelländischen Meere, begegnen und kreuzen sich die Interessen und<lb/>
Bestrebungen dreier Großmächte. Es ist der Weg der Russen nach Konstanti¬<lb/>
nopel, wo die Agia Sofia steht und die Seepforte sich öffnet, deren Besitz sie<lb/>
zur Macht in den westlichen Meeren machen soll. Es ist das Streben der<lb/>
Briten, ihren durch Verstärkung der im Verlaufe dieses Jahrhunderts hier auf<lb/>
ehemals türkischem Gebiete entstandenen Mittel- und Kleinstaaten und durch<lb/>
einen Bund derselben zu gemeinsamer Verteidigung diesen Weg zu verlegen.<lb/>
Es ist endlich ein Interesse Österreich-Ungarns, daß jene Donau- und Balkan-<lb/>
stacttcn sich möglichst unter seinem Einflüsse entwickeln, der in Bosnien, in der<lb/>
Flanke der russischen Landstraße nach dem Bosporus, zur Herrschaft geworden<lb/>
ist und in dem benachbarten Serbien unter dem Könige Milan seit Jahren<lb/>
verständiges Entgegenkommen gefunden hat. Nußland behält sein letztes Ziel</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Wrcnzlwtcn II. 18L8. 44</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] [Abbildung] Die neueste Politik Rußlands am Balkan. MMle Diplomatie, welche die Interessen Rußlands in den Ländern am Balkan und ans dem linken Ufer der untern Donau wahr¬ zunehmen hat, ist während der letzten Zeit, d. h. von Anfang des Jahres 1888 a», im Stillen und derselben Ausdauer und mit ähnlichen Mitteln thätig gewesen wie in den frühern Jahre» nach dem russisch-türkischen Kriege und dem Frieden, der dessen Erfolge für das Zarenreich hier einschränkte, und was sie nicht Wohl betreiben konnte, ist mit Eifer und manchem kleinen Erfolge von der neben ihr hergehenden pan- slawistischen Propaganda besorgt worden. Das politische Glaubensbekenntnis der beiden ist nicht ganz das gleiche, da die jetzige Negierung in Petersburg oder richtiger Kaiser Alexander nach außen hin nicht den Velleitäten der Pan- slawisten huldigt. Die nächsten Ziele beider sind aber dieselben, und so arbeiten sich beide in die Hände. Hier, auf der breiten Halbinsel zwischen dem Schwarzen und dem Mittelländischen Meere, begegnen und kreuzen sich die Interessen und Bestrebungen dreier Großmächte. Es ist der Weg der Russen nach Konstanti¬ nopel, wo die Agia Sofia steht und die Seepforte sich öffnet, deren Besitz sie zur Macht in den westlichen Meeren machen soll. Es ist das Streben der Briten, ihren durch Verstärkung der im Verlaufe dieses Jahrhunderts hier auf ehemals türkischem Gebiete entstandenen Mittel- und Kleinstaaten und durch einen Bund derselben zu gemeinsamer Verteidigung diesen Weg zu verlegen. Es ist endlich ein Interesse Österreich-Ungarns, daß jene Donau- und Balkan- stacttcn sich möglichst unter seinem Einflüsse entwickeln, der in Bosnien, in der Flanke der russischen Landstraße nach dem Bosporus, zur Herrschaft geworden ist und in dem benachbarten Serbien unter dem Könige Milan seit Jahren verständiges Entgegenkommen gefunden hat. Nußland behält sein letztes Ziel Wrcnzlwtcn II. 18L8. 44

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/353>, abgerufen am 27.07.2024.