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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Neue Romane,

in den Jahren 1728 und 1729 gebracht hatte. In dem letzter" führte ein um
ein Jahr jüngerer Landsmann, der nach seinen Studien und groben Reisen sich in
Frankfurt niedergelassen hatte, die vierte Tochter Lindheimers, Katharina Sibhlla,
als Gattin heim. Johann Michael von Lom, im Besitze eines bedeutenden Ver¬
mögens, reicher Kunst- und Büchersammlungen und weiter Welterfahrung, bildete
in Frankfurt den Mittelpunkt eines gediegenen Gesellschaftslebens, während er für
sich feine Betrachtungen über das Wahre und Gute unablässig verfolgte und das
Ideal eines tugendhaften Christen und Weltbürgers immer lebendiger sich aus¬
bildete. War auch Textors Thätigkeit und Sinnen mehr auf das wirkliche
Leben gerichtet, so fehlte es doch nicht an Berührungspunkten mit seinem reich¬
gebildeten Schwager, besonders in der Verwerfung alles den Geist der Religion
verzerrenden Gezänkes der Schriftgelehrten und des mystischen Pietismus, der
zu Frankfurt als Nachwirkung Speners unter verschiednen Formen sich breit
machte. (Fortsetzung folgt.)




Neue Romane.

cute wollen wir über die jüngsten Romane von drei Schrift¬
stellern Bericht erstatten, die sich alle aus denselben bekannten
Gründen gemüßigt sehen, alljährlich dem deutsche" Lesepubliknm
ein neues Buch vorzulegen. Der Zufall -- nicht der Verleger --
hat sie uns in die Hände gespielt, und eine günstige Mußestnnde
hat uns gestattet, sie zu lesen, was freilich nicht immer der ergötzlichste Zeitver¬
treib war. Friedrich Spielhagen, Julius Wolff und Paul Lindau sind die
Namen der drei Schriftsteller. Gemeinsam sind ihnen nur ganz äußerliche Eigen¬
schaften: sie leben alle drei in Berlin, sie gehören, jeder in seinem Kreise, zu
den sogenannten beliebten Schriftstellern, sie haben jeder eine mehr oder minder
verdienstliche litterarische Vergangenheit, und sie lassen alle drei ihre Romnue,
bevor sie in Buchform erscheinen, fortsetzungsweise in einem oder mehreren
Tagesblättern drucken, wie das jetzt aus Geschäftsrücksichten allgemein geübt wird.
Im übrigen sind die drei Verfasser so verschieden geartet, als nur möglich: ver¬
schieden im Naturell, in der Tendenz, in der Technik. Aber diese Verschieden¬
heit hat uns gerade interessirt, denn die Erkenntnis derselben förderte die
Erkenntnis jeder einzelnen Erscheinung, ebenso wie sie Einsicht in die Mannich-


Neue Romane,

in den Jahren 1728 und 1729 gebracht hatte. In dem letzter» führte ein um
ein Jahr jüngerer Landsmann, der nach seinen Studien und groben Reisen sich in
Frankfurt niedergelassen hatte, die vierte Tochter Lindheimers, Katharina Sibhlla,
als Gattin heim. Johann Michael von Lom, im Besitze eines bedeutenden Ver¬
mögens, reicher Kunst- und Büchersammlungen und weiter Welterfahrung, bildete
in Frankfurt den Mittelpunkt eines gediegenen Gesellschaftslebens, während er für
sich feine Betrachtungen über das Wahre und Gute unablässig verfolgte und das
Ideal eines tugendhaften Christen und Weltbürgers immer lebendiger sich aus¬
bildete. War auch Textors Thätigkeit und Sinnen mehr auf das wirkliche
Leben gerichtet, so fehlte es doch nicht an Berührungspunkten mit seinem reich¬
gebildeten Schwager, besonders in der Verwerfung alles den Geist der Religion
verzerrenden Gezänkes der Schriftgelehrten und des mystischen Pietismus, der
zu Frankfurt als Nachwirkung Speners unter verschiednen Formen sich breit
machte. (Fortsetzung folgt.)




Neue Romane.

cute wollen wir über die jüngsten Romane von drei Schrift¬
stellern Bericht erstatten, die sich alle aus denselben bekannten
Gründen gemüßigt sehen, alljährlich dem deutsche» Lesepubliknm
ein neues Buch vorzulegen. Der Zufall — nicht der Verleger —
hat sie uns in die Hände gespielt, und eine günstige Mußestnnde
hat uns gestattet, sie zu lesen, was freilich nicht immer der ergötzlichste Zeitver¬
treib war. Friedrich Spielhagen, Julius Wolff und Paul Lindau sind die
Namen der drei Schriftsteller. Gemeinsam sind ihnen nur ganz äußerliche Eigen¬
schaften: sie leben alle drei in Berlin, sie gehören, jeder in seinem Kreise, zu
den sogenannten beliebten Schriftstellern, sie haben jeder eine mehr oder minder
verdienstliche litterarische Vergangenheit, und sie lassen alle drei ihre Romnue,
bevor sie in Buchform erscheinen, fortsetzungsweise in einem oder mehreren
Tagesblättern drucken, wie das jetzt aus Geschäftsrücksichten allgemein geübt wird.
Im übrigen sind die drei Verfasser so verschieden geartet, als nur möglich: ver¬
schieden im Naturell, in der Tendenz, in der Technik. Aber diese Verschieden¬
heit hat uns gerade interessirt, denn die Erkenntnis derselben förderte die
Erkenntnis jeder einzelnen Erscheinung, ebenso wie sie Einsicht in die Mannich-


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[0232] Neue Romane, in den Jahren 1728 und 1729 gebracht hatte. In dem letzter» führte ein um ein Jahr jüngerer Landsmann, der nach seinen Studien und groben Reisen sich in Frankfurt niedergelassen hatte, die vierte Tochter Lindheimers, Katharina Sibhlla, als Gattin heim. Johann Michael von Lom, im Besitze eines bedeutenden Ver¬ mögens, reicher Kunst- und Büchersammlungen und weiter Welterfahrung, bildete in Frankfurt den Mittelpunkt eines gediegenen Gesellschaftslebens, während er für sich feine Betrachtungen über das Wahre und Gute unablässig verfolgte und das Ideal eines tugendhaften Christen und Weltbürgers immer lebendiger sich aus¬ bildete. War auch Textors Thätigkeit und Sinnen mehr auf das wirkliche Leben gerichtet, so fehlte es doch nicht an Berührungspunkten mit seinem reich¬ gebildeten Schwager, besonders in der Verwerfung alles den Geist der Religion verzerrenden Gezänkes der Schriftgelehrten und des mystischen Pietismus, der zu Frankfurt als Nachwirkung Speners unter verschiednen Formen sich breit machte. (Fortsetzung folgt.) Neue Romane. cute wollen wir über die jüngsten Romane von drei Schrift¬ stellern Bericht erstatten, die sich alle aus denselben bekannten Gründen gemüßigt sehen, alljährlich dem deutsche» Lesepubliknm ein neues Buch vorzulegen. Der Zufall — nicht der Verleger — hat sie uns in die Hände gespielt, und eine günstige Mußestnnde hat uns gestattet, sie zu lesen, was freilich nicht immer der ergötzlichste Zeitver¬ treib war. Friedrich Spielhagen, Julius Wolff und Paul Lindau sind die Namen der drei Schriftsteller. Gemeinsam sind ihnen nur ganz äußerliche Eigen¬ schaften: sie leben alle drei in Berlin, sie gehören, jeder in seinem Kreise, zu den sogenannten beliebten Schriftstellern, sie haben jeder eine mehr oder minder verdienstliche litterarische Vergangenheit, und sie lassen alle drei ihre Romnue, bevor sie in Buchform erscheinen, fortsetzungsweise in einem oder mehreren Tagesblättern drucken, wie das jetzt aus Geschäftsrücksichten allgemein geübt wird. Im übrigen sind die drei Verfasser so verschieden geartet, als nur möglich: ver¬ schieden im Naturell, in der Tendenz, in der Technik. Aber diese Verschieden¬ heit hat uns gerade interessirt, denn die Erkenntnis derselben förderte die Erkenntnis jeder einzelnen Erscheinung, ebenso wie sie Einsicht in die Mannich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/232>, abgerufen am 27.07.2024.