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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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vierter Brief.
von dem moralischen und intellektuellen werte des Herrn Combes.

Gewisse Krankheiten verlangen eine Physische, gewisse eine moralische Auf¬
rüttelung der Patienten. Bei Ihnen, Herr Combes, scheint mir die letztere
Behandlung angebrachter. Doch ehe wir zur eigentlichen schmerzhaften Kur
schreiten, gestatten Sie mir einige Bemerkungen, die zur Sache gehören.

Sie werden sich natürlich darüber beklagen, daß ich Sie zu schlecht behandelt
hätte. Nicht doch, Herr Combes. Ich habe keine Waffe gebraucht, die Sie
nicht zuvor gebraucht hätten. Sie können sich verteidigen; die von Ihnen An¬
gegriffenen können es zumeist nicht mehr. Und obgleich es auf litterarischem
Gebiete noch immer keine Genfer Konvention giebt, habe ich die vergifteten Waffen
Ihres Arsenals nicht angewendet, weil ich sie nicht Ihrer, aber meiner für
unwürdig hielt. Der Kampf, den ich kämpfte, sollte rein sein und bleiben:
einen frechen Eindringling wollte ich aus den heiligen Hallen unsrer Litteratur --
an die Luft zu setzen.

Mit diesem an die Luft gesetzten habe ich es jetzt zu thu". Was ist es doch
für ein Mann?

Was wir Deutsche bekämpfen, das sollen wir geistig überwunden haben.
So verlangt es unsre schwerfällige Manier. So ist es mir z. B, Herr Combes,
mit Ihrem Buche gegangen; ich hatte es geistig überwunden, noch ehe es ge¬
schrieben war. Sie aber haben sich augenscheinlich nicht die Mühe gegeben,
das Deutschtum gründlich kennen zu lernen, und bekämpfen es doch! El el!
lieber Herr; da muß ich Sie vor ein litterarisches Ehrengericht stellen, das
schonend, aber gerecht mit Ihnen umgehen soll.

Ich bin der Ankläger und sage: Wenn ein Mann beweist, daß er für
Schiller und Goethe und überhaupt für die klassische Litteratur der Deutschen
ein eindringendes Verständnis besitzt, so kann man annehmen, daß er auch das
übrige vollkommen bewältigen werde. Goethe ist so eigenartig deutsch, daß
der Franzose, der ihn erfassen will, zuvor sein ganzes Galliertum aufgegeben
haben muß. Er hätte dadurch bewiesen, daß er vollauf imstande ist, sins ira
et stuciio, rein wissenschaftlich zu arbeiten.

Ihr Verteidiger giebt mir das unmittelbar zu.

Oder aber, fahre ich fort, er ist nicht mit eigner Kraft in den Goethe
eingedrungen. Er fand eine Reihe guter Vorarbeiten, deutscher und französischer,
und spricht nach, was Sie vorsagen. Das Verständnis der übrigen Partien
der Litteratur bleibt ihm verschlossen, eben weil es ihm an eigner Kraft gebricht.

Ihr Verteidiger wehrt lächelnd ab. Und nun habe ich diesen schlechten
Verteidiger da, wo ich ihn haben wollte. Den" besitzt einer die Fähigkeit, das
schwierigste zu verstehen, und hat das Leichtere augenscheinlich nicht verstanden,
dann hat er dieses nicht verstehe" wollen. Dann hat er am Ende gar nicht


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vierter Brief.
von dem moralischen und intellektuellen werte des Herrn Combes.

Gewisse Krankheiten verlangen eine Physische, gewisse eine moralische Auf¬
rüttelung der Patienten. Bei Ihnen, Herr Combes, scheint mir die letztere
Behandlung angebrachter. Doch ehe wir zur eigentlichen schmerzhaften Kur
schreiten, gestatten Sie mir einige Bemerkungen, die zur Sache gehören.

Sie werden sich natürlich darüber beklagen, daß ich Sie zu schlecht behandelt
hätte. Nicht doch, Herr Combes. Ich habe keine Waffe gebraucht, die Sie
nicht zuvor gebraucht hätten. Sie können sich verteidigen; die von Ihnen An¬
gegriffenen können es zumeist nicht mehr. Und obgleich es auf litterarischem
Gebiete noch immer keine Genfer Konvention giebt, habe ich die vergifteten Waffen
Ihres Arsenals nicht angewendet, weil ich sie nicht Ihrer, aber meiner für
unwürdig hielt. Der Kampf, den ich kämpfte, sollte rein sein und bleiben:
einen frechen Eindringling wollte ich aus den heiligen Hallen unsrer Litteratur —
an die Luft zu setzen.

Mit diesem an die Luft gesetzten habe ich es jetzt zu thu». Was ist es doch
für ein Mann?

Was wir Deutsche bekämpfen, das sollen wir geistig überwunden haben.
So verlangt es unsre schwerfällige Manier. So ist es mir z. B, Herr Combes,
mit Ihrem Buche gegangen; ich hatte es geistig überwunden, noch ehe es ge¬
schrieben war. Sie aber haben sich augenscheinlich nicht die Mühe gegeben,
das Deutschtum gründlich kennen zu lernen, und bekämpfen es doch! El el!
lieber Herr; da muß ich Sie vor ein litterarisches Ehrengericht stellen, das
schonend, aber gerecht mit Ihnen umgehen soll.

Ich bin der Ankläger und sage: Wenn ein Mann beweist, daß er für
Schiller und Goethe und überhaupt für die klassische Litteratur der Deutschen
ein eindringendes Verständnis besitzt, so kann man annehmen, daß er auch das
übrige vollkommen bewältigen werde. Goethe ist so eigenartig deutsch, daß
der Franzose, der ihn erfassen will, zuvor sein ganzes Galliertum aufgegeben
haben muß. Er hätte dadurch bewiesen, daß er vollauf imstande ist, sins ira
et stuciio, rein wissenschaftlich zu arbeiten.

Ihr Verteidiger giebt mir das unmittelbar zu.

Oder aber, fahre ich fort, er ist nicht mit eigner Kraft in den Goethe
eingedrungen. Er fand eine Reihe guter Vorarbeiten, deutscher und französischer,
und spricht nach, was Sie vorsagen. Das Verständnis der übrigen Partien
der Litteratur bleibt ihm verschlossen, eben weil es ihm an eigner Kraft gebricht.

Ihr Verteidiger wehrt lächelnd ab. Und nun habe ich diesen schlechten
Verteidiger da, wo ich ihn haben wollte. Den» besitzt einer die Fähigkeit, das
schwierigste zu verstehen, und hat das Leichtere augenscheinlich nicht verstanden,
dann hat er dieses nicht verstehe» wollen. Dann hat er am Ende gar nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/186>, abgerufen am 13.11.2024.