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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Fremde Einflüsse im Reiche.

le "Kanzlerkrisis," d. h. die Frage, ob Bismarck oder ob der Batten-
bcrger in maßgebenden Kreisen schwerer wiegen wird, dauert,
nachdem sie scheinbar plötzlich über uns hereingebrochen ist, in
dem Augenblicke, in welchem wir schreiben, noch fort. Die Lösung
der Frage, die, genauer bezeichnet, dahin geht, ob der Exhospodar
von Bulgarien nach dem Willen und auf Betreiben der Königin von England
in die hohenzollernsche Dynastie, das deutsche Kaiserhaus, hineinheiraten soll,
obwohl der Reichskanzler es dringend widerraten hat und bei Nichtbeachtung
der von ihm dagegen geltend gemachten Gründe seine bisherige Stellung nicht
wohl weiter ausfüllen kann, ist zwar aufgeschoben worden, aber noch nicht so
weit vorgerückt, daß mit Bestimmtheit ein Ausgang zu hoffen wäre, wie ihn
patriotische Herzen ersehnen. Inzwischen ist die Angelegenheit in der Presse
mehrfach mißverstanden oder absichtlich verdunkelt und ihres eigentlichen Cha¬
rakters entkleidet worden. Ein Beispiel liegt uns in der lines vor, in welcher
wir vor einigen Tagen lasen: "Fürst Bismarck mag wohl mit einiger Be¬
sorgnis auf die Möglichkeit blicken, daß ein Schwiegersohn des deutschen Kaisers
und eine vom Zaren gehaßte Persönlichkeit eine starke Stellung in einem Lande
einnimmt, welches Europa bereits an den Rand des Krieges gebracht hat. Kaiser
Friedrich ist jedoch mindestens ein gleich aufrichtiger Freund des Friedens wie
Fürst Bismarck und vollständig befähigt, die Folgen abzumessen, die sich aus
der Heirat seiner Tochter ergeben können." Er wisse, so meint das Blatt weiter,
sehr wohl, daß es ein vergebliches Bemühen sein würde, Rußlands Wohlwollen
durch Berücksichtigung russischer Wünsche und Vorurteile zu erkaufen; Rußland
werde vielmehr Deutschland gegenüber seine unfreundliche, ja drohende Haltung
bewahren. Überdies könne man über die Wirkung, welche die etwaige Berufung


Grenzboten II. 1838. 20


Fremde Einflüsse im Reiche.

le „Kanzlerkrisis," d. h. die Frage, ob Bismarck oder ob der Batten-
bcrger in maßgebenden Kreisen schwerer wiegen wird, dauert,
nachdem sie scheinbar plötzlich über uns hereingebrochen ist, in
dem Augenblicke, in welchem wir schreiben, noch fort. Die Lösung
der Frage, die, genauer bezeichnet, dahin geht, ob der Exhospodar
von Bulgarien nach dem Willen und auf Betreiben der Königin von England
in die hohenzollernsche Dynastie, das deutsche Kaiserhaus, hineinheiraten soll,
obwohl der Reichskanzler es dringend widerraten hat und bei Nichtbeachtung
der von ihm dagegen geltend gemachten Gründe seine bisherige Stellung nicht
wohl weiter ausfüllen kann, ist zwar aufgeschoben worden, aber noch nicht so
weit vorgerückt, daß mit Bestimmtheit ein Ausgang zu hoffen wäre, wie ihn
patriotische Herzen ersehnen. Inzwischen ist die Angelegenheit in der Presse
mehrfach mißverstanden oder absichtlich verdunkelt und ihres eigentlichen Cha¬
rakters entkleidet worden. Ein Beispiel liegt uns in der lines vor, in welcher
wir vor einigen Tagen lasen: „Fürst Bismarck mag wohl mit einiger Be¬
sorgnis auf die Möglichkeit blicken, daß ein Schwiegersohn des deutschen Kaisers
und eine vom Zaren gehaßte Persönlichkeit eine starke Stellung in einem Lande
einnimmt, welches Europa bereits an den Rand des Krieges gebracht hat. Kaiser
Friedrich ist jedoch mindestens ein gleich aufrichtiger Freund des Friedens wie
Fürst Bismarck und vollständig befähigt, die Folgen abzumessen, die sich aus
der Heirat seiner Tochter ergeben können." Er wisse, so meint das Blatt weiter,
sehr wohl, daß es ein vergebliches Bemühen sein würde, Rußlands Wohlwollen
durch Berücksichtigung russischer Wünsche und Vorurteile zu erkaufen; Rußland
werde vielmehr Deutschland gegenüber seine unfreundliche, ja drohende Haltung
bewahren. Überdies könne man über die Wirkung, welche die etwaige Berufung


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[0161] [Abbildung] Fremde Einflüsse im Reiche. le „Kanzlerkrisis," d. h. die Frage, ob Bismarck oder ob der Batten- bcrger in maßgebenden Kreisen schwerer wiegen wird, dauert, nachdem sie scheinbar plötzlich über uns hereingebrochen ist, in dem Augenblicke, in welchem wir schreiben, noch fort. Die Lösung der Frage, die, genauer bezeichnet, dahin geht, ob der Exhospodar von Bulgarien nach dem Willen und auf Betreiben der Königin von England in die hohenzollernsche Dynastie, das deutsche Kaiserhaus, hineinheiraten soll, obwohl der Reichskanzler es dringend widerraten hat und bei Nichtbeachtung der von ihm dagegen geltend gemachten Gründe seine bisherige Stellung nicht wohl weiter ausfüllen kann, ist zwar aufgeschoben worden, aber noch nicht so weit vorgerückt, daß mit Bestimmtheit ein Ausgang zu hoffen wäre, wie ihn patriotische Herzen ersehnen. Inzwischen ist die Angelegenheit in der Presse mehrfach mißverstanden oder absichtlich verdunkelt und ihres eigentlichen Cha¬ rakters entkleidet worden. Ein Beispiel liegt uns in der lines vor, in welcher wir vor einigen Tagen lasen: „Fürst Bismarck mag wohl mit einiger Be¬ sorgnis auf die Möglichkeit blicken, daß ein Schwiegersohn des deutschen Kaisers und eine vom Zaren gehaßte Persönlichkeit eine starke Stellung in einem Lande einnimmt, welches Europa bereits an den Rand des Krieges gebracht hat. Kaiser Friedrich ist jedoch mindestens ein gleich aufrichtiger Freund des Friedens wie Fürst Bismarck und vollständig befähigt, die Folgen abzumessen, die sich aus der Heirat seiner Tochter ergeben können." Er wisse, so meint das Blatt weiter, sehr wohl, daß es ein vergebliches Bemühen sein würde, Rußlands Wohlwollen durch Berücksichtigung russischer Wünsche und Vorurteile zu erkaufen; Rußland werde vielmehr Deutschland gegenüber seine unfreundliche, ja drohende Haltung bewahren. Überdies könne man über die Wirkung, welche die etwaige Berufung Grenzboten II. 1838. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/161>, abgerufen am 13.11.2024.