Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. 2. Richard Wagner und Aufregung. n einem Sommerabend saß in einem thüringischen Badeorte ein Daran ward ich erinnert, als man in den Blättern im Juli 1885 von Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. 2. Richard Wagner und Aufregung. n einem Sommerabend saß in einem thüringischen Badeorte ein Daran ward ich erinnert, als man in den Blättern im Juli 1885 von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0534" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288987"/> </div> <div n="1"> <head> Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.<lb/> 2. Richard Wagner und Aufregung. </head><lb/> <p xml:id="ID_1525"> n einem Sommerabend saß in einem thüringischen Badeorte ein<lb/> kleiner Kreis, wie er sich an solchen Orten zusammenwürfelt, auf<lb/> dem Bahnhofe vor dem Stationsgebäude, auf den Zug wartend,<lb/> der uns mitnehmen sollte. Es war noch viel Zeit übrig, die es<lb/> zu verplaudern galt. Das Gespräch verfiel aber bald, was ja<lb/> da nicht ebeu oft geschieht, auf wichtige Dinge und wurde eifrig und ernst durch<lb/> die Frage, was denn jetzt die Städter immer mehr und mehr in die Bäder<lb/> treibe. Das nervöse Wesen der Zeit wurde dadurch der Brennpunkt des Ge¬<lb/> spräches mit der Frage, woher denn der Teufel eigentlich stamme, der so viele<lb/> weitere Teufel zeugt, und was dem unnützen Kunden seine Gewalt gerade jetzt<lb/> so steigere. Ich wies dabei auch auf die Richtung hin, in der unsre modische<lb/> Dichtkunst, besonders die Romanliteratur und das Drama, die von den Dichtern<lb/> heiß ersehnte durchschlagende Wirkung suchen: Aufregung statt Beruhigung und<lb/> Abregung, die wir nach der aufregenden Gedankenjagd der Tagesarbeit in dem<lb/> ruhelosen Antreiben des städtischen Lebens brauchen. Man stimmte mir herz¬<lb/> lich bei, eine Dame warf aber dabei ein: Aber auch der vielgepriesene Richard<lb/> Wagner, den manche schon vergöttern, giebt doch mehr Aufregung als Be¬<lb/> ruhigung? Ich konnte nur ja dazu sagen, und niemand widersprach. Es trat<lb/> eine Art befangener Stille ein, als wäre man betroffen, den bedeutenden Geist,<lb/> dessen Einfluß man so wachsen sah, auch auf diesem gefährlichen Pfade zu<lb/> finden, und zwar war das noch vor den eigentlichen Hauptwerken des Meisters,<lb/> als welche sie seine Bekenner bezeichnen, im Jahre 1872 oder 1873. Eigen<lb/> war es dabei, daß wir dann mit einem wohlthuenden Gefühl von Beruhigung<lb/> aufstanden, da wir doch von Unruhe und Aufregung gesprochen hatten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1526" next="#ID_1527"> Daran ward ich erinnert, als man in den Blättern im Juli 1885 von<lb/> einer Aufführung von Tristan und Isolde in Sondershausen las nach einem<lb/> Bericht der Nordhäuser Zeitung. Da stand u. a.: „Welche Anstrengung mag<lb/> dem Tage vorangegangen sein, ein Orchester auf solche Höhe zu bringen, daß<lb/> es alle Momente der menschlichen Leidenschaft so sinnberauschend und sinn¬<lb/> bestrickend veranschaulicht" u. s. w.; dann: „Das ganze Musikdrama hält den<lb/> Zuschauer in fortwährender, mitunter fieberhafter Spannung und Aufregung.<lb/> Und ob ein Zwiegesang (nicht Duett) länger als eine halbe Stunde ohne jede<lb/> Abwechslung durch Chöre dahinzieht, alle Nerven sind erregt, man wird nicht<lb/> müde, man ist gezwungen zu hören. Denn sowie man glaubt, die Musik be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0534]
Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.
2. Richard Wagner und Aufregung.
n einem Sommerabend saß in einem thüringischen Badeorte ein
kleiner Kreis, wie er sich an solchen Orten zusammenwürfelt, auf
dem Bahnhofe vor dem Stationsgebäude, auf den Zug wartend,
der uns mitnehmen sollte. Es war noch viel Zeit übrig, die es
zu verplaudern galt. Das Gespräch verfiel aber bald, was ja
da nicht ebeu oft geschieht, auf wichtige Dinge und wurde eifrig und ernst durch
die Frage, was denn jetzt die Städter immer mehr und mehr in die Bäder
treibe. Das nervöse Wesen der Zeit wurde dadurch der Brennpunkt des Ge¬
spräches mit der Frage, woher denn der Teufel eigentlich stamme, der so viele
weitere Teufel zeugt, und was dem unnützen Kunden seine Gewalt gerade jetzt
so steigere. Ich wies dabei auch auf die Richtung hin, in der unsre modische
Dichtkunst, besonders die Romanliteratur und das Drama, die von den Dichtern
heiß ersehnte durchschlagende Wirkung suchen: Aufregung statt Beruhigung und
Abregung, die wir nach der aufregenden Gedankenjagd der Tagesarbeit in dem
ruhelosen Antreiben des städtischen Lebens brauchen. Man stimmte mir herz¬
lich bei, eine Dame warf aber dabei ein: Aber auch der vielgepriesene Richard
Wagner, den manche schon vergöttern, giebt doch mehr Aufregung als Be¬
ruhigung? Ich konnte nur ja dazu sagen, und niemand widersprach. Es trat
eine Art befangener Stille ein, als wäre man betroffen, den bedeutenden Geist,
dessen Einfluß man so wachsen sah, auch auf diesem gefährlichen Pfade zu
finden, und zwar war das noch vor den eigentlichen Hauptwerken des Meisters,
als welche sie seine Bekenner bezeichnen, im Jahre 1872 oder 1873. Eigen
war es dabei, daß wir dann mit einem wohlthuenden Gefühl von Beruhigung
aufstanden, da wir doch von Unruhe und Aufregung gesprochen hatten.
Daran ward ich erinnert, als man in den Blättern im Juli 1885 von
einer Aufführung von Tristan und Isolde in Sondershausen las nach einem
Bericht der Nordhäuser Zeitung. Da stand u. a.: „Welche Anstrengung mag
dem Tage vorangegangen sein, ein Orchester auf solche Höhe zu bringen, daß
es alle Momente der menschlichen Leidenschaft so sinnberauschend und sinn¬
bestrickend veranschaulicht" u. s. w.; dann: „Das ganze Musikdrama hält den
Zuschauer in fortwährender, mitunter fieberhafter Spannung und Aufregung.
Und ob ein Zwiegesang (nicht Duett) länger als eine halbe Stunde ohne jede
Abwechslung durch Chöre dahinzieht, alle Nerven sind erregt, man wird nicht
müde, man ist gezwungen zu hören. Denn sowie man glaubt, die Musik be-
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