Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entartung des Konstitutionalismus.

<Ma mois!

es werde für das Septenmt sti.unen. weil ich das Vertrauen
zu Autoritäten noch nicht verloren habe! So, oder wenigstens
in diesem Sinne, äußerte sich kürzlich der Ne.chstagskandidat
meines Wahlkreises in einer Rede, die er bei seiner Rundreise
^in demjenigen Landstädtchen hielt, in welchem ich meinen be¬
scheidnen Herd aufgeschlagen habe. Als der Mann dieses Wort aussprach hat
er wohl schwerlich daran gedacht, daß er damit einen wunden Punkt berührte,
von welchem aus der Menschheit unsrer Tage die sehr ernste Gefahr einer ganz
eigentümlichen geistigen Korruption immer erkennbarer cntgegendroht und e^verlohnt sich der Mühe die Sonde einmal mit der Kaltblütigkeit des Forschers
i" diese Wunde zu senken, unbekümmert um das Geschrei des Leidenden

Es ist ja gewiß etwas Schönes um das Erringen einer eignen klaren Einsicht
in eine Sache durch selbständige Studien; etwas äußerst Gefährliches aber ist es.
die Massen - uuter denen ich hier keineswegs nur die urteilslose Menge, sondern
auch den einsichtsvollen Teil des Volkes mit verstanden wissen will ^ ""wer
und immer wieder darauf hinzuweisen, daß jeder bei jeder Frage des Lebens
mag diese auf politischem oder auf welchem Gebiete immer gestellt werden auch
eine eigne Meinung haben und. nicht genug damit, dieselbe auch allenthalben
..unentwegt" bethätigen und verfechten müsse. In unsrer schnelllcb.geu Ze t
v°it ruheloser Kulturarbeit und ungelöster, aber zur Lösung drängender Aus¬
gaben, wo die Masse desjenigen, was der Einzelne zu bewältigen und bei sich
SU verarbeiten hat. um in seinem besondern Wirkungskreise tüchtig zu em.
immer mächtiger anschwillt, wo es nur ganz besonders gottbegnadeter Köpfen
noch vorbehalten ist mit klarem Blicke vielerlei zu beherrsche", d.e große Menge
aber sich mit zwingender Notwendigkeit immer mehr in ein Konglomerat von
Spezialisten auflösen muß - da thäte es im Gegenteil not. bei jeder that gen
Einmischung in einen fremden Wirkungskreis mit der allergrößten Vorsicht
^ Werke zu gehen und diese überall da. wo es an genügender Vorbereitung
fehlt, lieber ganz zu unterlassen.

...
Mag jeder von dem. was der andre treibt, sich ein allgemeines Bild ver-
schaffen, jeder vom andern zu lernen suchen, so viel er kann - ^um anvers
er das zu ermöglichen vermag, ohne seinen eignen Beruf zu vernachlässigen .
es wird dies nur .Mich sein; mag aber jeder sich wohl Hüten in den K eis
des andern selbstbestimmend mit eingreifen zu wollen, wo er M """e-
fangener Selbstprüfung sagen muß: du bist der Sache nicht mächtig'. Mag er


Die Entartung des Konstitutionalismus.

<Ma mois!

es werde für das Septenmt sti.unen. weil ich das Vertrauen
zu Autoritäten noch nicht verloren habe! So, oder wenigstens
in diesem Sinne, äußerte sich kürzlich der Ne.chstagskandidat
meines Wahlkreises in einer Rede, die er bei seiner Rundreise
^in demjenigen Landstädtchen hielt, in welchem ich meinen be¬
scheidnen Herd aufgeschlagen habe. Als der Mann dieses Wort aussprach hat
er wohl schwerlich daran gedacht, daß er damit einen wunden Punkt berührte,
von welchem aus der Menschheit unsrer Tage die sehr ernste Gefahr einer ganz
eigentümlichen geistigen Korruption immer erkennbarer cntgegendroht und e^verlohnt sich der Mühe die Sonde einmal mit der Kaltblütigkeit des Forschers
i" diese Wunde zu senken, unbekümmert um das Geschrei des Leidenden

Es ist ja gewiß etwas Schönes um das Erringen einer eignen klaren Einsicht
in eine Sache durch selbständige Studien; etwas äußerst Gefährliches aber ist es.
die Massen - uuter denen ich hier keineswegs nur die urteilslose Menge, sondern
auch den einsichtsvollen Teil des Volkes mit verstanden wissen will ^ ""wer
und immer wieder darauf hinzuweisen, daß jeder bei jeder Frage des Lebens
mag diese auf politischem oder auf welchem Gebiete immer gestellt werden auch
eine eigne Meinung haben und. nicht genug damit, dieselbe auch allenthalben
..unentwegt" bethätigen und verfechten müsse. In unsrer schnelllcb.geu Ze t
v°it ruheloser Kulturarbeit und ungelöster, aber zur Lösung drängender Aus¬
gaben, wo die Masse desjenigen, was der Einzelne zu bewältigen und bei sich
SU verarbeiten hat. um in seinem besondern Wirkungskreise tüchtig zu em.
immer mächtiger anschwillt, wo es nur ganz besonders gottbegnadeter Köpfen
noch vorbehalten ist mit klarem Blicke vielerlei zu beherrsche», d.e große Menge
aber sich mit zwingender Notwendigkeit immer mehr in ein Konglomerat von
Spezialisten auflösen muß - da thäte es im Gegenteil not. bei jeder that gen
Einmischung in einen fremden Wirkungskreis mit der allergrößten Vorsicht
^ Werke zu gehen und diese überall da. wo es an genügender Vorbereitung
fehlt, lieber ganz zu unterlassen.

...
Mag jeder von dem. was der andre treibt, sich ein allgemeines Bild ver-
schaffen, jeder vom andern zu lernen suchen, so viel er kann - ^um anvers
er das zu ermöglichen vermag, ohne seinen eignen Beruf zu vernachlässigen .
es wird dies nur .Mich sein; mag aber jeder sich wohl Hüten in den K eis
des andern selbstbestimmend mit eingreifen zu wollen, wo er M »"»e-
fangener Selbstprüfung sagen muß: du bist der Sache nicht mächtig'. Mag er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0423" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288876"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Entartung des Konstitutionalismus.</head><lb/>
          <quote type="epigraph"> &lt;Ma mois!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1189"> es werde für das Septenmt sti.unen. weil ich das Vertrauen<lb/>
zu Autoritäten noch nicht verloren habe! So, oder wenigstens<lb/>
in diesem Sinne, äußerte sich kürzlich der Ne.chstagskandidat<lb/>
meines Wahlkreises in einer Rede, die er bei seiner Rundreise<lb/>
^in demjenigen Landstädtchen hielt, in welchem ich meinen be¬<lb/>
scheidnen Herd aufgeschlagen habe. Als der Mann dieses Wort aussprach hat<lb/>
er wohl schwerlich daran gedacht, daß er damit einen wunden Punkt berührte,<lb/>
von welchem aus der Menschheit unsrer Tage die sehr ernste Gefahr einer ganz<lb/>
eigentümlichen geistigen Korruption immer erkennbarer cntgegendroht und e^verlohnt sich der Mühe die Sonde einmal mit der Kaltblütigkeit des Forschers<lb/>
i" diese Wunde zu senken, unbekümmert um das Geschrei des Leidenden</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1190"> Es ist ja gewiß etwas Schönes um das Erringen einer eignen klaren Einsicht<lb/>
in eine Sache durch selbständige Studien; etwas äußerst Gefährliches aber ist es.<lb/>
die Massen - uuter denen ich hier keineswegs nur die urteilslose Menge, sondern<lb/>
auch den einsichtsvollen Teil des Volkes mit verstanden wissen will ^ ""wer<lb/>
und immer wieder darauf hinzuweisen, daß jeder bei jeder Frage des Lebens<lb/>
mag diese auf politischem oder auf welchem Gebiete immer gestellt werden auch<lb/>
eine eigne Meinung haben und. nicht genug damit, dieselbe auch allenthalben<lb/>
..unentwegt" bethätigen und verfechten müsse. In unsrer schnelllcb.geu Ze t<lb/>
v°it ruheloser Kulturarbeit und ungelöster, aber zur Lösung drängender Aus¬<lb/>
gaben, wo die Masse desjenigen, was der Einzelne zu bewältigen und bei sich<lb/>
SU verarbeiten hat. um in seinem besondern Wirkungskreise tüchtig zu em.<lb/>
immer mächtiger anschwillt, wo es nur ganz besonders gottbegnadeter Köpfen<lb/>
noch vorbehalten ist mit klarem Blicke vielerlei zu beherrsche», d.e große Menge<lb/>
aber sich mit zwingender Notwendigkeit immer mehr in ein Konglomerat von<lb/>
Spezialisten auflösen muß - da thäte es im Gegenteil not. bei jeder that gen<lb/>
Einmischung in einen fremden Wirkungskreis mit der allergrößten Vorsicht<lb/>
^ Werke zu gehen und diese überall da. wo es an genügender Vorbereitung<lb/>
fehlt, lieber ganz zu unterlassen. </p><lb/>
          <p xml:id="ID_1191" next="#ID_1192"> ...<lb/>
Mag jeder von dem. was der andre treibt, sich ein allgemeines Bild ver-<lb/>
schaffen, jeder vom andern zu lernen suchen, so viel er kann - ^um anvers<lb/>
er das zu ermöglichen vermag, ohne seinen eignen Beruf zu vernachlässigen .<lb/>
es wird dies nur .Mich sein; mag aber jeder sich wohl Hüten in den K eis<lb/>
des andern selbstbestimmend mit eingreifen zu wollen, wo er M »"»e-<lb/>
fangener Selbstprüfung sagen muß: du bist der Sache nicht mächtig'. Mag er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0423] Die Entartung des Konstitutionalismus. <Ma mois! es werde für das Septenmt sti.unen. weil ich das Vertrauen zu Autoritäten noch nicht verloren habe! So, oder wenigstens in diesem Sinne, äußerte sich kürzlich der Ne.chstagskandidat meines Wahlkreises in einer Rede, die er bei seiner Rundreise ^in demjenigen Landstädtchen hielt, in welchem ich meinen be¬ scheidnen Herd aufgeschlagen habe. Als der Mann dieses Wort aussprach hat er wohl schwerlich daran gedacht, daß er damit einen wunden Punkt berührte, von welchem aus der Menschheit unsrer Tage die sehr ernste Gefahr einer ganz eigentümlichen geistigen Korruption immer erkennbarer cntgegendroht und e^verlohnt sich der Mühe die Sonde einmal mit der Kaltblütigkeit des Forschers i" diese Wunde zu senken, unbekümmert um das Geschrei des Leidenden Es ist ja gewiß etwas Schönes um das Erringen einer eignen klaren Einsicht in eine Sache durch selbständige Studien; etwas äußerst Gefährliches aber ist es. die Massen - uuter denen ich hier keineswegs nur die urteilslose Menge, sondern auch den einsichtsvollen Teil des Volkes mit verstanden wissen will ^ ""wer und immer wieder darauf hinzuweisen, daß jeder bei jeder Frage des Lebens mag diese auf politischem oder auf welchem Gebiete immer gestellt werden auch eine eigne Meinung haben und. nicht genug damit, dieselbe auch allenthalben ..unentwegt" bethätigen und verfechten müsse. In unsrer schnelllcb.geu Ze t v°it ruheloser Kulturarbeit und ungelöster, aber zur Lösung drängender Aus¬ gaben, wo die Masse desjenigen, was der Einzelne zu bewältigen und bei sich SU verarbeiten hat. um in seinem besondern Wirkungskreise tüchtig zu em. immer mächtiger anschwillt, wo es nur ganz besonders gottbegnadeter Köpfen noch vorbehalten ist mit klarem Blicke vielerlei zu beherrsche», d.e große Menge aber sich mit zwingender Notwendigkeit immer mehr in ein Konglomerat von Spezialisten auflösen muß - da thäte es im Gegenteil not. bei jeder that gen Einmischung in einen fremden Wirkungskreis mit der allergrößten Vorsicht ^ Werke zu gehen und diese überall da. wo es an genügender Vorbereitung fehlt, lieber ganz zu unterlassen. ... Mag jeder von dem. was der andre treibt, sich ein allgemeines Bild ver- schaffen, jeder vom andern zu lernen suchen, so viel er kann - ^um anvers er das zu ermöglichen vermag, ohne seinen eignen Beruf zu vernachlässigen . es wird dies nur .Mich sein; mag aber jeder sich wohl Hüten in den K eis des andern selbstbestimmend mit eingreifen zu wollen, wo er M »"»e- fangener Selbstprüfung sagen muß: du bist der Sache nicht mächtig'. Mag er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/423
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/423>, abgerufen am 17.09.2024.