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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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parlamentarisches aus Österreich.

le "Gewissensehe," die seit sechs oder sieben Jahren offenkundig
zwischen dem Ministerium und der Reichsratsmehrheit bestand,
aber beharrlich nur für ein freundschaftliches Verhältnis ausge-
gegeben wurde, ist durch feierliche Erklärungen des Minister¬
präsidenten und des Finanzministers zur legitimen Verbindung
geworden. Es ist müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum gerade
jetzt mit diesen Erklärungen hervorgetreten wurde, und um nichts fruchtbarer,
die Widersprüche zwischen dieser und frühern Kundgebungen hervorzuheben. Ohne
Zweifel glaubte Graf Taaffc, als er sein erstes Kabinet aus Mitgliedern ver-
schiedner Parteien zusammensetzte, wirklich an die Möglichkeit, sich "über den
Parteien" zu halten; und wenn er sich auch bald überzeugen mußte, daß das
bei dem parlamentarischen System unmöglich sei, hatte er aller Wahrscheinlich¬
keit nach triftige Gründe, seinen Irrtum nicht einzugestehen. Er sollte und
wollte die Tschechen vermögen, sich wieder an der verfassungsmäßigen Thätig¬
keit zu beteiligen, aber dahin ging sein Auftrag nicht, die Slawen zur herr¬
schenden Partei zu machen -- damals gewiß nicht. Auch jetzt erkennt er die
Thatsache nur mit einem Vorbehalt an, die Handhabung der Gesetze soll nach
wie vor "unparteiisch" erfolgen. Daß dieser Nachsatz vou der Opposition nur
mit ironischen Bemerkungen aufgenommen wurde, konnte ihn allerdings nicht
überraschen. Denn die slawische Partei will ja nicht gerecht gegen die Deutschen
sein, nicht in der Gesetzgebung, nicht in der Verwaltung. Wenn auch einzelne
Führer sich einer gewissen Vorsicht in den Äußerungen befleißigen, in den Hand¬
lungen zeigt sich, daß zwischen dem Ziele der Heißsporne und dem ihren kein
Unterschied besteht; nur sind sie klug genug, einzusehen, daß dasselbe nicht in
einem Anlauf erreicht werden kann. Zuerst die Deutschen in Böhmen, Mähren,
Schlesien, Kam, Untcrsteiermark Schritt für Schritt zurückdrängen und Zug
um Zug hinabdrücken, bis sie hilf- und rechtlos wie die Rutheneu in Galizien
sind; gleichzeitig die slawischen Elemente in Kärnten, Jstrien, Dalmatien, Nieder¬
österreich großziehen und stärken, damit "die steigende slawische Flut" von Norden,
Osten und Süden her die kerndeutschen Alpenländer überschwemmen kann: das
klingt abenteuerlich, muß aber der Plan sein, weil sonst nicht zu begreifen wäre,
daß die Jugend aller Stände der Beherrschung der deutschen Sprache beraubt
werden soll. Aus ausschließlich slawischen Volks-, Bürger-, Gewerbeschulen,
Gymnasien, technischen Hochschulen und Universitäten werden bald viel mehr
arbeitsame und "strebsame" Leute hervorgehen, als das böhmische und windische
Reich zusammengenommen auf ihrem zum Teil wenig ergiebigen Boden er-


parlamentarisches aus Österreich.

le „Gewissensehe," die seit sechs oder sieben Jahren offenkundig
zwischen dem Ministerium und der Reichsratsmehrheit bestand,
aber beharrlich nur für ein freundschaftliches Verhältnis ausge-
gegeben wurde, ist durch feierliche Erklärungen des Minister¬
präsidenten und des Finanzministers zur legitimen Verbindung
geworden. Es ist müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum gerade
jetzt mit diesen Erklärungen hervorgetreten wurde, und um nichts fruchtbarer,
die Widersprüche zwischen dieser und frühern Kundgebungen hervorzuheben. Ohne
Zweifel glaubte Graf Taaffc, als er sein erstes Kabinet aus Mitgliedern ver-
schiedner Parteien zusammensetzte, wirklich an die Möglichkeit, sich „über den
Parteien" zu halten; und wenn er sich auch bald überzeugen mußte, daß das
bei dem parlamentarischen System unmöglich sei, hatte er aller Wahrscheinlich¬
keit nach triftige Gründe, seinen Irrtum nicht einzugestehen. Er sollte und
wollte die Tschechen vermögen, sich wieder an der verfassungsmäßigen Thätig¬
keit zu beteiligen, aber dahin ging sein Auftrag nicht, die Slawen zur herr¬
schenden Partei zu machen — damals gewiß nicht. Auch jetzt erkennt er die
Thatsache nur mit einem Vorbehalt an, die Handhabung der Gesetze soll nach
wie vor „unparteiisch" erfolgen. Daß dieser Nachsatz vou der Opposition nur
mit ironischen Bemerkungen aufgenommen wurde, konnte ihn allerdings nicht
überraschen. Denn die slawische Partei will ja nicht gerecht gegen die Deutschen
sein, nicht in der Gesetzgebung, nicht in der Verwaltung. Wenn auch einzelne
Führer sich einer gewissen Vorsicht in den Äußerungen befleißigen, in den Hand¬
lungen zeigt sich, daß zwischen dem Ziele der Heißsporne und dem ihren kein
Unterschied besteht; nur sind sie klug genug, einzusehen, daß dasselbe nicht in
einem Anlauf erreicht werden kann. Zuerst die Deutschen in Böhmen, Mähren,
Schlesien, Kam, Untcrsteiermark Schritt für Schritt zurückdrängen und Zug
um Zug hinabdrücken, bis sie hilf- und rechtlos wie die Rutheneu in Galizien
sind; gleichzeitig die slawischen Elemente in Kärnten, Jstrien, Dalmatien, Nieder¬
österreich großziehen und stärken, damit „die steigende slawische Flut" von Norden,
Osten und Süden her die kerndeutschen Alpenländer überschwemmen kann: das
klingt abenteuerlich, muß aber der Plan sein, weil sonst nicht zu begreifen wäre,
daß die Jugend aller Stände der Beherrschung der deutschen Sprache beraubt
werden soll. Aus ausschließlich slawischen Volks-, Bürger-, Gewerbeschulen,
Gymnasien, technischen Hochschulen und Universitäten werden bald viel mehr
arbeitsame und „strebsame" Leute hervorgehen, als das böhmische und windische
Reich zusammengenommen auf ihrem zum Teil wenig ergiebigen Boden er-


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[0418] parlamentarisches aus Österreich. le „Gewissensehe," die seit sechs oder sieben Jahren offenkundig zwischen dem Ministerium und der Reichsratsmehrheit bestand, aber beharrlich nur für ein freundschaftliches Verhältnis ausge- gegeben wurde, ist durch feierliche Erklärungen des Minister¬ präsidenten und des Finanzministers zur legitimen Verbindung geworden. Es ist müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, warum gerade jetzt mit diesen Erklärungen hervorgetreten wurde, und um nichts fruchtbarer, die Widersprüche zwischen dieser und frühern Kundgebungen hervorzuheben. Ohne Zweifel glaubte Graf Taaffc, als er sein erstes Kabinet aus Mitgliedern ver- schiedner Parteien zusammensetzte, wirklich an die Möglichkeit, sich „über den Parteien" zu halten; und wenn er sich auch bald überzeugen mußte, daß das bei dem parlamentarischen System unmöglich sei, hatte er aller Wahrscheinlich¬ keit nach triftige Gründe, seinen Irrtum nicht einzugestehen. Er sollte und wollte die Tschechen vermögen, sich wieder an der verfassungsmäßigen Thätig¬ keit zu beteiligen, aber dahin ging sein Auftrag nicht, die Slawen zur herr¬ schenden Partei zu machen — damals gewiß nicht. Auch jetzt erkennt er die Thatsache nur mit einem Vorbehalt an, die Handhabung der Gesetze soll nach wie vor „unparteiisch" erfolgen. Daß dieser Nachsatz vou der Opposition nur mit ironischen Bemerkungen aufgenommen wurde, konnte ihn allerdings nicht überraschen. Denn die slawische Partei will ja nicht gerecht gegen die Deutschen sein, nicht in der Gesetzgebung, nicht in der Verwaltung. Wenn auch einzelne Führer sich einer gewissen Vorsicht in den Äußerungen befleißigen, in den Hand¬ lungen zeigt sich, daß zwischen dem Ziele der Heißsporne und dem ihren kein Unterschied besteht; nur sind sie klug genug, einzusehen, daß dasselbe nicht in einem Anlauf erreicht werden kann. Zuerst die Deutschen in Böhmen, Mähren, Schlesien, Kam, Untcrsteiermark Schritt für Schritt zurückdrängen und Zug um Zug hinabdrücken, bis sie hilf- und rechtlos wie die Rutheneu in Galizien sind; gleichzeitig die slawischen Elemente in Kärnten, Jstrien, Dalmatien, Nieder¬ österreich großziehen und stärken, damit „die steigende slawische Flut" von Norden, Osten und Süden her die kerndeutschen Alpenländer überschwemmen kann: das klingt abenteuerlich, muß aber der Plan sein, weil sonst nicht zu begreifen wäre, daß die Jugend aller Stände der Beherrschung der deutschen Sprache beraubt werden soll. Aus ausschließlich slawischen Volks-, Bürger-, Gewerbeschulen, Gymnasien, technischen Hochschulen und Universitäten werden bald viel mehr arbeitsame und „strebsame" Leute hervorgehen, als das böhmische und windische Reich zusammengenommen auf ihrem zum Teil wenig ergiebigen Boden er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/418>, abgerufen am 17.09.2024.