Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung.

Die Tschechen behaupten, ein "Bollwerk" der Monarchie gegen das deutsche
Reich zu sein. Die Ungarn sind, wie sie sagen, selbständig und denken nur an
sich, die Polen hoffen selbständig zu werden, die Slowenen sind zu schwach,
die Deutschen unzuverlässig, die Tschechen allein halten zu Österreich, ohne sie
giebt es kein solches. Und darauf folgt der Schluß: Siehst du, Krone, wir
allein erhalten dich, du lebst von unsrer Gnade, folglich mußt du uns immer
auch zu Willen sein. Darauf ist mit Pierer zu antworten: Seid ihr wirklich
österreichische Patrioten, seid ihr Österreicher erster Klasse, so legt euch dieses
Privilegium auch Pflichten auf, die es euch verbieten, eure nationalen Ansprüche
aus die Spitze zu treiben und damit alle Tage den Widerstand der Deutschen
herauszufordern, sie haben dann Pflichten als Österreicher, aber auch als
nationale Partei, die Pflicht der Mäßigung und die der Vorsicht. "Wenn
Sie den Bogen bis aufs äußerste spannen," so rief Pierer den Tschechen im
Prager Landtage zu, "wenn Sie die Erbitterung des deutschen Volkes immer
und immer wieder reizen, so mögen Sie für kurze Zeit eine große Befriedigung
Ihrer nationalen Eitelkeit, Ihres nationalen Ehrgeizes erfahren, aber Sie werden
die österreichischen Verhältnisse so verwirren, den Staat so unterwühlen und
ihn durch Verstärkung der nationalen Gegensätze so zersetzen, daß eine Kalamität
heraufbeschworen wird, wo sowohl Österreich als die tschechische Nationalität
in der allergrößten Gefahr schweben werden."

Mit dieser Weissagung, die ich unterschreibe, schließe ich die Erörterung
dieser Seite der Frage, um in einem nächsten Briefe, der für jetzt der letzte
sein wird, einen Blick auf die Wirksamkeit des Schulvereins in Böhmen zu
thun, der das andre Hauptmittel der Verteidigung gegen die Tschechen ist und
bessere Erfolge gehabt hat als der Kampf der Deutschen mit parlamentarischen
Waffen.




Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung.
von August Llassen.

MM
"eins geheimnisvollen Zauber empfinden wir nicht, wenn wir eine
Raupe beobachten, wie sie heranwächst und sich einspinnt, um
eine Puppe zu werden, und wie der farbenreiche Schmetterling
aus der Puppe hervorbricht, seine Flügel allmählich entfaltet und
schließlich im Sonnenschein davon flattert! Wir sehen klar vor
unsern Augen, wie ein Geschöpf aus einfacherer Gestalt durch einen dumpfen,


Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung.

Die Tschechen behaupten, ein „Bollwerk" der Monarchie gegen das deutsche
Reich zu sein. Die Ungarn sind, wie sie sagen, selbständig und denken nur an
sich, die Polen hoffen selbständig zu werden, die Slowenen sind zu schwach,
die Deutschen unzuverlässig, die Tschechen allein halten zu Österreich, ohne sie
giebt es kein solches. Und darauf folgt der Schluß: Siehst du, Krone, wir
allein erhalten dich, du lebst von unsrer Gnade, folglich mußt du uns immer
auch zu Willen sein. Darauf ist mit Pierer zu antworten: Seid ihr wirklich
österreichische Patrioten, seid ihr Österreicher erster Klasse, so legt euch dieses
Privilegium auch Pflichten auf, die es euch verbieten, eure nationalen Ansprüche
aus die Spitze zu treiben und damit alle Tage den Widerstand der Deutschen
herauszufordern, sie haben dann Pflichten als Österreicher, aber auch als
nationale Partei, die Pflicht der Mäßigung und die der Vorsicht. „Wenn
Sie den Bogen bis aufs äußerste spannen," so rief Pierer den Tschechen im
Prager Landtage zu, „wenn Sie die Erbitterung des deutschen Volkes immer
und immer wieder reizen, so mögen Sie für kurze Zeit eine große Befriedigung
Ihrer nationalen Eitelkeit, Ihres nationalen Ehrgeizes erfahren, aber Sie werden
die österreichischen Verhältnisse so verwirren, den Staat so unterwühlen und
ihn durch Verstärkung der nationalen Gegensätze so zersetzen, daß eine Kalamität
heraufbeschworen wird, wo sowohl Österreich als die tschechische Nationalität
in der allergrößten Gefahr schweben werden."

Mit dieser Weissagung, die ich unterschreibe, schließe ich die Erörterung
dieser Seite der Frage, um in einem nächsten Briefe, der für jetzt der letzte
sein wird, einen Blick auf die Wirksamkeit des Schulvereins in Böhmen zu
thun, der das andre Hauptmittel der Verteidigung gegen die Tschechen ist und
bessere Erfolge gehabt hat als der Kampf der Deutschen mit parlamentarischen
Waffen.




Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung.
von August Llassen.

MM
«eins geheimnisvollen Zauber empfinden wir nicht, wenn wir eine
Raupe beobachten, wie sie heranwächst und sich einspinnt, um
eine Puppe zu werden, und wie der farbenreiche Schmetterling
aus der Puppe hervorbricht, seine Flügel allmählich entfaltet und
schließlich im Sonnenschein davon flattert! Wir sehen klar vor
unsern Augen, wie ein Geschöpf aus einfacherer Gestalt durch einen dumpfen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/288771"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_927"> Die Tschechen behaupten, ein &#x201E;Bollwerk" der Monarchie gegen das deutsche<lb/>
Reich zu sein. Die Ungarn sind, wie sie sagen, selbständig und denken nur an<lb/>
sich, die Polen hoffen selbständig zu werden, die Slowenen sind zu schwach,<lb/>
die Deutschen unzuverlässig, die Tschechen allein halten zu Österreich, ohne sie<lb/>
giebt es kein solches. Und darauf folgt der Schluß: Siehst du, Krone, wir<lb/>
allein erhalten dich, du lebst von unsrer Gnade, folglich mußt du uns immer<lb/>
auch zu Willen sein. Darauf ist mit Pierer zu antworten: Seid ihr wirklich<lb/>
österreichische Patrioten, seid ihr Österreicher erster Klasse, so legt euch dieses<lb/>
Privilegium auch Pflichten auf, die es euch verbieten, eure nationalen Ansprüche<lb/>
aus die Spitze zu treiben und damit alle Tage den Widerstand der Deutschen<lb/>
herauszufordern, sie haben dann Pflichten als Österreicher, aber auch als<lb/>
nationale Partei, die Pflicht der Mäßigung und die der Vorsicht. &#x201E;Wenn<lb/>
Sie den Bogen bis aufs äußerste spannen," so rief Pierer den Tschechen im<lb/>
Prager Landtage zu, &#x201E;wenn Sie die Erbitterung des deutschen Volkes immer<lb/>
und immer wieder reizen, so mögen Sie für kurze Zeit eine große Befriedigung<lb/>
Ihrer nationalen Eitelkeit, Ihres nationalen Ehrgeizes erfahren, aber Sie werden<lb/>
die österreichischen Verhältnisse so verwirren, den Staat so unterwühlen und<lb/>
ihn durch Verstärkung der nationalen Gegensätze so zersetzen, daß eine Kalamität<lb/>
heraufbeschworen wird, wo sowohl Österreich als die tschechische Nationalität<lb/>
in der allergrößten Gefahr schweben werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_928"> Mit dieser Weissagung, die ich unterschreibe, schließe ich die Erörterung<lb/>
dieser Seite der Frage, um in einem nächsten Briefe, der für jetzt der letzte<lb/>
sein wird, einen Blick auf die Wirksamkeit des Schulvereins in Böhmen zu<lb/>
thun, der das andre Hauptmittel der Verteidigung gegen die Tschechen ist und<lb/>
bessere Erfolge gehabt hat als der Kampf der Deutschen mit parlamentarischen<lb/>
Waffen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung.<lb/><note type="byline"> von August Llassen.</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_929" next="#ID_930"> MM<lb/>
«eins geheimnisvollen Zauber empfinden wir nicht, wenn wir eine<lb/>
Raupe beobachten, wie sie heranwächst und sich einspinnt, um<lb/>
eine Puppe zu werden, und wie der farbenreiche Schmetterling<lb/>
aus der Puppe hervorbricht, seine Flügel allmählich entfaltet und<lb/>
schließlich im Sonnenschein davon flattert! Wir sehen klar vor<lb/>
unsern Augen, wie ein Geschöpf aus einfacherer Gestalt durch einen dumpfen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung. Die Tschechen behaupten, ein „Bollwerk" der Monarchie gegen das deutsche Reich zu sein. Die Ungarn sind, wie sie sagen, selbständig und denken nur an sich, die Polen hoffen selbständig zu werden, die Slowenen sind zu schwach, die Deutschen unzuverlässig, die Tschechen allein halten zu Österreich, ohne sie giebt es kein solches. Und darauf folgt der Schluß: Siehst du, Krone, wir allein erhalten dich, du lebst von unsrer Gnade, folglich mußt du uns immer auch zu Willen sein. Darauf ist mit Pierer zu antworten: Seid ihr wirklich österreichische Patrioten, seid ihr Österreicher erster Klasse, so legt euch dieses Privilegium auch Pflichten auf, die es euch verbieten, eure nationalen Ansprüche aus die Spitze zu treiben und damit alle Tage den Widerstand der Deutschen herauszufordern, sie haben dann Pflichten als Österreicher, aber auch als nationale Partei, die Pflicht der Mäßigung und die der Vorsicht. „Wenn Sie den Bogen bis aufs äußerste spannen," so rief Pierer den Tschechen im Prager Landtage zu, „wenn Sie die Erbitterung des deutschen Volkes immer und immer wieder reizen, so mögen Sie für kurze Zeit eine große Befriedigung Ihrer nationalen Eitelkeit, Ihres nationalen Ehrgeizes erfahren, aber Sie werden die österreichischen Verhältnisse so verwirren, den Staat so unterwühlen und ihn durch Verstärkung der nationalen Gegensätze so zersetzen, daß eine Kalamität heraufbeschworen wird, wo sowohl Österreich als die tschechische Nationalität in der allergrößten Gefahr schweben werden." Mit dieser Weissagung, die ich unterschreibe, schließe ich die Erörterung dieser Seite der Frage, um in einem nächsten Briefe, der für jetzt der letzte sein wird, einen Blick auf die Wirksamkeit des Schulvereins in Böhmen zu thun, der das andre Hauptmittel der Verteidigung gegen die Tschechen ist und bessere Erfolge gehabt hat als der Kampf der Deutschen mit parlamentarischen Waffen. Der Mißbrauch des Wortes Entwicklung. von August Llassen. MM «eins geheimnisvollen Zauber empfinden wir nicht, wenn wir eine Raupe beobachten, wie sie heranwächst und sich einspinnt, um eine Puppe zu werden, und wie der farbenreiche Schmetterling aus der Puppe hervorbricht, seine Flügel allmählich entfaltet und schließlich im Sonnenschein davon flattert! Wir sehen klar vor unsern Augen, wie ein Geschöpf aus einfacherer Gestalt durch einen dumpfen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/318>, abgerufen am 17.09.2024.