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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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politische Zustände und Aussichten in Frankreich.
i.

er in diesen Tagen erfolgte Zusammentritt der gesetzgebenden
Körperschaften in Frankreich giebt uns Veranlassung, wieder einmal
diesem Nachbarlande unsre Blicke zuzuwenden und auf Grund
einer Ruck- und Umschau den Versuch zur Beantwortung einer
Frage zu unternehmen, die uns von allen auswärtigen Fragen
zunächst am Herzen liegt. Es ist kein Zweifel, daß die Franzosen uns den
Krieg erklären werden, um für die Niederlagen und Verluste der Jahre 1870
und 1871 Rache zu nehmen, sobald sie können. Das eigentliche Volk zwar,
die Bauern und die Bewohner der kleinen Städte, steht einem solchen Abenteuer
offenbar größtenteils gleichgiltig oder abgeneigt gegenüber; aber eine Partei,
die, was ihr an Zahl fehlt, durch Rührigkeit und Dreistigkeit ersetzt, und die
dadurch einen Einfluß gewonnen hat, der viele Leute und namentlich alle Streber
veranlaßt, auf sie Rücksicht zu nehmen und sich ihr mehr oder minder anzu¬
schließen, drängt mit allen Mitteln zu möglichst baldigem Angriff auf Deutsch¬
land, und es ist nicht undenkbar, daß sie ihre Absicht einmal durchsetzt. Zweifel¬
haft ist nur, ob die, auf welche es zuletzt ankommt, sich so bald überzeugen
^sser werden, daß man das, was man will, auch mit einiger Aussicht auf
^folg zu wagen imstande sei. Die gegenwärtige Negierung ist augenscheinlich
zu dem Abenteuer nicht zu haben. Aber der Parlamentarismus, dieser Saturn,
der schon so viele seiner Kinder gefressen hat, kann über kurz oder laug dem
jetzigen Ministerium ein Ende machen und einem radikalen das Leben geben,
welches Herrn Boulanger wieder ins Amt berufen könnte, der hier wenigstens


Grenzboten IV. 1L37. 82


politische Zustände und Aussichten in Frankreich.
i.

er in diesen Tagen erfolgte Zusammentritt der gesetzgebenden
Körperschaften in Frankreich giebt uns Veranlassung, wieder einmal
diesem Nachbarlande unsre Blicke zuzuwenden und auf Grund
einer Ruck- und Umschau den Versuch zur Beantwortung einer
Frage zu unternehmen, die uns von allen auswärtigen Fragen
zunächst am Herzen liegt. Es ist kein Zweifel, daß die Franzosen uns den
Krieg erklären werden, um für die Niederlagen und Verluste der Jahre 1870
und 1871 Rache zu nehmen, sobald sie können. Das eigentliche Volk zwar,
die Bauern und die Bewohner der kleinen Städte, steht einem solchen Abenteuer
offenbar größtenteils gleichgiltig oder abgeneigt gegenüber; aber eine Partei,
die, was ihr an Zahl fehlt, durch Rührigkeit und Dreistigkeit ersetzt, und die
dadurch einen Einfluß gewonnen hat, der viele Leute und namentlich alle Streber
veranlaßt, auf sie Rücksicht zu nehmen und sich ihr mehr oder minder anzu¬
schließen, drängt mit allen Mitteln zu möglichst baldigem Angriff auf Deutsch¬
land, und es ist nicht undenkbar, daß sie ihre Absicht einmal durchsetzt. Zweifel¬
haft ist nur, ob die, auf welche es zuletzt ankommt, sich so bald überzeugen
^sser werden, daß man das, was man will, auch mit einiger Aussicht auf
^folg zu wagen imstande sei. Die gegenwärtige Negierung ist augenscheinlich
zu dem Abenteuer nicht zu haben. Aber der Parlamentarismus, dieser Saturn,
der schon so viele seiner Kinder gefressen hat, kann über kurz oder laug dem
jetzigen Ministerium ein Ende machen und einem radikalen das Leben geben,
welches Herrn Boulanger wieder ins Amt berufen könnte, der hier wenigstens


Grenzboten IV. 1L37. 82
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[0257] [Abbildung] politische Zustände und Aussichten in Frankreich. i. er in diesen Tagen erfolgte Zusammentritt der gesetzgebenden Körperschaften in Frankreich giebt uns Veranlassung, wieder einmal diesem Nachbarlande unsre Blicke zuzuwenden und auf Grund einer Ruck- und Umschau den Versuch zur Beantwortung einer Frage zu unternehmen, die uns von allen auswärtigen Fragen zunächst am Herzen liegt. Es ist kein Zweifel, daß die Franzosen uns den Krieg erklären werden, um für die Niederlagen und Verluste der Jahre 1870 und 1871 Rache zu nehmen, sobald sie können. Das eigentliche Volk zwar, die Bauern und die Bewohner der kleinen Städte, steht einem solchen Abenteuer offenbar größtenteils gleichgiltig oder abgeneigt gegenüber; aber eine Partei, die, was ihr an Zahl fehlt, durch Rührigkeit und Dreistigkeit ersetzt, und die dadurch einen Einfluß gewonnen hat, der viele Leute und namentlich alle Streber veranlaßt, auf sie Rücksicht zu nehmen und sich ihr mehr oder minder anzu¬ schließen, drängt mit allen Mitteln zu möglichst baldigem Angriff auf Deutsch¬ land, und es ist nicht undenkbar, daß sie ihre Absicht einmal durchsetzt. Zweifel¬ haft ist nur, ob die, auf welche es zuletzt ankommt, sich so bald überzeugen ^sser werden, daß man das, was man will, auch mit einiger Aussicht auf ^folg zu wagen imstande sei. Die gegenwärtige Negierung ist augenscheinlich zu dem Abenteuer nicht zu haben. Aber der Parlamentarismus, dieser Saturn, der schon so viele seiner Kinder gefressen hat, kann über kurz oder laug dem jetzigen Ministerium ein Ende machen und einem radikalen das Leben geben, welches Herrn Boulanger wieder ins Amt berufen könnte, der hier wenigstens Grenzboten IV. 1L37. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/257>, abgerufen am 22.07.2024.