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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

Kämpfe" der Genuesen und Benetianer, jenem romantischen Kreuzzug der Lateiner
und dem endlichen Siege des Halbmonds. Solche Einwirkung auf Sinn und
Gemüt habe ich nirgends größer genossen, und in dieser Hinsicht will ich gern
dem Bosporus den Vorrang vor dem Golf von Neapel einräumen. Aber
trotz alledem habe ich nicht die innere Befriedigung gehabt, wie sie der Anblick
des Harmonisch-Schönen bei Neapel gewährt; überall drängte sich hier in das
Bild der Anblick von Schmutz und Elend, von Öde und Verwüstung. Die
Seele gelangt hier zu keiner Ruhe; in die herrliche Natur und in das edle
Streben des Menschen greift mißgestaltend der Dämon ein. Auf dem Posilipp
in Neapel wurde mir das Wort Friedrichs von Hohenstaufen klar, daß Gott,
wenn er Neapel vorher gekannt hätte, das gelobte Land hierher verlegt haben
würde. Ich glaube nicht, daß sich vom Bosporus dasselbe sagen läßt. Ich bin
freilich mit meinen Anschauungen auf Widerspruch gestoßen; schon mein Be¬
gleiter, der in Übertreibung eines Hegelschen Ausspruchs nicht bloß dem Be¬
stehenden, sondern dem Gegenwärtigen als dem Vollkommenen die Palme giebt,
bekämpfte mich. Und doch hat immer und immer wieder der Sieg zwischen
Bosporus und Neapel geschwankt. Auch ein so feiner Beurteiler des Schollen
wie Gregorovius konnte nicht gleich schlüssig werden; er ist im vergangenen
Frühjahr sofort aus dem Orient nach Neapel geeilt, weil er in seinem Herzen
noch immer für Neapel Partei nahm, aber er ist doch, wie ich von ihm höre,
zu dem Entschluß gelangt, diesem nur den zweiten Platz zuzuerkennen, indem er
behauptet, daß, wer Kolistantinvpel nicht gesehen habe, nicht wisse, was Schön¬
heit sei.

Diese Schönheit aber lag in ihrem vollen Glänze vor uns ausgebreitet
mit ihrem Häusermeer, rin ihren weißglänzenden Palästen und Moscheen, mit
ihren trotzigen Türmen und schlanken Minarets.

Das Schiff, umschwärmt von Hunderten von Barken, warf gegenüber dem
Turme von Galata Anker, und ehe man es sich versah, hatten sich zahllose
Menschen: Hoteldiener und Dragomans, Barkenführer und Träger, auf das Deck
gestürzt, und es begann jener Kampf um die Ausbeutung des Fremden, der
immer mit einer Niederlage des letzteren endet. Wir entgingen dem allgemeinen
Schicksal nur dadurch, daß uns die Freunde mit ihren Kawassen und Dienern
erwarteten, deren gewuchtigen Streichen auch die kühnsten Angreifer nicht zu
widerstehen vermochten. Aber wenn ich euch sagen sollte, wie ich ins Hotel
gekommen bin, so würde ich nicht imstande sein, es zu beschreiben.

Der erste Tag am goldnen Horn.

Niemals habe ich so unvermittelte Gegensätze gefunden als zwischen dem
Anblick des äußeren und des inneren Konstantinopels. Vom Schiffe ans glänzende
Paläste, weiße Minarets, alles licht und klar. Im Innern unsäglicher Schmutz,


Line Fahrt in den Grient.

Kämpfe» der Genuesen und Benetianer, jenem romantischen Kreuzzug der Lateiner
und dem endlichen Siege des Halbmonds. Solche Einwirkung auf Sinn und
Gemüt habe ich nirgends größer genossen, und in dieser Hinsicht will ich gern
dem Bosporus den Vorrang vor dem Golf von Neapel einräumen. Aber
trotz alledem habe ich nicht die innere Befriedigung gehabt, wie sie der Anblick
des Harmonisch-Schönen bei Neapel gewährt; überall drängte sich hier in das
Bild der Anblick von Schmutz und Elend, von Öde und Verwüstung. Die
Seele gelangt hier zu keiner Ruhe; in die herrliche Natur und in das edle
Streben des Menschen greift mißgestaltend der Dämon ein. Auf dem Posilipp
in Neapel wurde mir das Wort Friedrichs von Hohenstaufen klar, daß Gott,
wenn er Neapel vorher gekannt hätte, das gelobte Land hierher verlegt haben
würde. Ich glaube nicht, daß sich vom Bosporus dasselbe sagen läßt. Ich bin
freilich mit meinen Anschauungen auf Widerspruch gestoßen; schon mein Be¬
gleiter, der in Übertreibung eines Hegelschen Ausspruchs nicht bloß dem Be¬
stehenden, sondern dem Gegenwärtigen als dem Vollkommenen die Palme giebt,
bekämpfte mich. Und doch hat immer und immer wieder der Sieg zwischen
Bosporus und Neapel geschwankt. Auch ein so feiner Beurteiler des Schollen
wie Gregorovius konnte nicht gleich schlüssig werden; er ist im vergangenen
Frühjahr sofort aus dem Orient nach Neapel geeilt, weil er in seinem Herzen
noch immer für Neapel Partei nahm, aber er ist doch, wie ich von ihm höre,
zu dem Entschluß gelangt, diesem nur den zweiten Platz zuzuerkennen, indem er
behauptet, daß, wer Kolistantinvpel nicht gesehen habe, nicht wisse, was Schön¬
heit sei.

Diese Schönheit aber lag in ihrem vollen Glänze vor uns ausgebreitet
mit ihrem Häusermeer, rin ihren weißglänzenden Palästen und Moscheen, mit
ihren trotzigen Türmen und schlanken Minarets.

Das Schiff, umschwärmt von Hunderten von Barken, warf gegenüber dem
Turme von Galata Anker, und ehe man es sich versah, hatten sich zahllose
Menschen: Hoteldiener und Dragomans, Barkenführer und Träger, auf das Deck
gestürzt, und es begann jener Kampf um die Ausbeutung des Fremden, der
immer mit einer Niederlage des letzteren endet. Wir entgingen dem allgemeinen
Schicksal nur dadurch, daß uns die Freunde mit ihren Kawassen und Dienern
erwarteten, deren gewuchtigen Streichen auch die kühnsten Angreifer nicht zu
widerstehen vermochten. Aber wenn ich euch sagen sollte, wie ich ins Hotel
gekommen bin, so würde ich nicht imstande sein, es zu beschreiben.

Der erste Tag am goldnen Horn.

Niemals habe ich so unvermittelte Gegensätze gefunden als zwischen dem
Anblick des äußeren und des inneren Konstantinopels. Vom Schiffe ans glänzende
Paläste, weiße Minarets, alles licht und klar. Im Innern unsäglicher Schmutz,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/148>, abgerufen am 27.06.2024.