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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die heilige Magdalena von Witscht.
von Benno Riittenauer. (Fortsetzung.)

ühelfrcmzens Madlene hieß sie in Witscht mit ihrem profanen
Namen, und der sogenannte Bühelfranz, ihr Vater, der als
ein stiller, träumerischer, fast tiefsinniger Mensch geschildert wird,
verstand verschiedne Künste; er war Bauer, Weber und Schuster.
Dieser den Leuten von Witscht bereits merkwürdige Mann hinter¬
ließ drei noch merkwürdigere Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Am
wenigsten ausgezeichnet war die Tochter Franziska, am meisten der Sohn Se¬
bastian, der freilich im Laufe der Zeit von seiner Schwester Madlene, die er von
vornherein am Geniesternhimmel weit zu überstrahlen schien, tief in den Schatten
gestellt wurde. Das auffälligste Verdienst an Franziska bestand darin, daß sie
nicht leicht mit andern ihres Geschlechts verwechselt werden konnte. Die Leser
kennen wohl alle die drollige Geschichte von den vier Hausknechten, die sich
alle vier vergeblich anstrengten, ein Licht aufzublasen; sie hatten nämlich
sämtlich so krumme Mäuler, daß ihr Hauch in allen Richtungen herauskam,
nur nicht in gerader gegen das vorgehaltene Licht. Bühelfranzens Franziska
hatte eines von diesen Müuleru, und zwar eines von den seitlichen.

Weniger einfach liegt die Sache mit Sebastian. In diesem steckte zunächst ein
Jakob Böhme, denn die Tiefsinnigkcit des Vaters war in ihm vervielfacht. Er
hieß im Dorfe allgemein nur der Simulorum oder Simulorem, ich denke mir, weil
er ein "Simulirer" war -- die Witschter haben zum geringsten Teile Latein
studirt; doch wird der Name gewöhnlich anders erklärt, was später erörtert
werden soll. In dem Simulorem lag aber auch ein Tielmann Niemschneider
oder wenigstens ein Veit Stoß verborgen. Ohne äußere Anleitung, nur aus
dem innern Triebe heraus, schnitzte er die schönsten Bilder in Holz. Aus allerlei




Die heilige Magdalena von Witscht.
von Benno Riittenauer. (Fortsetzung.)

ühelfrcmzens Madlene hieß sie in Witscht mit ihrem profanen
Namen, und der sogenannte Bühelfranz, ihr Vater, der als
ein stiller, träumerischer, fast tiefsinniger Mensch geschildert wird,
verstand verschiedne Künste; er war Bauer, Weber und Schuster.
Dieser den Leuten von Witscht bereits merkwürdige Mann hinter¬
ließ drei noch merkwürdigere Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Am
wenigsten ausgezeichnet war die Tochter Franziska, am meisten der Sohn Se¬
bastian, der freilich im Laufe der Zeit von seiner Schwester Madlene, die er von
vornherein am Geniesternhimmel weit zu überstrahlen schien, tief in den Schatten
gestellt wurde. Das auffälligste Verdienst an Franziska bestand darin, daß sie
nicht leicht mit andern ihres Geschlechts verwechselt werden konnte. Die Leser
kennen wohl alle die drollige Geschichte von den vier Hausknechten, die sich
alle vier vergeblich anstrengten, ein Licht aufzublasen; sie hatten nämlich
sämtlich so krumme Mäuler, daß ihr Hauch in allen Richtungen herauskam,
nur nicht in gerader gegen das vorgehaltene Licht. Bühelfranzens Franziska
hatte eines von diesen Müuleru, und zwar eines von den seitlichen.

Weniger einfach liegt die Sache mit Sebastian. In diesem steckte zunächst ein
Jakob Böhme, denn die Tiefsinnigkcit des Vaters war in ihm vervielfacht. Er
hieß im Dorfe allgemein nur der Simulorum oder Simulorem, ich denke mir, weil
er ein „Simulirer" war — die Witschter haben zum geringsten Teile Latein
studirt; doch wird der Name gewöhnlich anders erklärt, was später erörtert
werden soll. In dem Simulorem lag aber auch ein Tielmann Niemschneider
oder wenigstens ein Veit Stoß verborgen. Ohne äußere Anleitung, nur aus
dem innern Triebe heraus, schnitzte er die schönsten Bilder in Holz. Aus allerlei


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[0099] [Abbildung] Die heilige Magdalena von Witscht. von Benno Riittenauer. (Fortsetzung.) ühelfrcmzens Madlene hieß sie in Witscht mit ihrem profanen Namen, und der sogenannte Bühelfranz, ihr Vater, der als ein stiller, träumerischer, fast tiefsinniger Mensch geschildert wird, verstand verschiedne Künste; er war Bauer, Weber und Schuster. Dieser den Leuten von Witscht bereits merkwürdige Mann hinter¬ ließ drei noch merkwürdigere Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Am wenigsten ausgezeichnet war die Tochter Franziska, am meisten der Sohn Se¬ bastian, der freilich im Laufe der Zeit von seiner Schwester Madlene, die er von vornherein am Geniesternhimmel weit zu überstrahlen schien, tief in den Schatten gestellt wurde. Das auffälligste Verdienst an Franziska bestand darin, daß sie nicht leicht mit andern ihres Geschlechts verwechselt werden konnte. Die Leser kennen wohl alle die drollige Geschichte von den vier Hausknechten, die sich alle vier vergeblich anstrengten, ein Licht aufzublasen; sie hatten nämlich sämtlich so krumme Mäuler, daß ihr Hauch in allen Richtungen herauskam, nur nicht in gerader gegen das vorgehaltene Licht. Bühelfranzens Franziska hatte eines von diesen Müuleru, und zwar eines von den seitlichen. Weniger einfach liegt die Sache mit Sebastian. In diesem steckte zunächst ein Jakob Böhme, denn die Tiefsinnigkcit des Vaters war in ihm vervielfacht. Er hieß im Dorfe allgemein nur der Simulorum oder Simulorem, ich denke mir, weil er ein „Simulirer" war — die Witschter haben zum geringsten Teile Latein studirt; doch wird der Name gewöhnlich anders erklärt, was später erörtert werden soll. In dem Simulorem lag aber auch ein Tielmann Niemschneider oder wenigstens ein Veit Stoß verborgen. Ohne äußere Anleitung, nur aus dem innern Triebe heraus, schnitzte er die schönsten Bilder in Holz. Aus allerlei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/99>, abgerufen am 29.06.2024.