Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Literatur, Vorschrift setzt alle Lehrer des Deutschen, die genötigt sind, ihr nachzugehen, in Wir halten dieses Auskunftsmittel für ebenso verfehlt wie die ganze Vorschrift, Die Schule mag darauf hinarbeiten, daß die verkehrte Vorschrift, die unsers Bör Zeiten. Novellen von Theodor Storni. Berlin, Paetel, 1886. Theodor Storm gehört zu den wenigen auserlesenen Dichtern, die mau um Literatur, Vorschrift setzt alle Lehrer des Deutschen, die genötigt sind, ihr nachzugehen, in Wir halten dieses Auskunftsmittel für ebenso verfehlt wie die ganze Vorschrift, Die Schule mag darauf hinarbeiten, daß die verkehrte Vorschrift, die unsers Bör Zeiten. Novellen von Theodor Storni. Berlin, Paetel, 1886. Theodor Storm gehört zu den wenigen auserlesenen Dichtern, die mau um <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200159"/> <fw type="header" place="top"> Literatur,</fw><lb/> <p xml:id="ID_165" prev="#ID_164"> Vorschrift setzt alle Lehrer des Deutschen, die genötigt sind, ihr nachzugehen, in<lb/> nicht geringe Verlegenheit, Was die an Schulen eingeführten Gedichtsammlungen<lb/> an poetischen Erzengnissen ans der Zeit der Freiheitskriege enthalten, läßt sich<lb/> im Unterrichte bequem in vier Wochen abthun. Um also den Stoff auf ein halbes<lb/> Jahr brcitznziehen, greift man zu allerhand Anskunftsmitteln: man erzählt die<lb/> Lebensgeschichte Arndts, Körners, Scheukendorfs mit solcher Ausführlichkeit, daß,<lb/> wenn man später Lessings, Goethes und Schillers Leben mit der entsprechenden Breite<lb/> behandeln wollte, man gut und gern zehn Schuljahre darauf verwenden könnte;<lb/> man liest Gedichte vor, die nicht in der eingeführten Schnlsammlnug stehen; man<lb/> verbreitet sich über die Geschichte der Befreiungskriege; man zieht die gleichzeitige<lb/> Volksdichtung, die sich bei Ditfnrth gesammelt findet, mit heran; man schmuggelt<lb/> den Dramatiker Körner mit ein, an den die ministerielle Vorschrift ganz gewiß<lb/> nicht gedacht hat, n, se w. Dieser Verlegenheit will nnn das vorliegende Buch<lb/> abhelfen. Es enthält etwas über hundert chronologisch geordnete Lieder aus den<lb/> Freiheitskriegen, und der Herausgeber meint, daß im Unterrichte eine, wenn auch<lb/> knappe, so doch immer zusammenhängende Erzählung der Ereignisse den fort¬<lb/> laufenden Faden bilden müsse, an welchem die Lieder aufzureihen seien.</p><lb/> <p xml:id="ID_166"> Wir halten dieses Auskunftsmittel für ebenso verfehlt wie die ganze Vorschrift,<lb/> deren Ausführung es erleichtern will. Wenn mau sich fragt, wie viele von diesen<lb/> mehr als hundert Gedichten wert sind, von den Jungen kennen gelernt und in der<lb/> Schule gelesen zu werden, so muß man, wenn man ehrlich sein will, sagen: kaum<lb/> zwei Dutzend; diese stehen aber in unsern Sclutlsammlungcn, die andern sind Ballast,<lb/> Und diesen Ballast sollen die Jungen nun wieder kaufen, um ihren ohnehin mit<lb/> Leitfäden, Handbüchern, Lehrbüchern n, f. w. vollgepfropften Ranzen noch mehr<lb/> anzufüllen!</p><lb/> <p xml:id="ID_167"> Die Schule mag darauf hinarbeiten, daß die verkehrte Vorschrift, die unsers<lb/> Wissens ziemlich jung ist, wieder beseitigt werde. Das ist das Richtige. Der deutsche<lb/> Unterricht hat in unsern höhern Schulen wahrlich nötigeres zu thun, als dem Ge¬<lb/> schichtsunterricht die Erzählung der Freiheitskriege abzunehmen und die Zeit mit<lb/> dem Erklären und Einprägen unbedeutender Gedichte hinzubringen. Der immer<lb/> mehr um sich greifenden Verwilderung unsrer Sprache, die von der Tagespresse<lb/> ausgeht, mit aller Macht entgegenzuarbeiten durch einen zusammenhängenden,<lb/> gründlichen und geschmackvollen grammatischen Unterricht in den mittlern und obern<lb/> Klassen, damit die Jugend gefestigt und gefeit gegen alle Sprachsndelei aus der<lb/> Schule hinaustrete, dies scheint uns augenblicklich die dringlichste Aufgabe des<lb/> deutschen Unterrichts zu sei», und eine mindestens ebenso patriotische, als die<lb/> Jungen mit alle« Onkeln und Tanten von Ernst Moritz Arndt bekannt zu machen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Bör Zeiten. Novellen von Theodor Storni. Berlin, Paetel, 1886.</head><lb/> <p xml:id="ID_168" next="#ID_169"> Theodor Storm gehört zu den wenigen auserlesenen Dichtern, die mau um<lb/> so lieber gewinnt, je öfter man ihre Werke liest. Seine Art ist nicht eigentlich<lb/> populär, sie reißt uicht bei der ersten Bekanntschaft, die man mit ihr macht, gleich<lb/> hin, sie kommt nicht pikant, verlockend entgegen. Im Gegenteil, sie will einen<lb/> ganz und gar gleichgestimmten Leser, einen, der andächtig und mit gespanntem<lb/> Ohre lauschen kann; dann aber fesselt sie ihn auch mit Kraft, Man kann nicht<lb/> treffender diese keusche, einsame und auch eigenwillige, in sich selbst cingesponnene<lb/> Muse bildlich darstellen, als es in jener bekannten Titelvignette geschieht, welche<lb/> die einzelnen Bände der Gesamtansgabe der Schriften Storms ziert: ein junges,</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Literatur,
Vorschrift setzt alle Lehrer des Deutschen, die genötigt sind, ihr nachzugehen, in
nicht geringe Verlegenheit, Was die an Schulen eingeführten Gedichtsammlungen
an poetischen Erzengnissen ans der Zeit der Freiheitskriege enthalten, läßt sich
im Unterrichte bequem in vier Wochen abthun. Um also den Stoff auf ein halbes
Jahr brcitznziehen, greift man zu allerhand Anskunftsmitteln: man erzählt die
Lebensgeschichte Arndts, Körners, Scheukendorfs mit solcher Ausführlichkeit, daß,
wenn man später Lessings, Goethes und Schillers Leben mit der entsprechenden Breite
behandeln wollte, man gut und gern zehn Schuljahre darauf verwenden könnte;
man liest Gedichte vor, die nicht in der eingeführten Schnlsammlnug stehen; man
verbreitet sich über die Geschichte der Befreiungskriege; man zieht die gleichzeitige
Volksdichtung, die sich bei Ditfnrth gesammelt findet, mit heran; man schmuggelt
den Dramatiker Körner mit ein, an den die ministerielle Vorschrift ganz gewiß
nicht gedacht hat, n, se w. Dieser Verlegenheit will nnn das vorliegende Buch
abhelfen. Es enthält etwas über hundert chronologisch geordnete Lieder aus den
Freiheitskriegen, und der Herausgeber meint, daß im Unterrichte eine, wenn auch
knappe, so doch immer zusammenhängende Erzählung der Ereignisse den fort¬
laufenden Faden bilden müsse, an welchem die Lieder aufzureihen seien.
Wir halten dieses Auskunftsmittel für ebenso verfehlt wie die ganze Vorschrift,
deren Ausführung es erleichtern will. Wenn mau sich fragt, wie viele von diesen
mehr als hundert Gedichten wert sind, von den Jungen kennen gelernt und in der
Schule gelesen zu werden, so muß man, wenn man ehrlich sein will, sagen: kaum
zwei Dutzend; diese stehen aber in unsern Sclutlsammlungcn, die andern sind Ballast,
Und diesen Ballast sollen die Jungen nun wieder kaufen, um ihren ohnehin mit
Leitfäden, Handbüchern, Lehrbüchern n, f. w. vollgepfropften Ranzen noch mehr
anzufüllen!
Die Schule mag darauf hinarbeiten, daß die verkehrte Vorschrift, die unsers
Wissens ziemlich jung ist, wieder beseitigt werde. Das ist das Richtige. Der deutsche
Unterricht hat in unsern höhern Schulen wahrlich nötigeres zu thun, als dem Ge¬
schichtsunterricht die Erzählung der Freiheitskriege abzunehmen und die Zeit mit
dem Erklären und Einprägen unbedeutender Gedichte hinzubringen. Der immer
mehr um sich greifenden Verwilderung unsrer Sprache, die von der Tagespresse
ausgeht, mit aller Macht entgegenzuarbeiten durch einen zusammenhängenden,
gründlichen und geschmackvollen grammatischen Unterricht in den mittlern und obern
Klassen, damit die Jugend gefestigt und gefeit gegen alle Sprachsndelei aus der
Schule hinaustrete, dies scheint uns augenblicklich die dringlichste Aufgabe des
deutschen Unterrichts zu sei», und eine mindestens ebenso patriotische, als die
Jungen mit alle« Onkeln und Tanten von Ernst Moritz Arndt bekannt zu machen.
Bör Zeiten. Novellen von Theodor Storni. Berlin, Paetel, 1886.
Theodor Storm gehört zu den wenigen auserlesenen Dichtern, die mau um
so lieber gewinnt, je öfter man ihre Werke liest. Seine Art ist nicht eigentlich
populär, sie reißt uicht bei der ersten Bekanntschaft, die man mit ihr macht, gleich
hin, sie kommt nicht pikant, verlockend entgegen. Im Gegenteil, sie will einen
ganz und gar gleichgestimmten Leser, einen, der andächtig und mit gespanntem
Ohre lauschen kann; dann aber fesselt sie ihn auch mit Kraft, Man kann nicht
treffender diese keusche, einsame und auch eigenwillige, in sich selbst cingesponnene
Muse bildlich darstellen, als es in jener bekannten Titelvignette geschieht, welche
die einzelnen Bände der Gesamtansgabe der Schriften Storms ziert: ein junges,
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