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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die heilige Magdalenci von lvitscht.

nicht entgehen, daß ein über dem Dorfe auf einem Hügel, dem sogenannten
Kirliberg aufragendes, anscheinend noch neues und für die Gegend auffällig
reiches Gebäude die Aufmerksamkeit der Krieger, und besonders ihrer Führer,
auf sich lenkte, wiewohl dasselbe kaum für eine Zidatelle oder auch nur ein
Fort oder etwas ähnliches gehalten werden konnte. So neugiererregcnd war
das Ding, daß kaum einer der Offiziere, die höchsten Spitzen und die ältesten
Knasterbärte nicht ausgenommen, die Frage unterließ, was denn das da droben
für ein Schloß sei. Immer und immer wieder richtete sich diese Frage an die
umstehenden Landleute. 's heilige Madleneschlvßle, war dann jedesmal die
rätselhafte Antwort.

Damals faßte ich den ehrgeizigen Entschluß, der Geschichtschreiber der
heiligen Madlene von Witscht zu werden. Die Geschichte des heilige" Josef
von Witscht mußte dabei, wie es in der Natur der Sache lag, nebenherlaufen.
Und so begann ich denn von Stunde an, mich in die ^.vo LNivtornin novorurv.
zu vertiefen.




2.

Im Jahre 1848 erschienen "Ambrosius Oschwalds Mystische Schrieften
oder das grose Weltgericht vor und nach der zweiten Ankunft Jesu Christi
auf Erden u. s. w.," zwei Bände. Ambrosius Oschwald ist der Vorläufer der
großen Heiligen von Witscht, die Vox <zIa>MÄiit,i8 in al8orta>, die vor ihr her¬
ging, um ihr die Wege zu ebnen. Und es scheint mehr als ein bloßer Zufall
zu sein, daß die mhstisch-romantische Herbstzeitlose dieses Geistes gerade in den
Jahren achtundvierzig und neuuundvierzig sichtbar aufschoß. Deun so sonder¬
bar es klingt, diese Vox vliunÄntis in äissrto und die andern bekannteren Pro¬
pheten und Helden von Anno acht- und neunundvierzig, welche einige jn auch
voess o1iMirnt><Z8 -- zu Deutsch wüste Schreier -- nennen möchten, haben wehr
als eine Ähnlichkeit mit einander.

Oschwald wahrsagte: Thut Buße, denn das Himmelreich ist nahe, oder
um es bestimmter auszudrücken: Aufgepaßt, der Antichrist ist Fleisch geworden.
Aber seiue Tage sind gezählt, das Menetekel ist ihm auf die Stirn gebrannt,
und nicht mehr ferne ist der Anfang des "tausendjährigen Reiches." Dieses
"tausendjährige Reich" ist das Schlngwort Oschwalds und seiner Anhängerschaft.
Der Prophet erneuerte damit in sich und seinen Jüngern jene hoffnungs- und
glaubensvvlle Sehnsucht der Christenheit nach einer Zeit des Friedens und der
Glückseligkeit, welche mau sich als die letzten tausend Jahre vor dem jüngsten
Gericht dachte.

Dieses Reich wäre in der That die Erfüllung des schönsten Traumes
der mittelalterlichen Welt, durch welche sich, wie James Bryce in ruf Jto^
Roman Dwxire, so anschaulich darstellt, gleich einem roten Faden der große


Die heilige Magdalenci von lvitscht.

nicht entgehen, daß ein über dem Dorfe auf einem Hügel, dem sogenannten
Kirliberg aufragendes, anscheinend noch neues und für die Gegend auffällig
reiches Gebäude die Aufmerksamkeit der Krieger, und besonders ihrer Führer,
auf sich lenkte, wiewohl dasselbe kaum für eine Zidatelle oder auch nur ein
Fort oder etwas ähnliches gehalten werden konnte. So neugiererregcnd war
das Ding, daß kaum einer der Offiziere, die höchsten Spitzen und die ältesten
Knasterbärte nicht ausgenommen, die Frage unterließ, was denn das da droben
für ein Schloß sei. Immer und immer wieder richtete sich diese Frage an die
umstehenden Landleute. 's heilige Madleneschlvßle, war dann jedesmal die
rätselhafte Antwort.

Damals faßte ich den ehrgeizigen Entschluß, der Geschichtschreiber der
heiligen Madlene von Witscht zu werden. Die Geschichte des heilige« Josef
von Witscht mußte dabei, wie es in der Natur der Sache lag, nebenherlaufen.
Und so begann ich denn von Stunde an, mich in die ^.vo LNivtornin novorurv.
zu vertiefen.




2.

Im Jahre 1848 erschienen „Ambrosius Oschwalds Mystische Schrieften
oder das grose Weltgericht vor und nach der zweiten Ankunft Jesu Christi
auf Erden u. s. w.," zwei Bände. Ambrosius Oschwald ist der Vorläufer der
großen Heiligen von Witscht, die Vox <zIa>MÄiit,i8 in al8orta>, die vor ihr her¬
ging, um ihr die Wege zu ebnen. Und es scheint mehr als ein bloßer Zufall
zu sein, daß die mhstisch-romantische Herbstzeitlose dieses Geistes gerade in den
Jahren achtundvierzig und neuuundvierzig sichtbar aufschoß. Deun so sonder¬
bar es klingt, diese Vox vliunÄntis in äissrto und die andern bekannteren Pro¬
pheten und Helden von Anno acht- und neunundvierzig, welche einige jn auch
voess o1iMirnt><Z8 — zu Deutsch wüste Schreier — nennen möchten, haben wehr
als eine Ähnlichkeit mit einander.

Oschwald wahrsagte: Thut Buße, denn das Himmelreich ist nahe, oder
um es bestimmter auszudrücken: Aufgepaßt, der Antichrist ist Fleisch geworden.
Aber seiue Tage sind gezählt, das Menetekel ist ihm auf die Stirn gebrannt,
und nicht mehr ferne ist der Anfang des „tausendjährigen Reiches." Dieses
„tausendjährige Reich" ist das Schlngwort Oschwalds und seiner Anhängerschaft.
Der Prophet erneuerte damit in sich und seinen Jüngern jene hoffnungs- und
glaubensvvlle Sehnsucht der Christenheit nach einer Zeit des Friedens und der
Glückseligkeit, welche mau sich als die letzten tausend Jahre vor dem jüngsten
Gericht dachte.

Dieses Reich wäre in der That die Erfüllung des schönsten Traumes
der mittelalterlichen Welt, durch welche sich, wie James Bryce in ruf Jto^
Roman Dwxire, so anschaulich darstellt, gleich einem roten Faden der große


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/51>, abgerufen am 29.06.2024.