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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die heilige Magdalena von Witscht.
von Benno Rüttonauer.
1.

derhalb der Dörfer Berlichingen und Jaxthausen, zweier ebenso be¬
scheidnen, ja fast armseligen, als dem Namen nach weit berühmten
Orte, liegt, ebenfalls an der Jaxt, die ehedem reichsfreie Cistercienser-
abtei Schönthal. In der Kirche dieses, jetzt in ein würtcmbergisch-
protestantisches Seminar verwandelten Klosters ist Götz von
Berlichingen begraben, und ihm zu Häupten steht sein Bild in Stein gehauen,
ein Bild so derb, so wenig anmutig wie seine Lebensbeschreibung, als Kunstwerk
derselben würdig, auch uicht weniger charakteristisch. Dieses Grab wird viel
besucht, nicht von Touristen, denen es außer dem Wege liegt, sondern von
Landleuten der Umgebung, von Wallfahrern, die oft vier und fünf Stunden
weit herkommen. Wenn sie in der ein Viertelstündchen entfernt gelegnen elenden,
feuchtkalkigen Waldkapclle vor einer possenhaft aufgeputzten Puppe von Mutter¬
gottesbild ihren Rosenkranz abgebetet haben, versäumen sie fast nie, auch dieses
Heiligtum so ganz andrer Art zu besuchen. Dann stehe" sie, denen der Name
Goethe so fremd ist wie der irgendeines chinesischen Dichters, entblößten Hauptes
um die Grabplatte mit der unter den Fußtritten von Jahrhunderten verlöschte"
Inschrift. Und: Seht -- sagen sie wie mit religiös-scheuem Murmeln zu ihren
angelaufenen Jungen, indem sie mit den Fingern auf das Standbild
hinweisen -- seht, das ist der Ritter Götz mit der eisernen Hand! Ist
diese Dvppelwallfahrt nicht seltsam? Also lebt wirklich das Gedächtnis ihres
ehemaligen kühnen und hochherzigen Anführers nach drei Jahrhunderten noch
in diesen Bauern sagenhaft fort? Doch wohl nur durch die Macht solcher an
einen außer" Gegenstand geknüpften Tradition. Denn das Landvolk dieser
fränkischen Gegenden, im sechzehnten Jahrhundert der Hauptherd der großen


Grenzboten I. 1887. 6


Die heilige Magdalena von Witscht.
von Benno Rüttonauer.
1.

derhalb der Dörfer Berlichingen und Jaxthausen, zweier ebenso be¬
scheidnen, ja fast armseligen, als dem Namen nach weit berühmten
Orte, liegt, ebenfalls an der Jaxt, die ehedem reichsfreie Cistercienser-
abtei Schönthal. In der Kirche dieses, jetzt in ein würtcmbergisch-
protestantisches Seminar verwandelten Klosters ist Götz von
Berlichingen begraben, und ihm zu Häupten steht sein Bild in Stein gehauen,
ein Bild so derb, so wenig anmutig wie seine Lebensbeschreibung, als Kunstwerk
derselben würdig, auch uicht weniger charakteristisch. Dieses Grab wird viel
besucht, nicht von Touristen, denen es außer dem Wege liegt, sondern von
Landleuten der Umgebung, von Wallfahrern, die oft vier und fünf Stunden
weit herkommen. Wenn sie in der ein Viertelstündchen entfernt gelegnen elenden,
feuchtkalkigen Waldkapclle vor einer possenhaft aufgeputzten Puppe von Mutter¬
gottesbild ihren Rosenkranz abgebetet haben, versäumen sie fast nie, auch dieses
Heiligtum so ganz andrer Art zu besuchen. Dann stehe» sie, denen der Name
Goethe so fremd ist wie der irgendeines chinesischen Dichters, entblößten Hauptes
um die Grabplatte mit der unter den Fußtritten von Jahrhunderten verlöschte»
Inschrift. Und: Seht — sagen sie wie mit religiös-scheuem Murmeln zu ihren
angelaufenen Jungen, indem sie mit den Fingern auf das Standbild
hinweisen — seht, das ist der Ritter Götz mit der eisernen Hand! Ist
diese Dvppelwallfahrt nicht seltsam? Also lebt wirklich das Gedächtnis ihres
ehemaligen kühnen und hochherzigen Anführers nach drei Jahrhunderten noch
in diesen Bauern sagenhaft fort? Doch wohl nur durch die Macht solcher an
einen außer» Gegenstand geknüpften Tradition. Denn das Landvolk dieser
fränkischen Gegenden, im sechzehnten Jahrhundert der Hauptherd der großen


Grenzboten I. 1887. 6
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[0049] [Abbildung] Die heilige Magdalena von Witscht. von Benno Rüttonauer. 1. derhalb der Dörfer Berlichingen und Jaxthausen, zweier ebenso be¬ scheidnen, ja fast armseligen, als dem Namen nach weit berühmten Orte, liegt, ebenfalls an der Jaxt, die ehedem reichsfreie Cistercienser- abtei Schönthal. In der Kirche dieses, jetzt in ein würtcmbergisch- protestantisches Seminar verwandelten Klosters ist Götz von Berlichingen begraben, und ihm zu Häupten steht sein Bild in Stein gehauen, ein Bild so derb, so wenig anmutig wie seine Lebensbeschreibung, als Kunstwerk derselben würdig, auch uicht weniger charakteristisch. Dieses Grab wird viel besucht, nicht von Touristen, denen es außer dem Wege liegt, sondern von Landleuten der Umgebung, von Wallfahrern, die oft vier und fünf Stunden weit herkommen. Wenn sie in der ein Viertelstündchen entfernt gelegnen elenden, feuchtkalkigen Waldkapclle vor einer possenhaft aufgeputzten Puppe von Mutter¬ gottesbild ihren Rosenkranz abgebetet haben, versäumen sie fast nie, auch dieses Heiligtum so ganz andrer Art zu besuchen. Dann stehe» sie, denen der Name Goethe so fremd ist wie der irgendeines chinesischen Dichters, entblößten Hauptes um die Grabplatte mit der unter den Fußtritten von Jahrhunderten verlöschte» Inschrift. Und: Seht — sagen sie wie mit religiös-scheuem Murmeln zu ihren angelaufenen Jungen, indem sie mit den Fingern auf das Standbild hinweisen — seht, das ist der Ritter Götz mit der eisernen Hand! Ist diese Dvppelwallfahrt nicht seltsam? Also lebt wirklich das Gedächtnis ihres ehemaligen kühnen und hochherzigen Anführers nach drei Jahrhunderten noch in diesen Bauern sagenhaft fort? Doch wohl nur durch die Macht solcher an einen außer» Gegenstand geknüpften Tradition. Denn das Landvolk dieser fränkischen Gegenden, im sechzehnten Jahrhundert der Hauptherd der großen Grenzboten I. 1887. 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/49>, abgerufen am 29.06.2024.