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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zur Iahroswende.

nahmen abgerechnet, in einer drückenden Lage. Ob ihre Zahl in keinem Ver¬
hältnis zur Leistungsfähigkeit der Staats- und Kommunalbehördcn und zur Kauf-
kraft der privaten Kunstfreunde steht, oder ob die unklare und unsichere politische
Lage die Schuld an der allgemeine" Zurückhaltung gegen die Künstler trägt,
wer weiß eS? Aber die Thatsache steht fest, und sie legt den maßgebenden
Fakturen die Verpflichtung auf, die verfügbaren Summen möglichst gleichmäßig
zu verleite", Wenn mau in solchen Zeiten einem Künstler ein Lessingdeukmal
in Auftrag giebt, macht nun einen glücklich, während hundert darben. Viele
hunderttausend Mark stehen den? Berliner Lefsingkvmitec zur Verfügung, Was
könnte mit einer solchen Summe erreicht werden, wenn man sich ans eine ein¬
fache Büste und eine allegorische Figur beschränkte und den Nest für andre
Knnstzwecke verwendete!

Es kommt uns natürlich nicht in den Sinn, mit solchen Vorschlägen all¬
gemeine Grundsätze aufzustellen. Wir haben uns deutlich genug gegen jedes
Generalisiren in der Kunst und in der Knnstverwaltung ausgesprochen. Aber
besondre Zeitverhältnisse fordern auch eine besondre Beurteilung, und Dcnkmäler-
tomitces sind^ ebensosehr der Reform bedürftig und fähig wie jede andre mit
autoritativen Rechten ausgestattete Körperschaft.




Zur Jahreswende.

le Weltlage ist einer festlichen Stimmung wenig günstig, und wie
so oft schon, hat sich die Ncichstagsmajontät verpflichtet gefühlt,
dem Vertrauen, daß es in deutschen Dingen vorwärts gehe, schnell
noch einen Stoß zu versetzen. Man kann es dem Vaterlands-
freunde nicht verargen, wenn er sich entmutigt abwendet mit der
Klage: Diesem Geschlecht ist nicht zu helfen! Und doch ist er im Unrecht.
Wer den Blick nicht ausschließlich auf den Ereignissen des Tages haften läßt,
sondern das Heute mit dem Gestern und dem Vorgestern vergleicht, der muß
zugestehen, daß es besser wird, langsam, aber stetig.

Denken wir nur um fünf bis sechs Jahre zurück. Die politische Partei,
welche in ihrem Namen das Bestreben ausdrückt, nationale und liberale Ge¬
sinnung zu verschmelzen, war zersprengt. Die Angehörigen derselben hatten
sich schon lange nicht mehr verstanden, die Trennung war daher notwendig,
wohlthätig. Aber für den Augenblick war der Vorteil auf selten der Partei
der liberalen Phrase, für welche der wenig denkende Teil der Bevölkerung jeder¬
zeit sehr empfänglich gewesen ist. Dieser Partei fiel nun alles zu, was sich
durch die Wirtschaftspolitik in persönlichen Interessen bedroht sah oder bedroht
wähnte; die dem ursprünglichen Programm treu gebliebenen schienen allen Boden


Zur Iahroswende.

nahmen abgerechnet, in einer drückenden Lage. Ob ihre Zahl in keinem Ver¬
hältnis zur Leistungsfähigkeit der Staats- und Kommunalbehördcn und zur Kauf-
kraft der privaten Kunstfreunde steht, oder ob die unklare und unsichere politische
Lage die Schuld an der allgemeine» Zurückhaltung gegen die Künstler trägt,
wer weiß eS? Aber die Thatsache steht fest, und sie legt den maßgebenden
Fakturen die Verpflichtung auf, die verfügbaren Summen möglichst gleichmäßig
zu verleite», Wenn mau in solchen Zeiten einem Künstler ein Lessingdeukmal
in Auftrag giebt, macht nun einen glücklich, während hundert darben. Viele
hunderttausend Mark stehen den? Berliner Lefsingkvmitec zur Verfügung, Was
könnte mit einer solchen Summe erreicht werden, wenn man sich ans eine ein¬
fache Büste und eine allegorische Figur beschränkte und den Nest für andre
Knnstzwecke verwendete!

Es kommt uns natürlich nicht in den Sinn, mit solchen Vorschlägen all¬
gemeine Grundsätze aufzustellen. Wir haben uns deutlich genug gegen jedes
Generalisiren in der Kunst und in der Knnstverwaltung ausgesprochen. Aber
besondre Zeitverhältnisse fordern auch eine besondre Beurteilung, und Dcnkmäler-
tomitces sind^ ebensosehr der Reform bedürftig und fähig wie jede andre mit
autoritativen Rechten ausgestattete Körperschaft.




Zur Jahreswende.

le Weltlage ist einer festlichen Stimmung wenig günstig, und wie
so oft schon, hat sich die Ncichstagsmajontät verpflichtet gefühlt,
dem Vertrauen, daß es in deutschen Dingen vorwärts gehe, schnell
noch einen Stoß zu versetzen. Man kann es dem Vaterlands-
freunde nicht verargen, wenn er sich entmutigt abwendet mit der
Klage: Diesem Geschlecht ist nicht zu helfen! Und doch ist er im Unrecht.
Wer den Blick nicht ausschließlich auf den Ereignissen des Tages haften läßt,
sondern das Heute mit dem Gestern und dem Vorgestern vergleicht, der muß
zugestehen, daß es besser wird, langsam, aber stetig.

Denken wir nur um fünf bis sechs Jahre zurück. Die politische Partei,
welche in ihrem Namen das Bestreben ausdrückt, nationale und liberale Ge¬
sinnung zu verschmelzen, war zersprengt. Die Angehörigen derselben hatten
sich schon lange nicht mehr verstanden, die Trennung war daher notwendig,
wohlthätig. Aber für den Augenblick war der Vorteil auf selten der Partei
der liberalen Phrase, für welche der wenig denkende Teil der Bevölkerung jeder¬
zeit sehr empfänglich gewesen ist. Dieser Partei fiel nun alles zu, was sich
durch die Wirtschaftspolitik in persönlichen Interessen bedroht sah oder bedroht
wähnte; die dem ursprünglichen Programm treu gebliebenen schienen allen Boden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/46>, abgerufen am 29.06.2024.