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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Parlamentarisches ans Österreich.

würde in seiner Anwendung auf die zwanziger Jahre und die Gegenwart keines¬
wegs überall zu Gmisten der letztern ausfallen.

Alles in allem, lebt in Schmorrs Briefen ein Geist, welcher jedem Achtung
abzwingt, der nicht in der traurigsten Modernität, in jener frechen Nicht¬
achtung vergangener edler Bestrebungen und der ödesten Gleichgiltigkeit gegen
Naturen, die auf einen andern Ton gestimmt waren als wir selbst, befangen
ist. Wer ohne Ruhmredigkeit von sich sagen durfte: "Die Aussichten (für die
Kunst) sind sehr schlecht. Für solche Zeiten gehört aber gerade recht, daß die¬
jenigen, die die Kunst wahrhaft lieben, von ihrem hohen Werte durchdrungen
sind, doppelt eifrig und treu in ihrem Berufe sind. Freilich gehört da mehr
dazu als die gewöhnliche von Lob und Tadel, von Vorteil und Nachteil ab¬
hängige Begeisterung, gehört mehr als die gewöhnliche Liebe dazu, dazu gehört
eine Begeisterung, eine Liebe, die nnr durch göttliches Feuer entzündet, nur in
ernsten Stunden errungen werden kann. Dieser Begeisterung, dieser Liebe will
auch ich nachjagen. Meinen Beruf hab' ich erkannt und will nun mit Be¬
wußtsein mein Amt auch ohne Amt verwalten" (Brief an I. G. Quandt vom
7. April 1823), der verdient die volle Teilnahme nachlebender Geschlechter,
wenn er auch uicht in so interessanter, glücklicher Zeit erwachsen wäre, nicht
ein so einziges Stück Leben gelebt hätte, als die "Briefe aus Italien" jedem
Leser vor das innere Auge rufen werden.




parlamentarisches aus Österreich.

^s^^eZcum die welfisch-freisinnige Brüderschaft im deutschen Reiche dies¬
mal, wie es den Anschein hat, ins Hintertreffen geraten sollte,
so sind wenigstens die hiesigen Affiliirten nicht Schuld daran.
Zwar ist den berühmten Klopffechtern die Drapirung herunter¬
gerissen, und in ihrer Nacktheit bieten sie einen abschreckenden
Anblick, aber die Organe des patentirter Liberalismus sehen in ihnen immer
noch Hcroengestalten von klassischer Schönheit. Und keineswegs nur in den
Freisinnigen, die ja Fleisch von ihrem Fleisch und Bein von ihrem Bein sind:
sogar für Windthorst und Genossen begeistern sie sich, während sie doch sonst
bei dem Anblick eines "Klerikalen," eigentlich eines jeden gläubigen Christen,
dieselbe Empfindung haben, wie der Gottseibeiuns bei dem Anblick des Kreuzes.
Aber, wie Bismarck einmal in einer Pvlendebatte sagte: Da wird gegen eine
Negierung revoltirt, das ändert die Sache. Das Zentrum kämpft ebenso wie
der Freisinn für die Allmacht des Parlaments, es erkühnt sich sogar, dem heiligen
Vater zu trotzen; um dieser Verdienste willen kaun schon ein Auge zugedrückt
werden. Und so reichen sich das Leibblatt der deutsch-österreichische" Fraktion


Parlamentarisches ans Österreich.

würde in seiner Anwendung auf die zwanziger Jahre und die Gegenwart keines¬
wegs überall zu Gmisten der letztern ausfallen.

Alles in allem, lebt in Schmorrs Briefen ein Geist, welcher jedem Achtung
abzwingt, der nicht in der traurigsten Modernität, in jener frechen Nicht¬
achtung vergangener edler Bestrebungen und der ödesten Gleichgiltigkeit gegen
Naturen, die auf einen andern Ton gestimmt waren als wir selbst, befangen
ist. Wer ohne Ruhmredigkeit von sich sagen durfte: „Die Aussichten (für die
Kunst) sind sehr schlecht. Für solche Zeiten gehört aber gerade recht, daß die¬
jenigen, die die Kunst wahrhaft lieben, von ihrem hohen Werte durchdrungen
sind, doppelt eifrig und treu in ihrem Berufe sind. Freilich gehört da mehr
dazu als die gewöhnliche von Lob und Tadel, von Vorteil und Nachteil ab¬
hängige Begeisterung, gehört mehr als die gewöhnliche Liebe dazu, dazu gehört
eine Begeisterung, eine Liebe, die nnr durch göttliches Feuer entzündet, nur in
ernsten Stunden errungen werden kann. Dieser Begeisterung, dieser Liebe will
auch ich nachjagen. Meinen Beruf hab' ich erkannt und will nun mit Be¬
wußtsein mein Amt auch ohne Amt verwalten" (Brief an I. G. Quandt vom
7. April 1823), der verdient die volle Teilnahme nachlebender Geschlechter,
wenn er auch uicht in so interessanter, glücklicher Zeit erwachsen wäre, nicht
ein so einziges Stück Leben gelebt hätte, als die „Briefe aus Italien" jedem
Leser vor das innere Auge rufen werden.




parlamentarisches aus Österreich.

^s^^eZcum die welfisch-freisinnige Brüderschaft im deutschen Reiche dies¬
mal, wie es den Anschein hat, ins Hintertreffen geraten sollte,
so sind wenigstens die hiesigen Affiliirten nicht Schuld daran.
Zwar ist den berühmten Klopffechtern die Drapirung herunter¬
gerissen, und in ihrer Nacktheit bieten sie einen abschreckenden
Anblick, aber die Organe des patentirter Liberalismus sehen in ihnen immer
noch Hcroengestalten von klassischer Schönheit. Und keineswegs nur in den
Freisinnigen, die ja Fleisch von ihrem Fleisch und Bein von ihrem Bein sind:
sogar für Windthorst und Genossen begeistern sie sich, während sie doch sonst
bei dem Anblick eines „Klerikalen," eigentlich eines jeden gläubigen Christen,
dieselbe Empfindung haben, wie der Gottseibeiuns bei dem Anblick des Kreuzes.
Aber, wie Bismarck einmal in einer Pvlendebatte sagte: Da wird gegen eine
Negierung revoltirt, das ändert die Sache. Das Zentrum kämpft ebenso wie
der Freisinn für die Allmacht des Parlaments, es erkühnt sich sogar, dem heiligen
Vater zu trotzen; um dieser Verdienste willen kaun schon ein Auge zugedrückt
werden. Und so reichen sich das Leibblatt der deutsch-österreichische» Fraktion


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[0390] Parlamentarisches ans Österreich. würde in seiner Anwendung auf die zwanziger Jahre und die Gegenwart keines¬ wegs überall zu Gmisten der letztern ausfallen. Alles in allem, lebt in Schmorrs Briefen ein Geist, welcher jedem Achtung abzwingt, der nicht in der traurigsten Modernität, in jener frechen Nicht¬ achtung vergangener edler Bestrebungen und der ödesten Gleichgiltigkeit gegen Naturen, die auf einen andern Ton gestimmt waren als wir selbst, befangen ist. Wer ohne Ruhmredigkeit von sich sagen durfte: „Die Aussichten (für die Kunst) sind sehr schlecht. Für solche Zeiten gehört aber gerade recht, daß die¬ jenigen, die die Kunst wahrhaft lieben, von ihrem hohen Werte durchdrungen sind, doppelt eifrig und treu in ihrem Berufe sind. Freilich gehört da mehr dazu als die gewöhnliche von Lob und Tadel, von Vorteil und Nachteil ab¬ hängige Begeisterung, gehört mehr als die gewöhnliche Liebe dazu, dazu gehört eine Begeisterung, eine Liebe, die nnr durch göttliches Feuer entzündet, nur in ernsten Stunden errungen werden kann. Dieser Begeisterung, dieser Liebe will auch ich nachjagen. Meinen Beruf hab' ich erkannt und will nun mit Be¬ wußtsein mein Amt auch ohne Amt verwalten" (Brief an I. G. Quandt vom 7. April 1823), der verdient die volle Teilnahme nachlebender Geschlechter, wenn er auch uicht in so interessanter, glücklicher Zeit erwachsen wäre, nicht ein so einziges Stück Leben gelebt hätte, als die „Briefe aus Italien" jedem Leser vor das innere Auge rufen werden. parlamentarisches aus Österreich. ^s^^eZcum die welfisch-freisinnige Brüderschaft im deutschen Reiche dies¬ mal, wie es den Anschein hat, ins Hintertreffen geraten sollte, so sind wenigstens die hiesigen Affiliirten nicht Schuld daran. Zwar ist den berühmten Klopffechtern die Drapirung herunter¬ gerissen, und in ihrer Nacktheit bieten sie einen abschreckenden Anblick, aber die Organe des patentirter Liberalismus sehen in ihnen immer noch Hcroengestalten von klassischer Schönheit. Und keineswegs nur in den Freisinnigen, die ja Fleisch von ihrem Fleisch und Bein von ihrem Bein sind: sogar für Windthorst und Genossen begeistern sie sich, während sie doch sonst bei dem Anblick eines „Klerikalen," eigentlich eines jeden gläubigen Christen, dieselbe Empfindung haben, wie der Gottseibeiuns bei dem Anblick des Kreuzes. Aber, wie Bismarck einmal in einer Pvlendebatte sagte: Da wird gegen eine Negierung revoltirt, das ändert die Sache. Das Zentrum kämpft ebenso wie der Freisinn für die Allmacht des Parlaments, es erkühnt sich sogar, dem heiligen Vater zu trotzen; um dieser Verdienste willen kaun schon ein Auge zugedrückt werden. Und so reichen sich das Leibblatt der deutsch-österreichische» Fraktion

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/390>, abgerufen am 22.12.2024.