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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Kriegswolke im Westen.

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WM".,le Kriegswolkc, die an demjenigen Teile des Gesichtskreises steht, den
die Berge des Wasgenwaldes bilden, ist wie die Rauchwolke, die
jahraus, jahrein ans dem Schlunde des Vesuvs aufsteigt, bald
klein, bald groß, aber immer vorhanden, immer das Zeichen einer
Gefahr und immer eine Mahnung für uns, auf der Hut zu sein
vor einem Ausbruche, der morgen schon stattfinden und schweres Unheil an¬
richten kann. Unsre Beziehungen zu Frankreich sind jetzt gut, aber schwer auf
befriedigenden Fuße zu erhalten -- so ungefähr äußerte sich Bismarck vor kurzem
vor dem Reichstage, und ich bin, fuhr er fort, der Meinung, daß wir später
einen Krieg mit ihm haben werden. Ich kann nicht sagen, ob in zehn Tagen
oder zehn Jahren, aber keine friedlichen Versicherungen, keine Redensarten werden
mich darüber beruhigen. Sobald Frankreich Grund hat, zu glauben, es könne uns
schlagen, wird es uns angreifen, und siegte es, so würde es uns zur Ader lassen,
bis uns der letzte Blutstropfen abgezapft wäre. Daneben ist aber noch an eine
andre Möglichkeit zu denken, die ebenso nahe liegt: Frankreich ist das Land der
Überraschungen, und es kann dort über Nacht ein Kabinet entstehen, welches,
nicht imstande, mit dem Abgeordnetenhaus? zu regieren, einen Ausweg für die
innern Schwierigkeiten sucht, indem es einen Krieg mit Deutschland vom Zaune
bricht, wie dies 1870 geschah. Betrachten wir zunächst den zweiten Fall, den
der Kanzler setzte, so leidet es keinen Zweifel, daß er leicht eintreten kann.
Wahr ist, daß die Mehrheit der Franzosen, der besitzende und der arbeitende
Teil der Bevölkerung, friedfertig gesinnt ist, ebenso wahr aber, daß sie in so¬
genannten nationalen Fragen niemals den Ausschlag gegeben hat, die Führung
hier vielmehr immer unruhigen und selbstsüchtigen Geistern zugefallen ist, welche


Grcnzliotcn I. 1887. 32


Die Kriegswolke im Westen.

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WM«.,le Kriegswolkc, die an demjenigen Teile des Gesichtskreises steht, den
die Berge des Wasgenwaldes bilden, ist wie die Rauchwolke, die
jahraus, jahrein ans dem Schlunde des Vesuvs aufsteigt, bald
klein, bald groß, aber immer vorhanden, immer das Zeichen einer
Gefahr und immer eine Mahnung für uns, auf der Hut zu sein
vor einem Ausbruche, der morgen schon stattfinden und schweres Unheil an¬
richten kann. Unsre Beziehungen zu Frankreich sind jetzt gut, aber schwer auf
befriedigenden Fuße zu erhalten — so ungefähr äußerte sich Bismarck vor kurzem
vor dem Reichstage, und ich bin, fuhr er fort, der Meinung, daß wir später
einen Krieg mit ihm haben werden. Ich kann nicht sagen, ob in zehn Tagen
oder zehn Jahren, aber keine friedlichen Versicherungen, keine Redensarten werden
mich darüber beruhigen. Sobald Frankreich Grund hat, zu glauben, es könne uns
schlagen, wird es uns angreifen, und siegte es, so würde es uns zur Ader lassen,
bis uns der letzte Blutstropfen abgezapft wäre. Daneben ist aber noch an eine
andre Möglichkeit zu denken, die ebenso nahe liegt: Frankreich ist das Land der
Überraschungen, und es kann dort über Nacht ein Kabinet entstehen, welches,
nicht imstande, mit dem Abgeordnetenhaus? zu regieren, einen Ausweg für die
innern Schwierigkeiten sucht, indem es einen Krieg mit Deutschland vom Zaune
bricht, wie dies 1870 geschah. Betrachten wir zunächst den zweiten Fall, den
der Kanzler setzte, so leidet es keinen Zweifel, daß er leicht eintreten kann.
Wahr ist, daß die Mehrheit der Franzosen, der besitzende und der arbeitende
Teil der Bevölkerung, friedfertig gesinnt ist, ebenso wahr aber, daß sie in so¬
genannten nationalen Fragen niemals den Ausschlag gegeben hat, die Führung
hier vielmehr immer unruhigen und selbstsüchtigen Geistern zugefallen ist, welche


Grcnzliotcn I. 1887. 32
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[0257] [Abbildung] Die Kriegswolke im Westen. ZM»^^ WM«.,le Kriegswolkc, die an demjenigen Teile des Gesichtskreises steht, den die Berge des Wasgenwaldes bilden, ist wie die Rauchwolke, die jahraus, jahrein ans dem Schlunde des Vesuvs aufsteigt, bald klein, bald groß, aber immer vorhanden, immer das Zeichen einer Gefahr und immer eine Mahnung für uns, auf der Hut zu sein vor einem Ausbruche, der morgen schon stattfinden und schweres Unheil an¬ richten kann. Unsre Beziehungen zu Frankreich sind jetzt gut, aber schwer auf befriedigenden Fuße zu erhalten — so ungefähr äußerte sich Bismarck vor kurzem vor dem Reichstage, und ich bin, fuhr er fort, der Meinung, daß wir später einen Krieg mit ihm haben werden. Ich kann nicht sagen, ob in zehn Tagen oder zehn Jahren, aber keine friedlichen Versicherungen, keine Redensarten werden mich darüber beruhigen. Sobald Frankreich Grund hat, zu glauben, es könne uns schlagen, wird es uns angreifen, und siegte es, so würde es uns zur Ader lassen, bis uns der letzte Blutstropfen abgezapft wäre. Daneben ist aber noch an eine andre Möglichkeit zu denken, die ebenso nahe liegt: Frankreich ist das Land der Überraschungen, und es kann dort über Nacht ein Kabinet entstehen, welches, nicht imstande, mit dem Abgeordnetenhaus? zu regieren, einen Ausweg für die innern Schwierigkeiten sucht, indem es einen Krieg mit Deutschland vom Zaune bricht, wie dies 1870 geschah. Betrachten wir zunächst den zweiten Fall, den der Kanzler setzte, so leidet es keinen Zweifel, daß er leicht eintreten kann. Wahr ist, daß die Mehrheit der Franzosen, der besitzende und der arbeitende Teil der Bevölkerung, friedfertig gesinnt ist, ebenso wahr aber, daß sie in so¬ genannten nationalen Fragen niemals den Ausschlag gegeben hat, die Führung hier vielmehr immer unruhigen und selbstsüchtigen Geistern zugefallen ist, welche Grcnzliotcn I. 1887. 32

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/257>, abgerufen am 22.12.2024.