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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Goethe als Aäoagog.

as sechzehnte Jahrhundert hatte eine lebhafte Teilnahme für die
Unterrichtung der Jngend gezeigt. Nicht nnr den Humanisten,
die naturgemäß überall als rcfvrmirende Lehrer auftreten mußten,
auch Luther lag die Gründung und Verbesserung der Schulen
am Herzen. Reformation und Humanismus wirkten hier im
ganzen einträchtig zusammen. Wenn Philipp Melanchthon sich den Ehren¬
namen des ?ra"vLpwr (rornniums erwarb, so konnten Wimpheliug, Jakob Sturm
und viele andre für einzelne Teile Deutschlands ähnliches Verdienst in Anspruch
nehmen, der genialste deutsch-lateinische Dichter des Jahrhunderts, Nikodemus
Frischlin, hat das Schulwesen des damals noch protestantischen Herzogtums
Kram zum Danke der Landstände geordnet, während Frankreichs größter
Satiriker in den grotesken Schilderungen von Gargantuas Erziehung mit der
Kritik bestehender Mißbrünche positive Vorschläge für die Einrichtung des
Lehrens und Bittens der Jugend verband. Durch keinen Geringeren als Jean
Jaques Rousseau hat das achtzehnte Jahrhundert wieder an Rabelais, Montaigne
und das sechzehnte Jahrhundert angeknüpft. Auch ans diesem Gebiete wie ans
manchem andern nahm man im achtzehnten Jahrhundert die unterbrochene
Geistesarbeit wieder ans, und wohl niemals ist das schwere Problem der Er¬
ziehung mit mehr Eifer und größerer allgemeiner Teilnahme theoretisch und
praktisch in Angriff genommen worden als im Zeitalter der Aufklärung. Die
ganze Aufklärung verfolgt, mag man nun auf ihre größten Erscheinungen oder
auf ihre weniger erfreulichen Auswüchse blicken, eine entschieden pädagogische
Tendenz. Die Forderungen des oomwori sense; sollten nach dem Willen der
schottisch-englischen Philosophen und?r<z<Miilllors, von denen die ganze geistige
Bewegung des vorigen Jahrhunderts ausging, im praktischen Leben ihre Be¬
friedigung finden; geläuterte moralische und religiöse Begriffe sollten in weitesten
Kreisen gelehrt, im Sinne dieser nen gewonnenen Anschauungen die aufwachsenden
Generationen herangebildet werden. .Konversationslexika üben noch in unsern
Tagen einen bestimmenden Einfluß auf die allgemeine Bildung aus; in der
ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wirkte Pierre Bayles viotionn-iir"
lliswricius 0t vriticiuv mit dem Reize der Neuheit auf die nach einer freieren
Lebens- und Weltanschauung strebende Jugend ein. Im französischen Original
wie in Gottscheds Übersetzung wurde es ein vielverbreitetes Bildungsmittel;
Lessing und Wieland waren Bayles eifrige Schüler. An ihn knüpften dann
in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die französischen sogenannten Philo-


GvmzbvUm I. 1387. 22
Goethe als Aäoagog.

as sechzehnte Jahrhundert hatte eine lebhafte Teilnahme für die
Unterrichtung der Jngend gezeigt. Nicht nnr den Humanisten,
die naturgemäß überall als rcfvrmirende Lehrer auftreten mußten,
auch Luther lag die Gründung und Verbesserung der Schulen
am Herzen. Reformation und Humanismus wirkten hier im
ganzen einträchtig zusammen. Wenn Philipp Melanchthon sich den Ehren¬
namen des ?ra«vLpwr (rornniums erwarb, so konnten Wimpheliug, Jakob Sturm
und viele andre für einzelne Teile Deutschlands ähnliches Verdienst in Anspruch
nehmen, der genialste deutsch-lateinische Dichter des Jahrhunderts, Nikodemus
Frischlin, hat das Schulwesen des damals noch protestantischen Herzogtums
Kram zum Danke der Landstände geordnet, während Frankreichs größter
Satiriker in den grotesken Schilderungen von Gargantuas Erziehung mit der
Kritik bestehender Mißbrünche positive Vorschläge für die Einrichtung des
Lehrens und Bittens der Jugend verband. Durch keinen Geringeren als Jean
Jaques Rousseau hat das achtzehnte Jahrhundert wieder an Rabelais, Montaigne
und das sechzehnte Jahrhundert angeknüpft. Auch ans diesem Gebiete wie ans
manchem andern nahm man im achtzehnten Jahrhundert die unterbrochene
Geistesarbeit wieder ans, und wohl niemals ist das schwere Problem der Er¬
ziehung mit mehr Eifer und größerer allgemeiner Teilnahme theoretisch und
praktisch in Angriff genommen worden als im Zeitalter der Aufklärung. Die
ganze Aufklärung verfolgt, mag man nun auf ihre größten Erscheinungen oder
auf ihre weniger erfreulichen Auswüchse blicken, eine entschieden pädagogische
Tendenz. Die Forderungen des oomwori sense; sollten nach dem Willen der
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Bewegung des vorigen Jahrhunderts ausging, im praktischen Leben ihre Be¬
friedigung finden; geläuterte moralische und religiöse Begriffe sollten in weitesten
Kreisen gelehrt, im Sinne dieser nen gewonnenen Anschauungen die aufwachsenden
Generationen herangebildet werden. .Konversationslexika üben noch in unsern
Tagen einen bestimmenden Einfluß auf die allgemeine Bildung aus; in der
ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wirkte Pierre Bayles viotionn-iir«
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Lebens- und Weltanschauung strebende Jugend ein. Im französischen Original
wie in Gottscheds Übersetzung wurde es ein vielverbreitetes Bildungsmittel;
Lessing und Wieland waren Bayles eifrige Schüler. An ihn knüpften dann
in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die französischen sogenannten Philo-


GvmzbvUm I. 1387. 22
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[0177] Goethe als Aäoagog. as sechzehnte Jahrhundert hatte eine lebhafte Teilnahme für die Unterrichtung der Jngend gezeigt. Nicht nnr den Humanisten, die naturgemäß überall als rcfvrmirende Lehrer auftreten mußten, auch Luther lag die Gründung und Verbesserung der Schulen am Herzen. Reformation und Humanismus wirkten hier im ganzen einträchtig zusammen. Wenn Philipp Melanchthon sich den Ehren¬ namen des ?ra«vLpwr (rornniums erwarb, so konnten Wimpheliug, Jakob Sturm und viele andre für einzelne Teile Deutschlands ähnliches Verdienst in Anspruch nehmen, der genialste deutsch-lateinische Dichter des Jahrhunderts, Nikodemus Frischlin, hat das Schulwesen des damals noch protestantischen Herzogtums Kram zum Danke der Landstände geordnet, während Frankreichs größter Satiriker in den grotesken Schilderungen von Gargantuas Erziehung mit der Kritik bestehender Mißbrünche positive Vorschläge für die Einrichtung des Lehrens und Bittens der Jugend verband. Durch keinen Geringeren als Jean Jaques Rousseau hat das achtzehnte Jahrhundert wieder an Rabelais, Montaigne und das sechzehnte Jahrhundert angeknüpft. Auch ans diesem Gebiete wie ans manchem andern nahm man im achtzehnten Jahrhundert die unterbrochene Geistesarbeit wieder ans, und wohl niemals ist das schwere Problem der Er¬ ziehung mit mehr Eifer und größerer allgemeiner Teilnahme theoretisch und praktisch in Angriff genommen worden als im Zeitalter der Aufklärung. Die ganze Aufklärung verfolgt, mag man nun auf ihre größten Erscheinungen oder auf ihre weniger erfreulichen Auswüchse blicken, eine entschieden pädagogische Tendenz. Die Forderungen des oomwori sense; sollten nach dem Willen der schottisch-englischen Philosophen und?r<z<Miilllors, von denen die ganze geistige Bewegung des vorigen Jahrhunderts ausging, im praktischen Leben ihre Be¬ friedigung finden; geläuterte moralische und religiöse Begriffe sollten in weitesten Kreisen gelehrt, im Sinne dieser nen gewonnenen Anschauungen die aufwachsenden Generationen herangebildet werden. .Konversationslexika üben noch in unsern Tagen einen bestimmenden Einfluß auf die allgemeine Bildung aus; in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wirkte Pierre Bayles viotionn-iir« lliswricius 0t vriticiuv mit dem Reize der Neuheit auf die nach einer freieren Lebens- und Weltanschauung strebende Jugend ein. Im französischen Original wie in Gottscheds Übersetzung wurde es ein vielverbreitetes Bildungsmittel; Lessing und Wieland waren Bayles eifrige Schüler. An ihn knüpften dann in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die französischen sogenannten Philo- GvmzbvUm I. 1387. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/177>, abgerufen am 28.09.2024.