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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Notiz.

brauchst weder an diesen noch an jenen, noch an irgend einen besondern Ort
zu gehen, um Gott anzubeten, denn Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten,
sollen ihn im Geist anbeten. Man weiß, was für Leute diesen Satz laut mit
dem Munde anerkannt und eine wie interessante Anwendung sie davon ge¬
macht haben.




Wir sind am Schlüsse unsrer heiligen Geschichte angekommen, mögen aber
nicht den letzten Punkt setzen, ohne noch eine Bemerkung gemacht zu haben,
die uns sehr am Herzen liegt.

Keine Absicht ist so rein, kein Werk so fromm und heilig, daß nicht hämische
Geister mit Verdächtigungen bei der Hand wären. Auch dieser unsrer frommen
Geschichtsdarstellung wird es gewiß an solchen nicht fehlen. Skandalsüchtige
Menschen werden den Ernst unsers Unternehmens in Zweifel ziehen und vielleicht
gar die Stirn haben, zu behaupten, wir hätten eine versteckte, symbolische Satire
auf die heilige katholische Kirche schreiben wollen, wir hätten mit dem gemcißregelten
Propheten Oschwald auf den Stifter, mit der heiligen Madlene in allen einzelnen
Zügen ihres Lebens und Charakters auf die Kirche selbst hindeuten wollen, etwa
auf deren Würdigung und gerechte Wertschätzung weltlicher Machteinslüsse und
irdischer Güter, welche sie zur Erfüllung ihrer Mission so nötig hat. Ja noch
viel boshaftere Anspielungen hätten wir gemacht. Wir verwahren uns feierlich
gegen solche Insinuationen. Wir sind nur Legenden- oder Geschichtschreiber
gewesen und haben nichts als Thatsachen berichtet, ohne jeden Nebengedanken.
Ja wir sind überzeugt, daß Wohlmeinende bei unsrer Darstellung auch niemals
solche bekommen können.

Geschrieben am Feste der heiligen Madlene von Witscht im Jahre 16 des
leider falschen "tausendjährigen Reiches."




Notiz.

Konzerttourneen. Von einem Freunde unsers Blattes sind uns die beiden
nachfolgenden, an einen namhaften Kapellmeister einer deutschen Stadt gerichteten
Briefe zum Abdruck überlassen worden, die einen beschämenden Einblick in das
Treiben gewähren, durch welches die sogenannten Konzerttournccn zustande kommen.

1.

Berlin, den 30. November 1886.


Sehr geehrter Herr!

Ich bin beauftragt, für ein höchst interessantes und ganz selten schönes
Künstlerensemblc für Januar-Februar-März eine Konzerttournee zusammenzustellen,


Notiz.

brauchst weder an diesen noch an jenen, noch an irgend einen besondern Ort
zu gehen, um Gott anzubeten, denn Gott ist ein Geist, und die ihn anbeten,
sollen ihn im Geist anbeten. Man weiß, was für Leute diesen Satz laut mit
dem Munde anerkannt und eine wie interessante Anwendung sie davon ge¬
macht haben.




Wir sind am Schlüsse unsrer heiligen Geschichte angekommen, mögen aber
nicht den letzten Punkt setzen, ohne noch eine Bemerkung gemacht zu haben,
die uns sehr am Herzen liegt.

Keine Absicht ist so rein, kein Werk so fromm und heilig, daß nicht hämische
Geister mit Verdächtigungen bei der Hand wären. Auch dieser unsrer frommen
Geschichtsdarstellung wird es gewiß an solchen nicht fehlen. Skandalsüchtige
Menschen werden den Ernst unsers Unternehmens in Zweifel ziehen und vielleicht
gar die Stirn haben, zu behaupten, wir hätten eine versteckte, symbolische Satire
auf die heilige katholische Kirche schreiben wollen, wir hätten mit dem gemcißregelten
Propheten Oschwald auf den Stifter, mit der heiligen Madlene in allen einzelnen
Zügen ihres Lebens und Charakters auf die Kirche selbst hindeuten wollen, etwa
auf deren Würdigung und gerechte Wertschätzung weltlicher Machteinslüsse und
irdischer Güter, welche sie zur Erfüllung ihrer Mission so nötig hat. Ja noch
viel boshaftere Anspielungen hätten wir gemacht. Wir verwahren uns feierlich
gegen solche Insinuationen. Wir sind nur Legenden- oder Geschichtschreiber
gewesen und haben nichts als Thatsachen berichtet, ohne jeden Nebengedanken.
Ja wir sind überzeugt, daß Wohlmeinende bei unsrer Darstellung auch niemals
solche bekommen können.

Geschrieben am Feste der heiligen Madlene von Witscht im Jahre 16 des
leider falschen „tausendjährigen Reiches."




Notiz.

Konzerttourneen. Von einem Freunde unsers Blattes sind uns die beiden
nachfolgenden, an einen namhaften Kapellmeister einer deutschen Stadt gerichteten
Briefe zum Abdruck überlassen worden, die einen beschämenden Einblick in das
Treiben gewähren, durch welches die sogenannten Konzerttournccn zustande kommen.

1.

Berlin, den 30. November 1886.


Sehr geehrter Herr!

Ich bin beauftragt, für ein höchst interessantes und ganz selten schönes
Künstlerensemblc für Januar-Februar-März eine Konzerttournee zusammenzustellen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/150>, abgerufen am 29.06.2024.