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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gymnasialunterricht und Fachbildung.

in den realen Fächern genüge, um für spätere humanistische Studien vorzu¬
bereiten, und wenn die Philologen diese Auffassung mit aller Entschiedenheit
bekämpfen, so liegt darin das Zugeständnis, daß auch ihre grammatische Methode
den Mathematikern und Physikern für deren Fachstudium nicht unbedingt zu
Gute kommt. (Nur von der formalen Logik ließe sich allenfalls behaupten,
daß sie beiden Wissensgebieten gemeinsam zur Vorbereitung dienen könne.) Die
Fvrschungsthätigkeit des spätern Gelehrten beruht sehr wesentlich auf dem
Heraussuchen der Analogie, und es kann nicht bestritten werden, daß diese
Gedankenoperation leichter auf demjenigen Gebiete vollzogen wird, auf dem der
Forscher durch langjährige Beobachtung der Erscheinungen sich zu Hause fühlt.
Noch wichtiger ist die eingehende Bekanntschaft mit dem Stoffe für die Kritik,
für die Aufdeckung von Irrtümern und Aufstellung neuer Gesetze auf dem Wege
der Kombination. Wenn nun auch die Sprachlehre wie die Mathematik, die
Naturwissenschaft wie die Ästhetik alle in ihren ersten Ansaugen von der
Beobachtung der Erscheinung ausgehen, so verschlingen sich doch die Fäden
einer methodischen Induktion in dem Maße, wie man tiefer in die Gänge des
Forschungsgebiets hinabsteigt. Es ist nicht gleichgiltig für deu Gelehrten, ob
er seine Vorschule vorwiegend auf einem andern Gebiete durchgemacht hat, als
dasjenige ist, dessen tiefere Erkenntnis ihm später Lebenszweck wird. Nur so weit
wird er den Weg mit seinen Studiengenossen gemeinsam zurücklegen wollen,
als es sich um eine allgemeine Vorbereitung oder um die Erwerbung derjenigen
Kenntnisse handelt, die als Minimum für deu Eintritt in die Reihen der
sogenannten "gebildeten Gesellschaft" erfordert werden. Weiter sollte daher das
Gymnasium in der Aufstellung seines Lehrplans nicht gehen, wenn es die Be¬
einträchtigung einzelner Schüler auf Kosten der andern vermeiden will.

3.

Die Lösung der Schulfragc kann meiner Ansicht nach garnicht auf dem
Gebiete gefunden werden, auf dem sich bis jetzt der Streit der Meinungen fast
ausschließlich bewegt hat, nämlich auf dein Gebiete des Lehrstoffes und seiner
Auswahl. Sie erscheint viel leichter, wenn man sie innerhalb der natürlichen
Grenzen der Zeit und des Raumes sucht, der Grenzen, welche gesetzlich dem
Lehrkursus und den räumlichen Anordnungen des Unterrichtswesens gezogen
sind. Mit andern Worten: die Schulzeit und die Schülerzahl der Klassen
müssen in den Kreis der Untersuchung gezogen werden. Wir haben da mit ganz
bestimmten Verhältnissen zu rechnen, welche den Entwicklungsstufen der männ¬
lichen Jugend entsprechen. Die untere Altersgrenze, welche den Knaben für die
Aufnahme in die Schule gezogen ist, wird teils durch die Lernfähigkeit, teils
durch die Notwendigkeit einer pädagogischen Disziplin bedingt. Sie ist so
ziemlich in alle"? Kulturländern die gleiche. Hieran läßt sich nichts ändern


Gymnasialunterricht und Fachbildung.

in den realen Fächern genüge, um für spätere humanistische Studien vorzu¬
bereiten, und wenn die Philologen diese Auffassung mit aller Entschiedenheit
bekämpfen, so liegt darin das Zugeständnis, daß auch ihre grammatische Methode
den Mathematikern und Physikern für deren Fachstudium nicht unbedingt zu
Gute kommt. (Nur von der formalen Logik ließe sich allenfalls behaupten,
daß sie beiden Wissensgebieten gemeinsam zur Vorbereitung dienen könne.) Die
Fvrschungsthätigkeit des spätern Gelehrten beruht sehr wesentlich auf dem
Heraussuchen der Analogie, und es kann nicht bestritten werden, daß diese
Gedankenoperation leichter auf demjenigen Gebiete vollzogen wird, auf dem der
Forscher durch langjährige Beobachtung der Erscheinungen sich zu Hause fühlt.
Noch wichtiger ist die eingehende Bekanntschaft mit dem Stoffe für die Kritik,
für die Aufdeckung von Irrtümern und Aufstellung neuer Gesetze auf dem Wege
der Kombination. Wenn nun auch die Sprachlehre wie die Mathematik, die
Naturwissenschaft wie die Ästhetik alle in ihren ersten Ansaugen von der
Beobachtung der Erscheinung ausgehen, so verschlingen sich doch die Fäden
einer methodischen Induktion in dem Maße, wie man tiefer in die Gänge des
Forschungsgebiets hinabsteigt. Es ist nicht gleichgiltig für deu Gelehrten, ob
er seine Vorschule vorwiegend auf einem andern Gebiete durchgemacht hat, als
dasjenige ist, dessen tiefere Erkenntnis ihm später Lebenszweck wird. Nur so weit
wird er den Weg mit seinen Studiengenossen gemeinsam zurücklegen wollen,
als es sich um eine allgemeine Vorbereitung oder um die Erwerbung derjenigen
Kenntnisse handelt, die als Minimum für deu Eintritt in die Reihen der
sogenannten „gebildeten Gesellschaft" erfordert werden. Weiter sollte daher das
Gymnasium in der Aufstellung seines Lehrplans nicht gehen, wenn es die Be¬
einträchtigung einzelner Schüler auf Kosten der andern vermeiden will.

3.

Die Lösung der Schulfragc kann meiner Ansicht nach garnicht auf dem
Gebiete gefunden werden, auf dem sich bis jetzt der Streit der Meinungen fast
ausschließlich bewegt hat, nämlich auf dein Gebiete des Lehrstoffes und seiner
Auswahl. Sie erscheint viel leichter, wenn man sie innerhalb der natürlichen
Grenzen der Zeit und des Raumes sucht, der Grenzen, welche gesetzlich dem
Lehrkursus und den räumlichen Anordnungen des Unterrichtswesens gezogen
sind. Mit andern Worten: die Schulzeit und die Schülerzahl der Klassen
müssen in den Kreis der Untersuchung gezogen werden. Wir haben da mit ganz
bestimmten Verhältnissen zu rechnen, welche den Entwicklungsstufen der männ¬
lichen Jugend entsprechen. Die untere Altersgrenze, welche den Knaben für die
Aufnahme in die Schule gezogen ist, wird teils durch die Lernfähigkeit, teils
durch die Notwendigkeit einer pädagogischen Disziplin bedingt. Sie ist so
ziemlich in alle«? Kulturländern die gleiche. Hieran läßt sich nichts ändern


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[0120] Gymnasialunterricht und Fachbildung. in den realen Fächern genüge, um für spätere humanistische Studien vorzu¬ bereiten, und wenn die Philologen diese Auffassung mit aller Entschiedenheit bekämpfen, so liegt darin das Zugeständnis, daß auch ihre grammatische Methode den Mathematikern und Physikern für deren Fachstudium nicht unbedingt zu Gute kommt. (Nur von der formalen Logik ließe sich allenfalls behaupten, daß sie beiden Wissensgebieten gemeinsam zur Vorbereitung dienen könne.) Die Fvrschungsthätigkeit des spätern Gelehrten beruht sehr wesentlich auf dem Heraussuchen der Analogie, und es kann nicht bestritten werden, daß diese Gedankenoperation leichter auf demjenigen Gebiete vollzogen wird, auf dem der Forscher durch langjährige Beobachtung der Erscheinungen sich zu Hause fühlt. Noch wichtiger ist die eingehende Bekanntschaft mit dem Stoffe für die Kritik, für die Aufdeckung von Irrtümern und Aufstellung neuer Gesetze auf dem Wege der Kombination. Wenn nun auch die Sprachlehre wie die Mathematik, die Naturwissenschaft wie die Ästhetik alle in ihren ersten Ansaugen von der Beobachtung der Erscheinung ausgehen, so verschlingen sich doch die Fäden einer methodischen Induktion in dem Maße, wie man tiefer in die Gänge des Forschungsgebiets hinabsteigt. Es ist nicht gleichgiltig für deu Gelehrten, ob er seine Vorschule vorwiegend auf einem andern Gebiete durchgemacht hat, als dasjenige ist, dessen tiefere Erkenntnis ihm später Lebenszweck wird. Nur so weit wird er den Weg mit seinen Studiengenossen gemeinsam zurücklegen wollen, als es sich um eine allgemeine Vorbereitung oder um die Erwerbung derjenigen Kenntnisse handelt, die als Minimum für deu Eintritt in die Reihen der sogenannten „gebildeten Gesellschaft" erfordert werden. Weiter sollte daher das Gymnasium in der Aufstellung seines Lehrplans nicht gehen, wenn es die Be¬ einträchtigung einzelner Schüler auf Kosten der andern vermeiden will. 3. Die Lösung der Schulfragc kann meiner Ansicht nach garnicht auf dem Gebiete gefunden werden, auf dem sich bis jetzt der Streit der Meinungen fast ausschließlich bewegt hat, nämlich auf dein Gebiete des Lehrstoffes und seiner Auswahl. Sie erscheint viel leichter, wenn man sie innerhalb der natürlichen Grenzen der Zeit und des Raumes sucht, der Grenzen, welche gesetzlich dem Lehrkursus und den räumlichen Anordnungen des Unterrichtswesens gezogen sind. Mit andern Worten: die Schulzeit und die Schülerzahl der Klassen müssen in den Kreis der Untersuchung gezogen werden. Wir haben da mit ganz bestimmten Verhältnissen zu rechnen, welche den Entwicklungsstufen der männ¬ lichen Jugend entsprechen. Die untere Altersgrenze, welche den Knaben für die Aufnahme in die Schule gezogen ist, wird teils durch die Lernfähigkeit, teils durch die Notwendigkeit einer pädagogischen Disziplin bedingt. Sie ist so ziemlich in alle«? Kulturländern die gleiche. Hieran läßt sich nichts ändern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/120>, abgerufen am 29.06.2024.