Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Literatur.

Unterthanen an eine Strenge der Pflichterfüllung gewöhnt, welche für Kants Reform
der Moral den Boden bereitete. Wenn die Philosophie seinen Geist gebildet, sein
Denken geschult, seinem innern Leben einen Halt gewährt, wenn sie ihn zu seinem
Herrschernmte ausgerüstet und gestärkt hat, so hat er ihr durch seine Führung dieses
Amtes seinen Dank bezahlt."

Wir bemerken noch, daß ein nicht geringer Teil des Wertes unsrer Schrift
in den reichlichen Anmerkungen besteht, die ihr am Schlüsse beigegeben sind. Sie
erleichtern durch genaue Nachweisung der Quellen dem Leser die selbständige Prü¬
fung der Darstellung des Verfassers, und sie dienen, was vielen noch willkommener
sein wird, zur Ergänzung dessen, was der Text bringt, indem sie charakteristische
Aussprüche in ihrem Wortlaute mitteilen und solche Einzelheiten beifügen, die sich
dort nicht wohl anbringen ließen, aber dem ganzen Bilde mehr Leben und eine
individuellere Farbe zu geben geeignet waren. Sehr interessant sind hier u. a. die
Zitate S. 240, 241 und 243, in denen Friedrich über Fürsten spricht, desgleichen die
S. 255 ff., wo er sich über das Christentum und die Religion überhaupt ausläßt.




Literatur.

Gegen den Strom. Flugschriften einer literarisch-kiinstlerischen Gesellschaft. Zweite Serie.
Wien, Kurt Grnser, 1886.

Diese vortrefflichen, gegen die herrschende vermeintliche "Bildung," welche in
tausend Fällen roheste Unbildung ist, gerichteten Hefte könnten zwar überall in
Deutschland erscheinen. Dennoch ist es nicht zufällig, daß sie gerade in Wien
herauskommen, in der Hauptstadt, in welcher die Presse noch ausschließlicher unter
der Herrschaft und im Solde einer Anschauung steht, welche jeden krankhaften Aus¬
wuchs, jede wüste Begehrlichkeit, jeden Ungeschmack und jede Albernheit als Fort¬
schritt oder Zeitgeist preist und verehrt. Die Grundtendenz dieser kleinen Humo¬
resken, Vorträge und Abhandlungen ist eine durchaus löbliche, sie treten ungescheut
dem zeitgemäßen Vorurteil und dem Bildungsschwindel gegenüber; selbst wo sie,
wie im "Vorrecht der Frau," über die Schnur hauen, sind sie noch von einem
gesunden Grundgedanken und einer berechtigten Empfindung eingegeben. Das
prächtigste und überzeugendste Stück der zweiten Serie ist die gegen die moderne
Lustspielmacherei und die hirnlose Bühnenpraxis gerichtete Satire "Nach der Scha¬
blone." Dann folgen "Das Vorrecht der Frau," "Die gebildete Welt," "Unsre
Künstler und die Gesellschaft," "Die Lektüre des Volkes," "Der Schutz der bürger¬
lichen Ehre," sämtlich geeignet, in Köpfen, deren Bildung nud Eindrucksfähigkeit
noch nicht ganz von ihrem Dutzend Tagesblätter beeinflußt find, einiges Nachdenken
über gerühmte Herrlichkeiten und geduldete Bräuche der Gegenwart zu erwecken.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von CnrlMarquart in Leipzig.
Literatur.

Unterthanen an eine Strenge der Pflichterfüllung gewöhnt, welche für Kants Reform
der Moral den Boden bereitete. Wenn die Philosophie seinen Geist gebildet, sein
Denken geschult, seinem innern Leben einen Halt gewährt, wenn sie ihn zu seinem
Herrschernmte ausgerüstet und gestärkt hat, so hat er ihr durch seine Führung dieses
Amtes seinen Dank bezahlt."

Wir bemerken noch, daß ein nicht geringer Teil des Wertes unsrer Schrift
in den reichlichen Anmerkungen besteht, die ihr am Schlüsse beigegeben sind. Sie
erleichtern durch genaue Nachweisung der Quellen dem Leser die selbständige Prü¬
fung der Darstellung des Verfassers, und sie dienen, was vielen noch willkommener
sein wird, zur Ergänzung dessen, was der Text bringt, indem sie charakteristische
Aussprüche in ihrem Wortlaute mitteilen und solche Einzelheiten beifügen, die sich
dort nicht wohl anbringen ließen, aber dem ganzen Bilde mehr Leben und eine
individuellere Farbe zu geben geeignet waren. Sehr interessant sind hier u. a. die
Zitate S. 240, 241 und 243, in denen Friedrich über Fürsten spricht, desgleichen die
S. 255 ff., wo er sich über das Christentum und die Religion überhaupt ausläßt.




Literatur.

Gegen den Strom. Flugschriften einer literarisch-kiinstlerischen Gesellschaft. Zweite Serie.
Wien, Kurt Grnser, 1886.

Diese vortrefflichen, gegen die herrschende vermeintliche „Bildung," welche in
tausend Fällen roheste Unbildung ist, gerichteten Hefte könnten zwar überall in
Deutschland erscheinen. Dennoch ist es nicht zufällig, daß sie gerade in Wien
herauskommen, in der Hauptstadt, in welcher die Presse noch ausschließlicher unter
der Herrschaft und im Solde einer Anschauung steht, welche jeden krankhaften Aus¬
wuchs, jede wüste Begehrlichkeit, jeden Ungeschmack und jede Albernheit als Fort¬
schritt oder Zeitgeist preist und verehrt. Die Grundtendenz dieser kleinen Humo¬
resken, Vorträge und Abhandlungen ist eine durchaus löbliche, sie treten ungescheut
dem zeitgemäßen Vorurteil und dem Bildungsschwindel gegenüber; selbst wo sie,
wie im „Vorrecht der Frau," über die Schnur hauen, sind sie noch von einem
gesunden Grundgedanken und einer berechtigten Empfindung eingegeben. Das
prächtigste und überzeugendste Stück der zweiten Serie ist die gegen die moderne
Lustspielmacherei und die hirnlose Bühnenpraxis gerichtete Satire „Nach der Scha¬
blone." Dann folgen „Das Vorrecht der Frau," „Die gebildete Welt," „Unsre
Künstler und die Gesellschaft," „Die Lektüre des Volkes," „Der Schutz der bürger¬
lichen Ehre," sämtlich geeignet, in Köpfen, deren Bildung nud Eindrucksfähigkeit
noch nicht ganz von ihrem Dutzend Tagesblätter beeinflußt find, einiges Nachdenken
über gerühmte Herrlichkeiten und geduldete Bräuche der Gegenwart zu erwecken.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von CnrlMarquart in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0628" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199348"/>
          <fw type="header" place="top"> Literatur.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2217" prev="#ID_2216"> Unterthanen an eine Strenge der Pflichterfüllung gewöhnt, welche für Kants Reform<lb/>
der Moral den Boden bereitete. Wenn die Philosophie seinen Geist gebildet, sein<lb/>
Denken geschult, seinem innern Leben einen Halt gewährt, wenn sie ihn zu seinem<lb/>
Herrschernmte ausgerüstet und gestärkt hat, so hat er ihr durch seine Führung dieses<lb/>
Amtes seinen Dank bezahlt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2218"> Wir bemerken noch, daß ein nicht geringer Teil des Wertes unsrer Schrift<lb/>
in den reichlichen Anmerkungen besteht, die ihr am Schlüsse beigegeben sind. Sie<lb/>
erleichtern durch genaue Nachweisung der Quellen dem Leser die selbständige Prü¬<lb/>
fung der Darstellung des Verfassers, und sie dienen, was vielen noch willkommener<lb/>
sein wird, zur Ergänzung dessen, was der Text bringt, indem sie charakteristische<lb/>
Aussprüche in ihrem Wortlaute mitteilen und solche Einzelheiten beifügen, die sich<lb/>
dort nicht wohl anbringen ließen, aber dem ganzen Bilde mehr Leben und eine<lb/>
individuellere Farbe zu geben geeignet waren. Sehr interessant sind hier u. a. die<lb/>
Zitate S. 240, 241 und 243, in denen Friedrich über Fürsten spricht, desgleichen die<lb/>
S. 255 ff., wo er sich über das Christentum und die Religion überhaupt ausläßt.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Literatur.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2219"> Gegen den Strom. Flugschriften einer literarisch-kiinstlerischen Gesellschaft. Zweite Serie.<lb/>
Wien, Kurt Grnser, 1886.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2220"> Diese vortrefflichen, gegen die herrschende vermeintliche &#x201E;Bildung," welche in<lb/>
tausend Fällen roheste Unbildung ist, gerichteten Hefte könnten zwar überall in<lb/>
Deutschland erscheinen. Dennoch ist es nicht zufällig, daß sie gerade in Wien<lb/>
herauskommen, in der Hauptstadt, in welcher die Presse noch ausschließlicher unter<lb/>
der Herrschaft und im Solde einer Anschauung steht, welche jeden krankhaften Aus¬<lb/>
wuchs, jede wüste Begehrlichkeit, jeden Ungeschmack und jede Albernheit als Fort¬<lb/>
schritt oder Zeitgeist preist und verehrt. Die Grundtendenz dieser kleinen Humo¬<lb/>
resken, Vorträge und Abhandlungen ist eine durchaus löbliche, sie treten ungescheut<lb/>
dem zeitgemäßen Vorurteil und dem Bildungsschwindel gegenüber; selbst wo sie,<lb/>
wie im &#x201E;Vorrecht der Frau," über die Schnur hauen, sind sie noch von einem<lb/>
gesunden Grundgedanken und einer berechtigten Empfindung eingegeben. Das<lb/>
prächtigste und überzeugendste Stück der zweiten Serie ist die gegen die moderne<lb/>
Lustspielmacherei und die hirnlose Bühnenpraxis gerichtete Satire &#x201E;Nach der Scha¬<lb/>
blone." Dann folgen &#x201E;Das Vorrecht der Frau," &#x201E;Die gebildete Welt," &#x201E;Unsre<lb/>
Künstler und die Gesellschaft," &#x201E;Die Lektüre des Volkes," &#x201E;Der Schutz der bürger¬<lb/>
lichen Ehre," sämtlich geeignet, in Köpfen, deren Bildung nud Eindrucksfähigkeit<lb/>
noch nicht ganz von ihrem Dutzend Tagesblätter beeinflußt find, einiges Nachdenken<lb/>
über gerühmte Herrlichkeiten und geduldete Bräuche der Gegenwart zu erwecken.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.<lb/>
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. &#x2014; Druck von CnrlMarquart in Leipzig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0628] Literatur. Unterthanen an eine Strenge der Pflichterfüllung gewöhnt, welche für Kants Reform der Moral den Boden bereitete. Wenn die Philosophie seinen Geist gebildet, sein Denken geschult, seinem innern Leben einen Halt gewährt, wenn sie ihn zu seinem Herrschernmte ausgerüstet und gestärkt hat, so hat er ihr durch seine Führung dieses Amtes seinen Dank bezahlt." Wir bemerken noch, daß ein nicht geringer Teil des Wertes unsrer Schrift in den reichlichen Anmerkungen besteht, die ihr am Schlüsse beigegeben sind. Sie erleichtern durch genaue Nachweisung der Quellen dem Leser die selbständige Prü¬ fung der Darstellung des Verfassers, und sie dienen, was vielen noch willkommener sein wird, zur Ergänzung dessen, was der Text bringt, indem sie charakteristische Aussprüche in ihrem Wortlaute mitteilen und solche Einzelheiten beifügen, die sich dort nicht wohl anbringen ließen, aber dem ganzen Bilde mehr Leben und eine individuellere Farbe zu geben geeignet waren. Sehr interessant sind hier u. a. die Zitate S. 240, 241 und 243, in denen Friedrich über Fürsten spricht, desgleichen die S. 255 ff., wo er sich über das Christentum und die Religion überhaupt ausläßt. Literatur. Gegen den Strom. Flugschriften einer literarisch-kiinstlerischen Gesellschaft. Zweite Serie. Wien, Kurt Grnser, 1886. Diese vortrefflichen, gegen die herrschende vermeintliche „Bildung," welche in tausend Fällen roheste Unbildung ist, gerichteten Hefte könnten zwar überall in Deutschland erscheinen. Dennoch ist es nicht zufällig, daß sie gerade in Wien herauskommen, in der Hauptstadt, in welcher die Presse noch ausschließlicher unter der Herrschaft und im Solde einer Anschauung steht, welche jeden krankhaften Aus¬ wuchs, jede wüste Begehrlichkeit, jeden Ungeschmack und jede Albernheit als Fort¬ schritt oder Zeitgeist preist und verehrt. Die Grundtendenz dieser kleinen Humo¬ resken, Vorträge und Abhandlungen ist eine durchaus löbliche, sie treten ungescheut dem zeitgemäßen Vorurteil und dem Bildungsschwindel gegenüber; selbst wo sie, wie im „Vorrecht der Frau," über die Schnur hauen, sind sie noch von einem gesunden Grundgedanken und einer berechtigten Empfindung eingegeben. Das prächtigste und überzeugendste Stück der zweiten Serie ist die gegen die moderne Lustspielmacherei und die hirnlose Bühnenpraxis gerichtete Satire „Nach der Scha¬ blone." Dann folgen „Das Vorrecht der Frau," „Die gebildete Welt," „Unsre Künstler und die Gesellschaft," „Die Lektüre des Volkes," „Der Schutz der bürger¬ lichen Ehre," sämtlich geeignet, in Köpfen, deren Bildung nud Eindrucksfähigkeit noch nicht ganz von ihrem Dutzend Tagesblätter beeinflußt find, einiges Nachdenken über gerühmte Herrlichkeiten und geduldete Bräuche der Gegenwart zu erwecken. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von CnrlMarquart in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/628
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/628>, abgerufen am 03.07.2024.