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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

statt seine höhere Vernunft zu gebrauchen, um sich würdiger in das Leben zu
finden, sich dem Mißmut und Zorn hingiebt?

Georg sah betroffen auf. Hatte sie denn seine Gedanken erraten?

Wer kann wissen, was den jungen Müller bedrückt? entgegnete er. Wenn
das Tier leidet, so geht der Schmerz mit dem Augenblicke selbst; wir haben
den traurigen Vorzug, daß unsre Gedanken die Erinnerung an vergangenes Leid
wie einen Schatten über jede kommende Stunde werfen.

Sie hörte nur den Ton verhaltener Trauer in seinen Worten und sah ihn
mit warmem, tiefem Mitleid in die Augen. Georg aber wünschte, nie einen
solchen Blick kennen gelernt zu haben. Er trieb die Pferde an, daß der Schlitten
wie ein Pfeil dahinflog. Den Blick unverwandt auf die Zügel gerichtet, er¬
sehnte er das Ende dieser Fahrt.




Neuntes Aapitel.

Das Hans des Oberförsters Jeremias Gotthelf Dusele lag eine kleine
Viertelstunde oberhalb des Dorfes Rübesheim am Waldrande. Dies Haus,
dessen über eine hohe Lehmmauer ragender Giebel sich der Straße zuwandte,
hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit einem wohlzugeschnittcncn Schmalzkräpfel,
der sich in dem heißen Fett zu ganz unerwarteten Verhältnissen ausgedehnt,
dabei aber freilich seine Gestalt und Schöne eingebüßt hat.

Die Lehmmauer, die da, wo das Gebäude an den Berg lehnte, nichts als
das Dach sehen ließ, ans welchem des Oberförsters Prachtstück und Liebling,
der englische Schlot, prangte, wurde nach der entgegengesetzten Richtung hin be¬
scheidener und erlaubte den Bewohnern den Ausblick ans das hübsche Dörfchen
im Thale, das ihnen gleichsam zu Füßen lag.

Herr Dnsele besaß einen Hang zur "Poeterei," und so hatte ihm die
Aussicht von seinen Fenstern Stoff zu manch artigen Gedichtlein geliefert, wie
zum Beispiel:

Wenn vom Berg ich steig' hernieder
Nach dem arbcitSschwcrcn Tag,
Steigen aufwärts meine Lieder
Wie der Wachtel muntrer Schlag.
Und ich denke immer wieder,
Was sich anch ereignen mag:
Klebst an meinem Herz wie Leim,
Du geliebtes Rübeshcim!

Nun hatte allerdings des Oberförsters selige Frau dem Hause gegenüber einen
Schweinestall erbauen lassen; da aber Dusele durch jahrelangen Genuß die schöne
Aussicht zur Genüge im Kopfe hatte, ließ er sich durch jenes Ereignis keines-


Aus der Lhronik derer von Riffelshausen.

statt seine höhere Vernunft zu gebrauchen, um sich würdiger in das Leben zu
finden, sich dem Mißmut und Zorn hingiebt?

Georg sah betroffen auf. Hatte sie denn seine Gedanken erraten?

Wer kann wissen, was den jungen Müller bedrückt? entgegnete er. Wenn
das Tier leidet, so geht der Schmerz mit dem Augenblicke selbst; wir haben
den traurigen Vorzug, daß unsre Gedanken die Erinnerung an vergangenes Leid
wie einen Schatten über jede kommende Stunde werfen.

Sie hörte nur den Ton verhaltener Trauer in seinen Worten und sah ihn
mit warmem, tiefem Mitleid in die Augen. Georg aber wünschte, nie einen
solchen Blick kennen gelernt zu haben. Er trieb die Pferde an, daß der Schlitten
wie ein Pfeil dahinflog. Den Blick unverwandt auf die Zügel gerichtet, er¬
sehnte er das Ende dieser Fahrt.




Neuntes Aapitel.

Das Hans des Oberförsters Jeremias Gotthelf Dusele lag eine kleine
Viertelstunde oberhalb des Dorfes Rübesheim am Waldrande. Dies Haus,
dessen über eine hohe Lehmmauer ragender Giebel sich der Straße zuwandte,
hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit einem wohlzugeschnittcncn Schmalzkräpfel,
der sich in dem heißen Fett zu ganz unerwarteten Verhältnissen ausgedehnt,
dabei aber freilich seine Gestalt und Schöne eingebüßt hat.

Die Lehmmauer, die da, wo das Gebäude an den Berg lehnte, nichts als
das Dach sehen ließ, ans welchem des Oberförsters Prachtstück und Liebling,
der englische Schlot, prangte, wurde nach der entgegengesetzten Richtung hin be¬
scheidener und erlaubte den Bewohnern den Ausblick ans das hübsche Dörfchen
im Thale, das ihnen gleichsam zu Füßen lag.

Herr Dnsele besaß einen Hang zur „Poeterei," und so hatte ihm die
Aussicht von seinen Fenstern Stoff zu manch artigen Gedichtlein geliefert, wie
zum Beispiel:

Wenn vom Berg ich steig' hernieder
Nach dem arbcitSschwcrcn Tag,
Steigen aufwärts meine Lieder
Wie der Wachtel muntrer Schlag.
Und ich denke immer wieder,
Was sich anch ereignen mag:
Klebst an meinem Herz wie Leim,
Du geliebtes Rübeshcim!

Nun hatte allerdings des Oberförsters selige Frau dem Hause gegenüber einen
Schweinestall erbauen lassen; da aber Dusele durch jahrelangen Genuß die schöne
Aussicht zur Genüge im Kopfe hatte, ließ er sich durch jenes Ereignis keines-


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[0434] Aus der Lhronik derer von Riffelshausen. statt seine höhere Vernunft zu gebrauchen, um sich würdiger in das Leben zu finden, sich dem Mißmut und Zorn hingiebt? Georg sah betroffen auf. Hatte sie denn seine Gedanken erraten? Wer kann wissen, was den jungen Müller bedrückt? entgegnete er. Wenn das Tier leidet, so geht der Schmerz mit dem Augenblicke selbst; wir haben den traurigen Vorzug, daß unsre Gedanken die Erinnerung an vergangenes Leid wie einen Schatten über jede kommende Stunde werfen. Sie hörte nur den Ton verhaltener Trauer in seinen Worten und sah ihn mit warmem, tiefem Mitleid in die Augen. Georg aber wünschte, nie einen solchen Blick kennen gelernt zu haben. Er trieb die Pferde an, daß der Schlitten wie ein Pfeil dahinflog. Den Blick unverwandt auf die Zügel gerichtet, er¬ sehnte er das Ende dieser Fahrt. Neuntes Aapitel. Das Hans des Oberförsters Jeremias Gotthelf Dusele lag eine kleine Viertelstunde oberhalb des Dorfes Rübesheim am Waldrande. Dies Haus, dessen über eine hohe Lehmmauer ragender Giebel sich der Straße zuwandte, hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit einem wohlzugeschnittcncn Schmalzkräpfel, der sich in dem heißen Fett zu ganz unerwarteten Verhältnissen ausgedehnt, dabei aber freilich seine Gestalt und Schöne eingebüßt hat. Die Lehmmauer, die da, wo das Gebäude an den Berg lehnte, nichts als das Dach sehen ließ, ans welchem des Oberförsters Prachtstück und Liebling, der englische Schlot, prangte, wurde nach der entgegengesetzten Richtung hin be¬ scheidener und erlaubte den Bewohnern den Ausblick ans das hübsche Dörfchen im Thale, das ihnen gleichsam zu Füßen lag. Herr Dnsele besaß einen Hang zur „Poeterei," und so hatte ihm die Aussicht von seinen Fenstern Stoff zu manch artigen Gedichtlein geliefert, wie zum Beispiel: Wenn vom Berg ich steig' hernieder Nach dem arbcitSschwcrcn Tag, Steigen aufwärts meine Lieder Wie der Wachtel muntrer Schlag. Und ich denke immer wieder, Was sich anch ereignen mag: Klebst an meinem Herz wie Leim, Du geliebtes Rübeshcim! Nun hatte allerdings des Oberförsters selige Frau dem Hause gegenüber einen Schweinestall erbauen lassen; da aber Dusele durch jahrelangen Genuß die schöne Aussicht zur Genüge im Kopfe hatte, ließ er sich durch jenes Ereignis keines-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/434>, abgerufen am 03.07.2024.